Im Paradies

So mancher Koch trĂ€umt davon, wie Mattias Roock zu arbeiten: Der KĂŒchenchef des Castello del Sole in Ascona bringt nicht nur auf den Teller, was Garten und Gutsbetrieb hergeben, sondern entscheidet auch mit, was dort gedeiht.
Interview: Sarah Kohler – Fotos: Jürg Waldmeier
Veröffentlicht: 18.06.2019 | Aus: Salz & Pfeffer 4/2019
Vielfalt aus dem Garten: Küchenchef Mattias Roock (rechts) und Chefpatissier Charles Piatti richten das Beerendessert an.

«Jetzt kommt schon wieder dieser verrĂŒckte KĂŒchenchef mit irgendeiner Pflanze an.»

Beginnen wir ganz am Anfang, in Ihrer Kindheit: Ihr Bezug zum Ursprung eines Produkts wurde da schon geprÀgt.
Mattias Roock: Das ist richtig, ich wuchs auf dem Dorf auf, meine Eltern fĂŒhren dort heute noch einen Landgasthof, und wir bauten selber an: Kartoffeln, Zwiebeln, verschiedene GemĂŒse, Erdbeeren. Vor meiner Lehre hĂ€tte ich eigentlich das Restaurant von meinen Eltern ĂŒbernehmen wollen.

Aber?
Durch meine Ausbildung wurden mir die KomplexitĂ€t und die VielfĂ€ltigkeit des Kochberufs bewusst, und jetzt ist der Landgasthof zu Hause irgendwie zu klein geworden. Ich landete im ersten Lehrjahr im Gourmetrestaurant des Hotels, da gings fĂŒr mich los: Zuhause schĂ€lten wir die Kartoffeln, hier wurden sie tourniert. Daheim machten wir Kartoffelstampf, hier wurde er durchs Sieb gestrichen. Hier macht einer nur die Beilagen, einer nur den Fisch... Als ich das meinem Vater erzĂ€hlte, konnte ers kaum fassen.

Sie heuerten stets in gehobenen Hotels an. Was gefÀllt Ihnen daran?
Die Vielfalt, denn sie zĂ€hlt beim Kochen. Und ein grosses Hotel hat einfach alles: Morgens startet es mit FrĂŒhstĂŒck, dann kommen das Mittags-und das AbendgeschĂ€ft, es gibt aber auch Bankette, Roomservice, Ausser-Haus-Veranstaltungen, Kochkurse et cetera. Man kriegt richtig grosse Lieferungen von Fisch oder kann auch mal ein ganzes Tier verarbeiten.

Ihre Stationen wĂ€hlten Sie – so scheints zumindest – immer so, dass Sie dabei etwas Neues lernen.
Auf jeden Fall, das wĂŒrde ich jedem empfehlen. Mir gings aber immer auch darum, in einem Betrieb zu kochen, der wirtschaftlich arbeitet. Ich suchte Restaurants, die den Umsatz generieren, den es braucht, um ihre Kosten selber zu decken.

Warum ist das wichtig?
Weil ich mein Geld verdienen und nicht von jemandem abhĂ€ngig sein möchte, der mir wohlwollend mein Gehalt zahlt, weil er mich fĂŒr einen tollen Typen hĂ€lt oder unbedingt ein Restaurant als Statussymbol braucht. Ein Betrieb soll sich selber tragen, das ist fĂŒr mich der springende Punkt. In Hotels ist das einfacher als in eigenstĂ€ndigen Restaurants. Aber auch hier möchte ich, dass das Lokal, in dem ich arbeite, gut lĂ€uft: Und ich meine damit nicht nur wegen der Publicity oder von den Auszeichnungen her, sondern dass sie effektiv voll sind und jeden Abend ordentlich was geschickt wird.

Was im Castello del Sole gegeben ist?
Uns wirds hier ganz bestimmt nicht langweilig (lacht). Aber zurĂŒck zur Auswahl meiner Stationen: Neben der Wirtschaftlichkeit zĂ€hlte fĂŒr mich auch, dass ich Sprachen und Kulturen kennenlernen kann. Zum Beispiel gibts weltweit sehr viele Asiaten, also wollte ich mir das vor Ort einfach mal anschauen und verstehen, wie sie funktionieren. Deshalb zog ich nach Schanghai. So war das auch mit dem Wechsel nach Katar: Hier lernte ich vieles ĂŒber die arabische Kultur, das ich vorher nicht verstanden hatte.

