Sie wills wissen

Sandra Knecht kocht, um die Welt zu verstehen. Im Interview spricht die Künstlerin über eine Kindheit mit Demeter-Essen, Jugendliche mit Integrationsproblemen und erwachsene Männer, die sich aufplustern.
Interview: Sarah Kohler – Fotos: Jürg Waldmeier
Veröffentlicht: 19.03.2019 | Aus: Salz & Pfeffer 2/2019
Verkohlte Orange, Vogelbeeren, Birnell

«Für mich ist Kochen ein Weg, zu überprüfen, wo ich selbst stehe.»
Vor kurzem wurde der Chnächt, das Lokal für Ihre kulinarischen Happenings, von einer Jugendbande zerstört. Was jetzt?
Sandra Knecht:
Es ist schrecklich; die Gang brach an zwei Wochenenden in die Scheune ein und machte sie beim letzten Mal völlig kaputt. Anschliessend kündigte mir die Versicherung. Mir bleibt also nichts anderes übrig, als den Chnächt aufzugeben. Aber vielleicht ist es an der Zeit: Ich begann vor zehn Jahren, mich mit Heimat und Identität zu beschäftigen, und baute den Ort in diesem Kontext auf. Nun interessieren mich aber zunehmend auch andere Sachen. Ich glaube, ich ziehe im Sommer vorerst mein künstlerisches Fazit zum Heimatbegriff – und mache dann etwas Neues.

Eine grosse Reise steht an.
Genau, das ist mal wieder so ein knechtsches Experiment. Ich spanne zwei meiner vier Geissen – Otto und Hugo – vor einen kleinen Wagen und mache mich mit ihnen quasi auf den Weg eines Handelsreisenden von anno dazumal. Wir marschieren vom Hafen in Basel bis ins Val Lumnezia, wo ich für eine Ausstellung eingeladen bin. Im Gepäck habe ich drei Liter selbst gebrannten Burgermeister und ein getrocknetes Geissenbein, die ich unterwegs gegen andere Lebensmittel eintausche. Am Ende koche ich auf einem Maiensäss im Val Lumnezia während einer Woche, was ich auf dem Weg erstanden und gefunden habe.

Klingt abenteuerlich. Was kommt danach?
Das Thema Diversität hat mich gepackt. Biodiversität zum einen, aber auch die Diversität von Produkten – und jene innerhalb eines Lebensmittels. Mich interessieren die verschiedenen Identitäten.

Lebensmittel haben eine Identität?
Auf jeden Fall. Das ist mit ein Grund, warum ich keine Kälber, Lämmer oder Gitzi essen und verkochen will. Die haben ihre geschmackliche Identität noch gar nicht entwickelt. Aber von wegen Diversität: Ich möchte anfangen, Produkte in Editionen herzustellen. Also: ein Tier, ein Rezept. Oder: eine Pflanze, ein Rezept. Kürzlich verwurstete ich eine Rehgeiss mit auf ihr Fleisch abgestimmten Gewürzen. Dann eine Ziege, einfach mit anderen Zutaten. Als Nächstes würde ich am liebsten eine alte Kuh verwursten. Wenn im Frühling die Wildpflanzen wuchern, kanns auch gut sein, dass ich mich denen widme.

Sie beschäftigen sich intensiv mit Essen, betonen aber, Sie seien keine Köchin.
Ich bin Künstlerin, ganz simpel. Und ich koche, um Sachen herauszufinden. Als Köchin im gastronomischen Sinn sehe ich mich nicht, obwohl ich auch in Profiküchen arbeitete. Ich war mit 20 Küchenchefin bei McDonald’s.

Da haben Sie sicher einiges gelernt.
Durchaus. Zum Beispiel, dass McDonald’s damals eine super Lehre in der Systemgastronomie anbot. Jugendliche, die nicht so gut rechnen konnten oder Probleme mit der deutschen Sprache hatten, bekamen selbstverständlich Nachhilfeunterricht – während sie andernorts schon im ersten Jahr als billige Arbeitskräfte die kalte Küche übernehmen mussten.

Apropos: Wäre eine eigene Beiz etwas für Sie?
Nie im Leben!

