Ein Koch für alle Klassen

Dennis Puchert war sehr früh sehr erfolgreich. Vor zwei Jahren kehrte der Sterne-Koch dem Gourmetzirkus den Rücken. Bereut hat er den Schritt keine Sekunde.
Interview: Tobias Hüberli – Fotos: Jürg Waldmeier
Veröffentlicht: 22.11.2018 | Aus: Salz & Pfeffer 8/2018
Risotto mit Paprika, Salsiccia, Sbrinz und Bergamotte (First Class)

Was treibt Sie als Koch an?
Dennis Puchert: Es ist eine innere Motivation. Essen ist für alle Menschen etwas Essenzielles. Ohne Nahrung gibt es kein Leben. Die verschiedenen Facetten des Essens haben mich immer fasziniert. Meine Lehre habe ich in einem klassisch österreichischen Restaurant absolviert, aber ich habe auch als Frühstückskoch gearbeitet oder mal ein Praktikum in einer Pizzeria gemacht, einfach weil ich wissen wollte, wie man richtig Pizza macht. Irgendwie treibt mich der Gedanke an, zu versuchen, ein kompletter Koch zu werden. Ich möchte mich nicht auf etwas Spezielles fixieren, also zum Beispiel nicht nur Gourmetküche machen. Mich interessiert alles.

Sie wurden als 25-Jähriger zum jüngsten Koch, der in der Schweiz jemals mit einem Stern ausgezeichnet wurde. Eine steile Karriere.
Das finde ich auch.

Was faszinierte Sie an der Gourmetgastronomie?
Es ist die Perfektion. Und natürlich hat man die Möglichkeit, mit Produkten aus der ganzen Welt zu arbeiten. Die Vielfalt ist unglaublich. In der Gourmetwelt wird alles ins Nonplusultra getrieben, das fand ich spannend.

Und doch kehrten Sie dieser Welt vor zwei Jahren den Rücken.
Entscheidend für mich war, dass ich in der Welt der Gourmetgastronomie meine Ziele erreicht hatte und letztlich eine neue Herausforderung wünschte. Das hat auch damit zu tun, dass ich immer danach strebe, etwas Neues zu tun. Ich suchte eine Aufgabe, bei der ich mein über zehn Jahre erworbenes Wissen einsetzen und mich weiterentwickeln konnte. Das war eine schwierige Zeit für mich. Gefühlsmässig gab es viele verschlossene Türen. Durch Zufall kam ich dann in die Entwicklungsküche von Gate Gourmet.

Dass Sie damals Vater wurden, spielte in der Karriereplanung wohl ebenfalls eine Rolle.
Ja, auch. Ich wollte kein Vater sein, der nur selten zu Hause und wenig greifbar ist. Wer in einem Sternerestaurant arbeitet, ist ständig unterwegs. Da gehts morgens früh los bis spätabends, und an den Wochenenden ist auch noch was los. Damals kam für mich einiges zusammen, und am Schluss ein ziemlich glückliches Ende dabei heraus.

Wie sind Ihre Arbeitszeiten heute?
Das Tagesgeschäft ist ganz anders getaktet. Die meisten Flugzeuge werden vor 18 Uhr ausgerüstet. Wir vom Development-Team unterstützen die Produktion, und die läuft von sechs Uhr bis 16 Uhr.

Was genau macht der Executive Development Chef von Gate Gourmet Schweiz eigentlich?
Das fragen mich ehemalige Kollegen aus dem Gourmetbereich auch oft. Es ist recht komplex. Wir entwickeln das gesamte Food-angebot für Airlines, die den Flughafen Zürich anfliegen. Das kann schnell ziemlich aufwendig werden.

