Chaos im Kopf

Als kunst- und kulinarikverrückter Wirbelwind eroberte Moritz Stiefel die Luzerner Gastroszene im Sturm. Ein Gespräch über bunte Hunde in der Familie, Krieg in der Küche und Vivaldi im Ohr.
Interview: Sarah Kohler – Fotos: Jürg Waldmeier
Veröffentlicht: 16.10.2018 | Aus: Salz & Pfeffer 7/2018
Molkenschwein von Toni Odermatt | Lauch | Speck | Pommes fidèles

«Ich bin ganz der Networker, rede gern mit Leuten, rede überhaupt gern.»
Der Hopfenkranz liegt voll am Luzerner Touristenstrom. Wie ist es, hier zu wirten?
Moritz Stiefel:
Luzern ist ja mehr als ein Tourismusmagnet, und die Reisegruppen, die in Bussen anreisen, sind nicht unser Publikum. Wir sprechen Individualtouristen an – und jeden, der gut essen will. Ganz generell ist Luzern gastronomisch ein hartes Pflaster, konservativ und etwas verschlafen, es läuft wenig. Aber es gibt auch schöne alte kleine Lokale und Geschäfte. Und ich gehöre hierher.

Sie verzichteten bislang auf Wanderjahre.
Die Angebote hatte ich, doch ich entschied mich klar für Luzern. Manchmal reizt es mich schon, andere Konzepte anzuschauen, eine Stage im Ausland. Die Techniken habe ich im Griff, und ich weiss, worum es in der Gastronomie geht, aber es tut immer gut, den eigenen Horizont zu erweitern. Man wird sonst mit der Zeit betriebsblind. Ich lese viel, bilde mich weiter und verfolge, wie andere Köche arbeiten: Das ist meine Art zu wandern.

In Luzern haben Sie einen entscheidenden Vorteil ...
... mein Netzwerk, ja. Das ist wirklich mega gross. Ich bin ganz der Networker, rede gern mit Leuten, rede überhaupt gern. Und ich will wissen, was geht, was läuft, wer wo involviert ist. Wenn ich das früh erfahre, kann ich Einfluss nehmen oder ein Projekt anreissen. Der Hopfenkranz ist mein Baby, aber nebenbei mache ich einige andere Sachen. Da hilft es, dass man mich kennt. Wissen Sie: Schon meine Grossmutter war in Luzern ein bunter Hund, jetzt ich. Deshalb bin ich mit den 80-jährigen Grosspapis genauso gut vernetzt wie mit den 16-jährigen Lehrlingen. Das ist ein Vorteil. Und ein Fluch.

Inwiefern?
Luzern ist ein Dorf: Meine Frau Luigina und ich können nirgends in Ruhe auswärts essen. Drum gehen wir an unseren freien Tagen gern nach Zürich oder ins Ausland, wenns die Zeit erlaubt.

Sie sind nicht nur gut vernetzt, sondern auch sonst recht vielseitig: Sie kochen, kümmern sich um die Weinauswahl, Sie wissen, wie man kalkuliert, und erledigen, wenns sein muss, den Abwasch. Trotzdem scheinen Sie alles andere als eine One-Man-Show zu sein.
Ohne meine Brigade gehts nicht: In meinem eingespielten Team kann ich abgeben und mich auf die nächsten Schritte wie zum Beispiel die neue Speise- oder Weinkarte konzentrieren. Unsere Abläufe sind klar strukturiert – obwohl es nicht so wirkt, weil ich ein kleiner Chaot bin. Alle vier bis sechs Wochen ändern wir das Menü, jeder Gang wird bis ins Detail geplant und visuell dargestellt. An meinen Skizzen arbeite ich oft bis spät in die Nacht: Kreative Eingebungen kommen, wann sie kommen. Am liebsten aber koche ich noch immer. Neue Gerichte oder Klassiker, die ich mit einem Twist in meine berühmten 2.0-Variationen verwandle. Dass diese bei den Gästen ankommen, macht mich stolz.

Dazu haben Sie allen Grund.
Mittlerweile läufts im Hopfenkranz, ja. Wir haben eine gewisse Stabilität erreicht, einen guten Ruf und viele Stammkunden. Aber als wir vor zwei Jahren starteten, mussten wir zahlenmässig echt jonglieren. Im ersten Sommer verzichteten wir auf grosse Betriebsferien und gingen fast hops. Aber wir haben überlebt und aus den Kinderkrankheiten gelernt.

Eine wichtige Rolle spielt dabei Ihre Frau.
Luigina ist eine enorme Stütze und kümmert sich im Hintergrund um sehr vieles wie beispielsweise die gesamte Kommunikation oder die Cateringanfragen, aber auch ums Personal. Ich bin operativ fürs Restaurant zuständig – und ich reisse Sachen an. Fazit: Ich brocke ein, sie badet aus.