Zum Beispiel?
Wenn Menschen aus dem arabischen Raum hier im Restaurant mit dem Finger schnippen, kommt das in der Regel nicht gut an. Ich hatte damit auch so meine MĂŒhe. Heute weiss ich, warum sie es tun. Sie wachsen mit Bediensteten auf, haben als Kind eine Nanny, einen Chauffeur, jemanden, der den Rasen mĂ€ht, und einen, der das Essen kocht. Was fĂŒr uns herablassend wirken mag, ist fĂŒr sie völlig normal. Wenn man das System kennenlernt, kann man das anders einordnen. WĂ€hrend meiner Zeit in St. Moritz war ich auch in Russland, um herauszufinden, was russische GĂ€ste wollen. Ich arbeitete vier Wochen in Moskau und St. Petersburg in der KĂŒche, ging auswĂ€rts essen, schaute mir die MĂ€rkte an. Mein Interesse fĂŒr die verschiedenen Kulturen hat ĂŒbrigens ganz lapidar auch damit zu tun, dass ich Geld verdienen möchte: DafĂŒr muss ich wissen, was der Kunde haben will.

Nun spielen die Saison und die Region in Ihrer KĂŒche ja eine wichtige Rolle – muss sich der Gast mit seinen BedĂŒrfnissen da auch mal unterordnen?
Was die Saison angeht, ist es einfach: Die Natur gibt vor. Bei uns hat der Gast aber stets Alternativen. Das Konzept der Locanda Barbarossa ist nicht komplett auf RegionalitĂ€t und SaisonalitĂ€t ausgerichtet, sondern lĂ€sst die Wahl: Das MenĂŒ «Sapori del nostro orto» spiegelt Jahreszeit und Umgebung, im internationalen A-la-carte-MenĂŒ finden die GĂ€ste nach wie vor Steinbutt, Hummer oder TrĂŒffel. Und beispielsweise unser SoufflĂ© mit marinierten Beeren, das seit 40 Jahren auf der Karte steht: Wenn die Beeren im Garten noch nicht reif sind, werden sie halt zugekauft.

Geräucherter Zander aus dem See – Karotte in Vielfalt – Szechuan-Pfeffer – Estragon
Geräucherter Zander aus dem See – Karotte in Vielfalt – Szechuan-Pfeffer – Estragon
Beerenvielfalt aus dem Garten – Mascarponemousse, Eiscrème
Tessiner Perlhuhn – Zucchini, Peperoni, Polenta

Überhaupt: Dass ein Produkt lokal ist, reicht nicht aus, sagen Sie.
Genau. Entscheidend ist immer auch die QualitÀt, die stimmen muss. Die NÀhe ist zentral, allein aber nicht gut genug.

Inwiefern ist Einmachen fĂŒr Sie denn ein Thema?
Das ist ein wichtiger Punkt: Wir versuchen, den Geschmack des Gartens einzufangen, und da spielen eingemachte Produkte eine SchlĂŒsselrolle. Wir stellen Marmeladen aus unseren FrĂŒchten her und fermentieren die BaumnĂŒsse selber. Wir mischen KrĂ€utersalze, produzieren Holundersirup und hausgemachten Eistee mit Melisse und Minze fĂŒr die Bar. Wir kochen Tomatensauce und Chutneys, die wir konservieren, und stellen unser eigenes Basilikumpesto her. Wir machen Yuzu-Limoncello, Grappa von der Uva americana und Nussliköre. Der Garten beeinflusst unsere Arbeit stark. Ich gehe auch regelmĂ€ssig mit unseren GĂ€rtnern durch und schaue, was gedeiht, was reif ist.

Der richtige Zeitpunkt ist entscheidend?
Unbedingt. Die Beeren zum Beispiel pflĂŒcken wir erst, wenn sie fast vom Strauch fallen. Dann kommen sie am Abend direkt zum Gast; die haben nie einen KĂŒhlschrank von innen gesehen. Generell ist es bei uns so, dass jeder, der ein Produkt braucht, es im Garten selber besorgt: Der Gardemanger pflĂŒckt die KrĂ€uter und Radiesli, der Patissier holt Minze, Melisse oder Beeren, der Saucier erntet Rosmarin und Thymian. Ausserdem arbeite ich eng mit dem GĂ€rtner zusammen. Der Arme denkt sich manchmal vermutlich: Jetzt kommt schon wieder dieser verrĂŒckte KĂŒchenchef mit irgendeiner Pflanze an.

Das ist ein springender Punkt: Sie nehmen Einfluss darauf, was rund ums Castello del Sole angebaut wird.
Das darf ich, ja. Weil wir hier kein klassisches Farm-to-table-Konzept fahren, können wir im Prinzip alles ziehen, was wir wollen – solange es wĂ€chst. Und je interessantere Sachen wir anbauen, umso spannender wird das MenĂŒ. Jetzt haben wir zum Beispiel selber Ingwer und Zitronengras, Pilzkraut oder eben den Szechuan-Pfeffer, der dem Zander-Gericht den nötigen Pepp verleiht. Ausserdem pflanzten wir ein paar Exoten: einen Currybaum, zum Beispiel, Eukalyptus, Zitronenmyrte
 Mal schauen, wie das wird. Ein Garten braucht immer auch Geduld. Bis wir die GranatĂ€pfel aus unserem Garten ins MenĂŒ einarbeiten können, dauert es wohl noch ein, zwei Jahre. DafĂŒr sind dieses Jahr die Maulbeeren parat: Letztes Jahr hatte ich vielleicht 20 StĂŒck, nun hĂ€ngen an einem Ast schon rund 50. Diese Vielfalt ist toll. Dazu kommt, dass wir nicht nur Kartoffeln und neu Quinoa anbauen, sondern auf dem Gutsbetrieb nebenan auch unseren eigenen Reis und Polentamais.

