Mut und Demut

Ein Gespräch mit Markus Stöckle ist wie ein Essen von ihm: lustig und lustvoll, sinnlich und sinnvoll. Es inspiriert, regt zum Denken an – und man hätte bitteschön gern mehr davon.
Interview: Sarah Kohler – Fotos: Jürg Waldmeier
Veröffentlicht: 21.08.2018 | Aus: Salz & Pfeffer 5/2018
Armer Ritter mit Muscheln und Schinken nach Johann Rottenhöfer

«Ich wollte unbedingt Kadaver aus dem Zoo verkochen.»
Als Koch, sagen Sie, sei es wichtig, sich selber nicht so ernst zu nehmen. Warum?
Markus Stöckle (MK):
Man ist doch einfach, was man ist. Ich bin ein Bauernbub aus dem Allgäu und hatte das Glück, beruflich von einem Ort quasi zum nächsten gereicht worden zu sein. Das hatte nicht nur mit meinem eigenen Drive und meinem eigenen Research zu tun, sondern auch mit glücklichen Zufällen und der Unterstützung der Leute um mich herum. Das ist das eine.

Was ist das andere?
MK:
Wir sind sieben Milliarden Menschen auf dieser Welt, und es werden immer mehr. Da erfinde ich das Rad doch nicht mehr neu; alles, was ich mache, baut auf dem auf, was schon da ist. Nichts entsteht im Vakuum. Deshalb macht es mir Freude, zu entdecken, was da war – und herauszufinden, was noch kommt.

Die Historie spielt in Ihrer Küche eine grosse Rolle – etwa bei den Gerichten nach Johann Rottenhöfer, der im 19. Jahrhundert als Leibkoch von König Ludwig amtete.
MK:
Das hat mit meiner persönlichen Neugier zu tun, ja. Ich schaue mir gern alte Rezepte an, aber nicht nur. Meine Ideen kommen von verschiedenen Seiten.

Zum Beispiel?
MK: Das kann vieles sein. Vor zwei Jahren zum Beispiel dachte ich mit Patrick Marxer zusammen an einer Idee herum. Ich wollte unbedingt Kadaver aus dem Zoo verkochen.

Wie kommen Sie darauf?
MK: Es gab in den Sechzigerjahren einen legendären Koch in Berlin, der total crazy Sachen machte. Er servierte ein Gericht im Schildkrötenpanzer, hatte Bärentatzen auf dem Menü, brachte tote Tiere vom Berliner Zoo auf die Teller der High Society. Da merkt man, wie nah High End und Scheisse sind. Solche Geschichten reizen mich wahnsinnig. Ich fragte den Zoo hier auch an; das Telefongespräch fiel sehr kurz aus.

Im Rosi setzen Sie kulinarisch voll auf Ihre Heimat Allgäu. Was fasziniert Sie daran?
MK: Ich finde die bayrische Küche in all ihren Facetten spannend. In meine Küche fliesst aber auch ein, dass wir Kinder der Neunziger sind, oder der Achtziger, der Siebziger ... Da gibts Referenzen, die für alle gelten, und wir müssen uns nichts vormachen: Bis zu einem gewissen Grad wuchsen wir mit der Industrialisierung auf. Daraus ergeben sich interessante nostalgische Aspekte – wie die Rinder-Riesen, die wir schon im Pop-up-Projekt Wild Bar auf der Karte hatten.

Was ist damit?
MK:
Die Riesen von Storck, diese Karamellguetzli mit Schokoladenüberzug, ass schon mein Vater. Und ich liebte sie als Bub. Wir entwickelten das Konzept einfach weiter; wir kochten den Schokoladenkaramell mit Rinderjus runter, gaben etwas Hefe dazu, um das fleischige Aroma zu pushen ... Da arbeiten wir dann schon komplex.

Sie suchen die Komplexität im Einfachen.
MK: Genau. Dabei gehen wir ins Detail, da zeigt sich unsere Erfahrung aus dem The Fat Duck. Bleiben wir beim Beispiel mit den Riesen: Wir pröbelten lange herum, ersetzten die Butter, probierten aus, was man alles austauschen kann, schauten, wie extrem wir werden können. Wie viel Jus erträgt das Ganze? Was passiert, wenn wir dunkles Bier beigeben? So entstand ein Schokoladenkaramell, der nicht mehr nur süss und rahmig ist, sondern elegant, mit einer von der Hefe unterbauten Specknote. Er hat Power – von links nach rechts, in vielen Schichten, die sich aufbauen, sodass der erste Bissen anders schmeckt als der letzte. Dabei schauen wir nicht ständig, obs noch eine crunchy Komponente braucht oder so ... Wir reden eher von Kiki und Buba.