Apropos Anreissen: Diesen Sommer überbrückten Sie die Hopfenkranz-Pause mit einem Pop-up, nächstes Jahr bauen Sie das allenfalls aus.
Wir sind bereits wieder in der Planung, ja. Es gibt in Luzern einige Lokale ohne Terrasse. Im Sommer ist das natürlich der Horror. Wenn wir uns nun zusammenschliessen würden, könnten wir etwas richtig Cooles auf die Beine stellen. Wir würden voneinander profitieren: Gemeinsam kommt man weiter.

Sie sind leicht zu inspirieren.
Extrem. Mich inspiriert vieles. Ein Bild, ein Song, ein Video. Oder ein Gespräch. Vielleicht reden meine Mitarbeiter und ich über etwas, das wir erst für lächerlich halten, denken nach – und merken: Die Idee ist gar nicht doof. Dann experimentieren wir wie wild, bis ich sage: So isch geil! Am liebsten würde ich ständig neue Gerichte komponieren. Anfangs hatte ich zwölf Gänge auf der Karte, die ich dauernd wechselte. Gepaart mit meinem Anspruch, immer etwas Neues, etwas Innovatives zu kreieren, wurde das echt anstrengend. Ich merkte, dass mich das körperlich und mental auslaugt.

Rindstatar von der Holzenzucht | Wasabi | Katsuobushi
Sanddorn | weisse Schokolade | Karotte

Ein grosses Thema in Ihrem Leben ist die Kunst: Ihre Eltern führten eine Galerie, Sie legten jahrelang als DJ auf, im Hopfenkranz sind Werke von wechselnden Künstlern zu sehen. Wie prägt das Ihre Küche?
Vielleicht findet sich mal eine Form aus der Kunst auf dem Teller wieder. Jackson Pollocks Splatter-Maltechnik etwa bietet sich dafür geradezu an: Wir hatten in unseren Anfängen hier mal so ein Kürbisgericht auf der Karte. Wir stellten den Teller in eine Gastronormschale und spritzten mit dem Espuma kreuz und quer rein. Die Gäste dachten, ich drehe jetzt voll durch.

Was ist mit Musik?
Sie ist enorm wichtig. Ich bin ein Hip-Hop-Kid, das mit den Jahren zum Techno kam. Mein ganzes Lehrgeld gab ich für Platten aus, und mit meiner Frau zusammen legte ich in unseren wirklich wilden Zeiten als DJ auf. Heute machen wir das noch ein-, zweimal im Jahr. Beim Kochen mag ich treibende Beats, wobei ich generell fast alles gern höre. Momentan zum Beispiel Vivaldi zum Kräutersammeln. Oder Bach.

Bei all den Einflüssen: Wie würden Sie Ihren Kochstil beschreiben?
Als spontan und reduziert. Ich achte auf die Saison und die Regionalität, kaufe ganze Tiere von Bauern, die ich kenne, und verarbeite jedes Stück. Langsam, aber sicher ist mein Publikum offen für meine Küche. Anfangs wunderten sich viele, warum ich keine Edelstücke anbiete – das ist heute kein Thema mehr. Im Grunde koche ich einfach, was ich selbst gern auf einer Karte finden würde. Etwas, das mich flasht.

Was war das zuletzt?
Etwas von Markus Stöckle im Rosi in Zürich – von wem sonst? Ich halte ihn für einen der besten Köche der Schweiz. Sein Rinderriesen ist krass, genau wie seine Version vom Armen Ritter. So simpel, so durchdacht – und schickbar. Das ist mein Ding.

Auch Sie müssen wirtschaftlich denken.
Richtig. Ich habe keinen Grossinvestor im Rücken. Am Ende habe ich das Geld – oder eben nicht. Meistens habe ich es nicht, weil ich es in Produkte oder neue Gerätschaften investiere, um etwas Tolles kochen zu können. Ich sage meinen Köchen immer: Aus Scheisse kann man nun mal kein Gold machen. Für ein gutes Gericht brauchts gute Produkte.

Und etwas Talent beim Anrichten. Sie legen einen bemerkenswerten Sinn für Ästhetik an den Tag.
Danke. Vielleicht wurde mir das Talent dafür in die Wiege gelegt, keine Ahnung. Ich bin einfach ein ästhetischer, visueller Mensch. Wenn ich ein Gericht komponiere und festgelegt habe, welche Komponenten ich verwende, weiss ich nicht nur, wie das Ganze schmecken soll, sondern auch, wie es aussehen wird.

Ihre Frau sagt, Sie seien absolut kompromisslos.
Ich lasse mir nichts sagen, was meine Küche angeht, ja. Ausser manchmal von ihr.

Und Sie hatten nicht einmal das Gefühl, es wäre klüger gewesen, auf jemanden zu hören?
Doch, klar, mehrmals. Aber ich glaube, es sind genau diese «Fehler», die man macht, die einen formen. Ich stehe zu meinen Entscheidungen. Meine Authentizität und Ehrlichkeit hat mir auch schon viel gebracht. Aber ich bin also auch nicht perfekt.