Zum Beispiel?
Gewisse Kunden sagen uns von vorneherein, welche Menüs sie wünschen. Je nach Herkunftsland der Airline sind die dafür nötigen Grundprodukte in der Schweiz aber gar nicht erhältlich, oder sie figurieren nicht einmal im Lebensmittelgesetz. Gerade für arabische und asiatische Gerichte sind gewisse Zutaten aber oft unabdingbar für den richtigen Geschmack. Wenn wir diese Produkte in der Schweiz nicht bekommen, sind wir gefordert, Alternativen zu finden oder ein komplett neues Menü anzubieten. Das ist der eine Teil.

Und der andere?
Letztes Jahr produzierten wir hier in Zürich 66 000 warme Mahlzeiten pro Tag. Wir stellen sicher, dass die Rezepturen korrekt umgesetzt werden, und unterstützen die Produktion, wo es geht. Zu unseren Aufgaben gehört es aber auch, Kochprozesse zu optimieren, neue Küchengeräte zu testen oder neue Food-Konzepte zu erarbeiten.

Es heisst, Gerichte auf 10 000 Metern Höhe müssen stärker gewürzt werden, damit sie schmecken.
Das war einmal. Moderne Flugzeuge wie die Boeing 777 sind so gebaut, dass die Atmosphäre mehr Sauerstoff enthält und somit auch das Geschmacksempfinden nicht leidet. Trotzdem ist die Salzfrage oft zentral. Für Asiaten ist die europäische Küche stark überwürzt. Da arbeiten wir mit ganz anderen Rezepturen.

Wie dachten Sie vor Ihrem Engagement bei Gate Gourmet über das Essen im Flugzeug?
Ich habe eigentlich nur positive Erinnerungen daran, auch weil es damit verbunden war, dass ich in die Ferien flog. Aber ich fragte mich schon damals, wie so etwas funktionieren kann. Man steigt in eine Maschine und sieht 200 Leute in der Economy-Class sitzen, dann schaut man aus dem Fenster und sieht nochmals ein Dutzend Flieger. Es war mir klar, dass es hinter den Kulissen nicht zu- und hergeht wie in einem Restaurant, dass es eine industrielle Dimension haben muss.

Welchen Anspruch haben Sie an sich selbst?
Es kommt auf die Klasse an. Mir ist extrem wichtig, die Erwartungen der Airlines zu erfüllen. Dabei decken wir die gesamte Gastronomie ab, vom Sandwich bis zum Menü in der First Class. Dazwischen ist alles möglich. Mir geht es darum, mit den vorhandenen Mitteln das bestmögliche Ergebnis rauszuholen. Manchmal entscheidet ein bisschen Salz oder Säure über die Balance eines Gerichts, das hat dann nichts mit dem Preis zu tun.

Jakobsmuschel-Tatar mit Schwarzwurzel, Trüffelpüree und Federkohl-Chip (Business Class)
Lammbäckchen mit Pimento-Chorizo-Sauce, Fenchel und Pilzen
Das Entwicklungsteam von Gate Gourmet Schweiz: Tobias Waldmann, Kim Ang Svay, Dennis Puchert und Philipp Dischinger

«Ich merke, dass es mich immer dorthin zieht, wo ich noch Wissenslücken habe.»
Wie hat sich die Flugzeuggastronomie in den letzten Jahren entwickelt?
Der Fortschritt ist gross. Wir arbeiten heute mit der gleichen Küchentechnik wie die Gourmetgastronomie, etwa mit dem Sous-vide-Verfahren. Auch spannen wir viel enger mit den Lieferanten zusammen, definieren etwa neue Schnittformen, um Food Waste zu reduzieren, oder suchen gemeinsam nach Wegen, um gewisse Gerichte überhaupt in die Luft zu kriegen.

Erzählen Sie.
Es ist uns zum Beispiel unmöglich, im Flugzeug rohen Fisch oder rohes Fleisch zu servieren. Trotzdem wollten wir ein Tatar kreieren. Nun beizen oder räuchern wir das Fleisch, um die Richtlinien zu erfüllen. Dieses Jahr haben wir zusammen mit einem Fischlieferanten ein Tataki entwickelt, das sehr nahe an ein echtes herankommt. In diesen Fragen kann ich als Koch immer wieder mein Know-how einbringen.