Warum nicht?
Immer mit den Gästen? Nein, nein ... Ich bin so gern allein und habe meine Ruhe. Wissen Sie: Ich rede gern, aber am liebsten rede ich nicht. Ich brauche viel Zeit zum Nachdenken, für meine Inhalte und Ideen.

Worüber haben Sie zuletzt nachgedacht?
Kürzlich fragte mich Viva con Agua, ob ich den traditionellen Brunch an der Art Basel mit zwischen 800 und 1000 Gästen ausrichten wolle. Ich sagte zu und suchte nach einer passenden Idee. Ich werde da nun einen ausgehöhlten 150-Kilo-Eisblock aufstellen, in den Gletschermilchpulver und Wasser kommen. Dann gibts für jeden Gast einen Gletschermilch-Shot. Das ist für mich die Essenz dessen, wofür sich die Organisation einsetzt. Eine Botschaft in ein Essen verpackt auf den Punkt zu bringen, ist toll – braucht aber Zeit und Energie.

Energie, die sie gern aufbringen?
Unbedingt! Und ich mag, dass sich keins meiner Projekte wiederholt. Der Gastronom braucht ja Teller, die immer gleich aussehen, und Essen, das konstant schmeckt. Ich hingegen setzte im Chnächt kein Rezept zweimal um. Für mich ist Kochen auch ein Weg, zu überprüfen, wo ich selbst stehe. Früher nahm ich Mixtapes auf, und wenn ich die hörte, wusste ich genau, wie ich mich beim Zusammenstellen gefühlt hatte. Ähnlich ist das heute mit meinen Essen.

Sie hätten im Chnächt aber auch Erwartungen enttäuscht, sagen Sie selbst. Warum?
Klar. Zum Beispiel in Bezug auf die Portionen. Ich koche oft ohne Kohlenhydrate und ohne Zucker, und ich glaube, dass das bei manchem Gast das Gefühl hinterlässt, er sei nicht satt. Aber bei den «Immer wieder sonntags»-Events gehts mir um die Essenz eines Produkts, da will ich keinen Magenfüller wie Brot nebendran. Brot gibts bei mir nur, wenn es als Teil eines Gerichts Sinn ergibt. Dafür kommen immer mindestens drei Getreide auf den Tisch – oft einfach als Korn. Aber manche Leute verwechseln Heimatküche mit Comfort Food.

Was meinen Sie damit?
Die regen sich auf, wenn sie in den Chnächt kommen, weil sie erwartet haben, dass sie in ein wohlig-warmes Setting geraten und da selig und satt wieder herauskommen. Das alles gibts bei mir aber nicht unbedingt. Ich erinnere mich an einen Gast, der total hässig wurde, weil es an diesem Abend ausgerechnet ein getrocknetes Ziegenherz gab. Aufgeteilt auf 30 Personen. Das passte ihm überhaupt nicht. Es gehört aber zu meiner Art, Heimatküche zu erforschen.

Schwarzer Rettich, Alpenbutter, Essig, wilder Kümmel, Fleur de Sel
Schwarzer Rettich, Alpenbutter, Essig, wilder Kümmel, Fleur de Sel, Kirschholzsirup
Zander, schwarzer Reis, Kurkuma, Ingwer, Zitrone, Kirschholz, Rauch

«Ich erkannte, was Heimat bedeutet, wenn man flüchten muss.»
Was ist denn nun Heimatküche?
Für mich ist es einerseits das, was ich finde, wo ich lebe. Andererseits es ist der Ort, an dem ich emotional und geschmacklich zuhause bin.

Das müssen Sie erklären.
Lassen Sie mich ausholen: Ich arbeitete über 20 Jahre als Sozialpädagogin, hauptsächlich mit männlichen Jugendlichen zwischen 14 und 21 mit Integrationsproblemen. Elterngespräche waren problematisch, viele Eltern kamen nicht zu uns ins Büro, sie sprachen kaum Deutsch, hatten Angst vor Autoritäten respektive Behörden und wussten nicht, was die offene Jugendarbeit eigentlich ist. Ich bat also die Jugendlichen, ihre Mütter zu fragen, wie man beispielsweise Börek zubereitet – und liess mir das bei ihnen zuhause zeigen. Das war super: Ich lernte die Balkan-, aber auch die iranische oder die libanesische Küche in ihrer ganzen Vielfalt kennen, während ich mit den Müttern über die Probleme ihrer Söhne sprechen konnte. Die eigentliche Folge des Ganzen ist nun aber, dass ich für mich herausfand, dass auch der Balkan meine geschmackliche Heimat geworden ist – in der Art, wie ich zum Beispiel Gewürze kombiniere.