Nein?
Jesses, nein. Gar nicht. Ich bin ein Riesenchaot und ein Wahnsinniger. Meine Mitarbeiter haben es manchmal echt nicht leicht.

Dafür wirkt der Umgang in Ihrem Team bemerkenswert entspannt.
Wir lieben uns. Wissen Sie, ich bin nicht nachtragend. Ich hatte Chefs, die auf einem Fehler wochenlang rumhackten. Das tue ich nicht. Aber von 19 bis 22 Uhr ist bei mir Krieg, da gibts kein Geschwafel, sondern nur ein «Jawohl, Chef». Völlig hierarchisch militärisch. Ich habe da ja ein paar Marotten ...

Zum Beispiel?
Der Lappen muss genau da liegen, wo er hingehört. Und Abtropfteller! Ohne sie geht nichts...

Ihre Ordnungsliebe wird auch in der Mise en place deutlich.
Mega. Ich brauche diese Struktur, weil in meinem Kopf so ein Chaos herrscht. Sonst verliere ich den Überblick. Da bin ich voll der Nerd. Ich schreibe beispielsweise Checklisten wie ein Wahnsinniger. Im Leben bin ich der Chaot, Mega-Rock-‘n’-Roll, ein wilder Siech. Aber in der Küche brauche ich meine fixe Struktur, meine Ordnung und Planung – sonst habe ich Mühe. Für die jungen Leute, die bei mir arbeiten, ist das nicht immer einfach.

Sie bilden seit Jahren Lehrlinge aus. Warum?
Wenn man etwas weiss, soll man das weitergeben. Ich liebe das Ausbilden. Mir ist dabei einfach wichtig, dass die Lehrlinge Interesse haben und sich voll reinhängen. Ich kann keine Leute brauchen, die nicht wirklich wollen.

Und woher nehmen Sie die ganze Energie?
Das ist eine gute Frage, die ich mir selber auch stelle. Ich war schon immer so, leicht hyperaktiv. Das ist einfach meine Art, aber ich habe gelernt, damit umzugehen – und mir auch mal Ruhe zu gönnen. Der Sonntag, zum Beispiel, ist mir heilig: Den verbringe ich am liebsten mit meiner Frau.

Moritz Stiefel (36) hat in der Gastronomie schon einiges probiert, hin und wieder teures Lehrgeld bezahlt – und immer wieder Erfolg gefeiert. Den Kochberuf lernte er im Kreuz in Inwil, einem klassischen Landgasthof mit Sonntagsbraten und einem verständnisvollen Lehrmeister: «Ich war eine 16-jährige Wildsau, die alles andere im Kopf hatte, als zu kochen.» Es folgten Stationen in der «normalen» Gastronomie und schliesslich ein Engagement in der Braui in Hochdorf bei Werner Tobler, der ihn bis heute prägt. Nach zwei Jahren als Souschef hatte Stiefel allerdings «die Schnauze voll» – von der Gourmetgeschichte und davon, nicht Chef zu sein. Er wechselte ins Luzerner Südpol, baute die Gastronomie des Kulturbetriebs auf und gründete mit Freunden eine Cateringfirma. Den ganz grossen Erfolg feierten Stiefel und seine Partner dann im Luzerner Central: «Wir kochten total verrückt und waren die jungen Super-Hyper.» 2011 machte sich der Kreativkopf als Caterer selbstständig und übernahm erste Beratungsmandate. Dann versuchte er sein Glück im Theater Casino Zug: Mit einem schlagkräftigen Team plante er die Punktejagd, fühlte sich von der Betreiberin aber ausgebremst – und wechselte ins Château Gütsch. Hier hiess ihn das Luzerner Publikum mit einem veritablen Ansturm willkommen. Doch erneut standen Stiefel andere Ideen im Weg: Gefragt waren Schnitzel und Curry, keine kulinarischen Experimentalkünste. Also zog der Freigeist weiter und machte mit diversen Pop-ups von sich reden. Im Hopfenkranz nun ist der rastlose Nomade heimisch geworden: Vor zwei Jahren eröffnete er sein Restaurant im der Stadt Luzern gehörigen Traditionshaus.

Stiefels Hopfenkranz, Zürichstrasse 34, 6004 Luzern, 041 410 78 88
www.stiefels.ch

Plakative Kunst
Die Bilder, vor denen Moritz Stiefel posiert, hingen bei unserem Besuch im Gastraum von Stiefels Hopfenkranz. Sie stammen vom Luzerner Plakatkünstler und Freund des Hauses Erich Brechbühl, der zu diesem Zeitpunkt die Wechselausstellung im Lokal bestritt.
www.erichbrechbuhl.ch



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