Und wie lÀuft denn Ihre Zusammenarbeit mit Ihren externen Produzenten?
Sehr gut. Am Anfang, als ich das Orto-MenĂŒ lancierte, war ich viel unterwegs, besuchte die Bauern, stellte mich und unser Konzept vor. Heute klopfen auch mal Produzenten bei mir an; das ist schön. Wir suchten Menschen, die mit der gleichen Leidenschaft an Werk sind wie wir – und fanden sie. Inzwischen arbeite ich mit Herstellern zusammen, bei denen einerseits das Produkt in seiner QualitĂ€t passt, andererseits auch das GefĂŒhl stimmt. Mein Perlhuhn-Produzent ist so einer. Dank ihm haben wir neu ein Perlhuhn-Onsenei auf der Karte.

Spannend.
Total. Allein so eins zu kriegen, ist schwierig. Der Fettgehalt ist höher, das Eigelb cremiger, der Eiweissanteil kleiner. Das Perlhuhnei ist ein perfektes Beispiel fĂŒr ein Produkt, das nicht nur eine gute Geschichte hat, sondern auch eine TopqualitĂ€t – und das man sonst nirgends bekommt.

Sie sind gern ein bisschen anders.
Ich hatte immer schon meinen eigenen Kopf und gehe die Sachen gern auf meine Art an, ja.

Warum?
Wenn man etwas wie alle anderen anpackt, kann man verglichen werden. Das war schon in meiner LehrprĂŒfung ein Thema.

ErzÀhlen Sie.
Wir bekamen damals als einer der ersten JahrgĂ€nge einen Warenkorb. Die PrĂŒfer suchen die Lebensmittel ja so aus, dass man daraus eigentlich nur ein Gericht machen kann, damit sie ein bestes Resultat kĂŒren und die anderen abstufen können. Wir sechs PrĂŒflinge erhielten also unseren Warenkorb mit Griess fĂŒr ein Dessert, die Experten wollten natĂŒrlich ein Flammerie sehen. Am Ende standen da tatsĂ€chlich auch fĂŒnf davon. Und meine GriesscrĂšme.

Mattias Roock (38) stammt aus Norddeutschland, wo seine Eltern in zweiter Generation einen Landgasthof fĂŒhren und er als Kind schon einen engen Bezug zum Anbau von Lebensmitteln sowie zur Gastronomie entwickelte. Sein Start ins Berufsleben ist beispielhaft: Lehre im Atlantic Kempinski in Hamburg, Goldmedaille an den World Skills in Seoul, Olympiasieg mit der deutschen Jugend-Nationalmannschaft. Im Hotel Giardino in Ascona schnupperte Roock 2002 erstmals Tessiner Luft, bevor er in Gordon Ramsays Sternelokal Claridge in London anheuerte. Anschliessend studierte er am Culinary Institute of America in Kalifornien und New York, und im Alter von 23 Jahren hielt Roock sein KĂŒchenmeister-Diplom in den HĂ€nden. Es folgte eine Souschef-Stelle im Steigenberger Hotel Frankfurter Hof und schliesslich der Wechsel ins Kempinski Grand Hotel des Bains in St. Moritz: Hier blieb Roock sieben Jahre, stieg als Souschef ein und wurde mit 28 zum jĂŒngsten Executive Chef der Kempinski-Gruppe weltweit. 2013 zog er fĂŒr seinen Arbeitgeber nach Schanghai und ein gutes Jahr spĂ€ter nach Doha, wo er das Kempinski Hotel Marsa Malaz mit Auszeichnungen eröffnete. Seit 2017 ist Roock wieder im Tessin: Im FĂŒnf-Sterne-Hotel Castello del Sole in Ascona trat er in die (grossen) Fussstapfen von Othmar Schlegel, die er mĂŒhelos und in seiner eigenen Art ausfĂŒllt. Unter anderem lancierte Roock das fĂŒnfgĂ€ngige MenĂŒ «Sapori del nostro orto» (GeschmĂ€cker aus unserem Garten), in dem er die Produkte aus dem Hotelgarten und vom zugehörigen Gutsbetrieb Terreni alla Maggia in Szene setzt. Roock ist amtierender Gault-Millau-Aufsteiger des Jahres im Tessin, hĂ€lt im Gourmetlokal Locanda Barbarossa 18 Punkte sowie einen Michelin-Stern.

Castello del Sole
Via Muraccio 142, 6612 Ascona
091 791 02 02
www.castellodelsole.com



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