Was interessiert Sie an Ihrer Aufgabe?
Die Arbeit ist extrem vielschichtig. Ich merke, dass es mich immer dorthin zieht, wo ich noch Wissenslücken habe. Zurzeit beschäftige ich mich relativ stark mit der arabischen Küche. Da will ich alles wissen: Wann kommt Minze dazu? Welche Joghurts verwendet man?

Jetzt mal Hand aufs Herz: Fehlt Ihnen die Gourmetküche wirklich kein bisschen?
Nein. Einerseits fragt man sich dort irgendwann auch jeden Frühling, was man nun mit Spargel und Erdbeeren machen soll, und andererseits arbeitet etwa die Airline Swiss für ihr Konzept Taste of Switzerland abwechselnd mit Spitzenköchen zusammen. Als Nächstes wird Robert Speth vom Restaurant Chesery in Gstaad Menüs für die First und die Business Class kreieren. Da sind wir als Entwicklungsteam direkt involviert. Es gibt also durchaus noch einen Berührungspunkt mit der Spitzengastronomie.

Sie streben stetig nach Neuem, sagen Sie. Welche Zukunftspläne verfolgen Sie?
Aktuell bin ich wirklich glücklich und auch noch nicht fertig mit meiner Challenge hier. Wenn die Zeit reif ist, denke ich, dass sich bei Gate Gourmet als global tätiges Unternehmen sicher einmal die Option bietet, aufzusteigen oder in einen anderen Bereich zu wechseln.

Was schwebt Ihnen vor?
Ich interessiere mich stark für den administrativen Part. Das hat sich in den letzten Jahren herauskristallisiert. Das Entwickeln von Projekten gefällt mir. Dann merke ich, dass ich auch an Sprachen Gefallen finde, nebst Englisch will ich auch Französisch und vielleicht Spanisch lernen. Der Verlauf meiner bisherigen Karriere hat mich aber auch gelehrt, dass ich zwar vorausschauen soll, aber nicht zu weit, weil sich Türen auch auf unerwartete Weise öffnen können.

Dennis Puchert (33) wuchs in Berlin auf. Als 17-Jähriger entschloss er sich gegen eine Karriere als Eishockeyprofi und absolvierte im Brendle’s Gasthaus in Berlin eine Kochlehre. Es folgten mehrere Stationen in Berlin, als Frühstückskoch im mit fünf Sternen prämierten Hotel de Rome Rocco Forte, als Entremetier im Restaurant Parioli sowie in der Patisserie des Hotels Palace unter Matthias Buchholz. 2009 kam Puchert nach Zürich, wo er sich für ein Jahr der Brigade des kurz zuvor eröffneten The Restaurant von Heiko Nieder anschloss. Nach einem kurzen Gastspiel bei Marcus Lindner im Mesa wechselte Puchert 2011 ins wenige Kilometer entfernte Restaurant Spice von Christian Nickel im Hotel Rigiblick. Dort übernahm er als Souschef den Saucierposten und stieg 2012 zum Küchenchef auf. Im gleichen Jahr wurde Puchert zum jüngsten Koch, der jemals in der Schweiz mit einem Michelin-Stern ausgezeichnet wurde. Von Gault & Millau gab es 15, ein Jahr später 16 Punkte. Im Oktober 2016 verliess Puchert die Gourmetgastronomie und übernahm als Executive Development Chef Switzerland die Leitung der Entwicklungsküche des Flughafencaterers Gate Gourmet Schweiz.

Gate Gourmet ist eine Tochtergesellschaft der Gate-group, dem weltweit führenden Airline-Caterer. Pro Jahr verpflegt die Gategroup zirka 700 Millionen Fluggäste in 60 verschiedenen Ländern. Ebenfalls zum Konzern gehören die Firmen Gateretail (Bordverkauf), Servair (Bordverpflegung) und «deSter» (Table-Top-Konzepte).
www.gategroup.com



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