Kiki und Buba?
MK: Der Kiki-Buba-Effekt ist ein wissenschaftlicher Term, den wir im The Fat Duck kennenlernten, eine Art Yin und Yang beim Geschmack: Buba ist blasenförmig, weich, rich und velvety. Kiki ist spitz, scharf, säurehaltig. Das versteht man intuitiv, nicht? Wir sind analytisch, wenns um die Sinnhaftigkeit eines Gerichts geht – es muss smart, darf nicht dumm sein –, aber bei der Komposition verlassen wir uns auf unsere Intuition. Im kreativen Prozess läuft viel zwischen Elif und mir. Im Bett. Also wenn wir nebeneinander liegen. Zu den historischen Recherchen kommen unsere Geschichten, die in die Rosi-Gerichte einfliessen: Woran wir uns erinnern, woher unsere Familien kommen, was wir erleben.

Hendlsulz mit Madeira und Kräutervinaigrette, gewürzter Hendlcracker
Kabeljaukrebs mit Bergamotte
Obatzter
Fichte (von Elif Oskan)

«Ich durfte diesen Monat zum ersten Mal Kaviar kaufen.»
Im eigenen Restaurant müssen Sie kreativ, aber auch wirtschaftlich arbeiten. Wie gelingt Ihnen das?
MK: Das ist ein zentraler Aspekt, der mich durchaus inspiriert. Wichtig ist mir besonders die Verantwortung für die Angestellten, die bei uns auch etwas lernen sollen. Das Ziel ist es, dass wir nicht nur am Backhendl nach Johann Rottenhöfer, sondern eben auch an den Speckbohnen, die wir dazu servieren, Freude haben. Wenn das passt, ist es amazing. Da muss es auf dem Teller nicht immer gleich aussehen; im Rosi sind wir ehrlich, geerdet und bodenständig. Natürlich streben wir nach Perfektion, aber wenn ich wollte, dass es immer so ausschaut wie bei mir selbst, könnte ich keinen Tag mehr freimachen und hätte keine Zeit, um Gerichte zu entwickeln.

Dass Sie das tun können, dafür sorgt nicht zuletzt Elif Oskan, die an Ihrer Seite und im Rosi einen Schritt zurücksteht. Wie ist das denn für Sie?
Elif Oskan (EO):
Das Rosi ist wirklich in erster Linie eine Plattform für Markus; es geht um seine Wurzeln, seine Küche. Ich arbeite mit, kümmere mich nach wie vor um die Desserts, bringe mich aber auch als Gastgeberin an der Front ein und mache einen Teil der Administration. Ich hatte mich von Anfang an total darauf gefreut, mich mit der Wirtschaftlichkeit zu beschäftigen: Das ist spannend. Voll verrückt zu kochen und ein wunderbares Produkt in seine Einzelteile zu zerlegen, um daraus was Abgefahrenes zu kreieren, ist eine Kunst – aber das grosse Ganze zu sehen, ist eine andere Liga. So ans Kochen heranzugehen, dass am Ende alles stimmt – auch die Rechnung.
MK: Ich durfte diesen Monat ja zum ersten Mal Kaviar kaufen. Elif hats mir erlaubt.

Einen Fokus legen Sie beide auf die Schulung Ihrer Angestellten. Was heisst das?
MK: Wir haben nach einem halben Jahr alle Mitarbeiter auf einer Wellenlänge – das ist schon mal super. Jetzt möchten wir ihnen ein bisschen mehr mitgeben. Wir führen Topic Days ein, an denen wir in einer Art Masterclass Verschiedenes thematisieren: Beef, vielleicht, oder auch mal das Ei. Wir erzählen dann, was wir darüber wissen, was wir im The Fat Duck gelernt haben, jeder gibt seinen Senf dazu, es entsteht eine offene Diskussion.
EO: Jeder, der bei uns eine Zeit lang gearbeitet hat, soll etwas mitnehmen: moralisch oder inhaltlich. Ich selbst merke nach und nach, was ich in den verschiedenen Betrieben, in denen ich arbeitete, gelernt habe – und wenns die blosse Erkenntnis war, was ich nicht möchte. Mir kommen immer wieder Sätze in den Sinn, die ich früher mal von einem Chef hörte, damals nicht verstand und jetzt plötzlich begreife.

Zum Beispiel?
EO: Eine Szene werde ich nie vergessen. Da schmiss ein Küchenchef einen Teller für 150 Franken durch die Küche. Es braucht sicher viel, um sich derart zu ärgern, und man könnte sich definitiv besser im Griff haben – aber wenn ich mir heute vorstelle, so wütend zu werden, weil einer ein Stückchen Butter in den Abfall wirft ...
MK: ... und dann schmeisst man einen Teller für 150 Franken.
EO: Ich verstehe heute noch nicht, warum man einen Teller wirft. Aber ich kann nachvollziehen, dass das Wegschmeissen von Butter so wütend macht.

Als Sie Anfang Jahr das Rosi eröffneten, gabs darum einen ziemlichen Hype – Vorschusslorbeeren inklusive. Wie war das für Sie?
MK:
Die ersten Monate waren fantastisch, die ganze Aufmerksamkeit war fürs Rosi sicher sehr gut.

Und für Sie persönlich?
MK:
Die Anspannung war schon gross.
EO: Ich bin müde, das gebe ich zu. Aber was uns der Hype bescherte, war ein breites Publikum mit neuen Menschen – auch solchen, die vielleicht nicht so foodaffin sind und deren Wege sich mit den unseren nicht so schnell gekreuzt hätten.
MK: Für uns alle drei ist das Rosi halt einfach eine Herzensangelegenheit – weil es um unsere Familien und Freundschaften geht, um unsere Herkunft, gepaart mit dem Handwerk, das wir in den vergangenen Jahren lernen durften.

Dazu passt das andere Herzensprojekt: Sie wollen schon lange ein türkisches Restaurant in Zürich aufmachen. Jetzt wirds langsam konkret.
EO:
Das ist richtig. Wir werden Anfang 2019 zusammen mit unserem guten Freund Valentin Diem ein türkisches Lokal eröffnen. Damit erfüllt sich für uns ein inniger und langjähriger Wunsch – die Planung dauert schon knapp drei Jahre. Mit dem Rosi fanden wir für Markus einen Platz, um kulinarisch heimzugehen. Mein Platz kommt mit dem neuen Projekt. Ich stamme aus einer so schönen Kultur, in der dem Essen der grösste Respekt gebührt – dafür möchte ich mit einem türkischen Restaurant auch Danke sagen.
MK: Und der Food ist Bombe.
EO: Die türkische Küche ist komplex, vor allem aber hat sie Tiefsinn. Sie steckt voller Emotionen und darf auf keinen Fall zu analytisch behandelt werden.
MK: Also mein Zugang ist schon ziemlich analytisch.

Da tauschen Sie beide die Rollen, nicht?
MK:
Absolut. Die türkische Küche, wie sie sich mir über Elifs Mutter eröffnete, ist der Wahnsinn. Im Labor vom The Fat Duck schauten wir uns stundenlang Rezepte für Maras Dondurma (türkische Glacespezialität) an, analysierten die Inhaltsstoffe, pröbelten mit Geliermitteln, um die Konsistenz zu erreichen – nichts funktionierte. Dann lernte ich Elif kennen und erfuhr, dass ein Teil ihrer Familie aus Maras ist. Da wusste ich: Das hält für ewig.

Der Werdegang von Markus Stöckle sagt über dessen Talent schon einiges, der Rest wird spätestens beim Essen klar: Der 30-Jährige tingelte seit seiner Kochlehre im heimatlichen Allgäu durch diverse Meisterküchen, amtete in München beispielsweise als Chef de Partie in Alfons Schuhbecks Südtirolerstuben, schaute in Belgien Chocolatier Dominique Persoone über die Schultern und war Teil diverser Pop-up-Events mit Albert Adrià, wirkte in Stockholm in der Küche des Frantzén und in den Niederlanden bei Sergio Hermann im Old Sluis. Die prägendste Station absolvierte er in Grossbritannien: Fünf Jahre arbeitete Stöckle im The Fat Duck von Heston Blumenthal, zwei davon in der Entwicklungsküche in Bray. Hier lernte er auch Elif Oskan (29) kennen und lieben, mit der er seither als durchaus erfolgreiches Doppelpack durchs Leben schreitet. Die beiden gründeten in Zürich das Glace- und Dessertcatering Miss Marshall und waren Teil diverser Pop-up-Projekte.

Im Januar eröffneten sie zusammen mit Patrick Isler das erste eigene Restaurant: Im Neo-Wirtshaus Rosi frönt Stöckle seiner Heimat als «bayrisches Absurdistan» und zeigt in allen Facetten, was er kann. Oskan, der als Gesicht von Miss Marshall in der Vergangenheit deutlich mehr Aufmerksamkeit zufiel, tritt im Rosi nun in die zweite Reihe: Sie verantwortet zwar nach wie vor die Desserts, wirkt in der Hauptrolle aber als Gastgeberin und kümmert sich gemeinsam mit Isler um die Administration.

Rosi 
Sihlfeldstrasse 89, 8004 Zürich
044 291 68 25
www.rosi.restaurant



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