Sie erkannten, dass Sie im Balkan zuhause sind?
Nun ja, ich hatte mich so lange mit den Jugendlichen und ihrer Lebenswelt beschäftigt, dass ein Teil ihrer Kultur in mich übergegangen war: auch Begrifflichkeiten wie Ehre und Stolz. Oder Rache. Das färbte schon ab. Und ich erkannte, was Heimat heisst, wenn man flüchten muss: Was man mitnimmt, was übrig bleibt. Essen, zum Beispiel.

Wie war das Essen in Ihrer Kindheit?
Ich wuchs in der Nähe von Sternenberg im Zürcher Oberland auf, auf dem Bauernhof nebenan lebten Andreas und Daniela Ott, Pioniere der biodynamischen Landwirtschaft. Meine Mutter kaufte im Bioladen ein, es gab Harmona-und Demeter-Essen. Im Prinzip wuchs ich makrobiotisch auf. Ich war jedoch sportlich unterwegs und brauchte Eiweiss. Deshalb fing ich mit 13 an, in der Dorfmetzg zu arbeiten: In der Nacht auf Samstag wurstete ich jeweils, mittwochs war Ausbeinen angesagt. Die Ferien verbrachte ich im Landdienst im Schächental, wo ich mit den Bäuerinnen kochen lernte.

Das sind starke Prägungen.
Definitiv, und in der Kunst wie beim Kochen ist es wichtig, dass man sich selbst verorten kann. Die Vielfalt der Getreidearten etwa musste ich nicht entdecken, die kannte ich als Kind schon. Aber ich wills ja immer genau wissen. In meiner Forschung bin ich eine Pedantin.

Hat Ihre Beschäftigung mit Kunst Ihren Zugang zum Kochen verändert?
Das hat sie definitiv. Ich kochte immer gern und viel, aber als Forschungselement nutze ich es erst seit meiner Ausbildung in Kunst. Ich bin analytischer geworden, in meiner Herangehensweise, aber auch in Bezug auf die Geschmäcker und ihre Kombination. Ausserdem habe ich als Künstlerin inhaltlich und ästhetisch viel mit Fleisch zu tun – obwohl ich persönlich kein Riesenfan davon bin.

Sie halten Hunde, Katzen, Ziegen, Schafe und Hühner – und scheinen regelrecht vernarrt in Ihre Tiere.
Wenn ich mit unseren Geissen und Hunden spazieren gehe, bin ich einfach glücklich, ja, und ich kann auch nicht mehr selber metzgen. Ausserdem tun mir die Tiere auf konventionellen Schlachthöfen extrem leid, vor allem die alten Nutztiere, die so lange dienen, ein Kalb nach dem anderen rausdrücken – und dann getötet werden. Damit kann ich nicht umgehen. Und weil ich verstehen möchte, warum, erforsche ich es, erst auf der persönlichen Ebene, dann im gesellschaftlichen Kontext. Deshalb begann ich, alte Tiere zu verwerten. Ausserdem kaufe ich viel Wild aus den Wäldern der Umgebung oder verwurste road kill. Ich versuche, Essen mit den gesellschaftlichen Fragen, die mich umtreiben, zu verbinden.

Und Sie gehen beim Kochen gern in die Extreme.
Das ist wahr. Ich mache keine liebliche Küche und bin in meinen Geschmäckern und mit den sehr bitteren Komponenten, die ich mag, eher krass. Man spürt auch meinen Hang zur Balkanküche, zu den Gewürzen, zu den starken Aromen. Da bin ich zuhause. Und von Feuer, von guter Kohle und von Rauch bin ich richtiggehend angefressen. Mich interessieren die archaischen, handwerklichen Prozesse – vor allem, wenn sie von einer Frau gemacht werden.

Warum?
Männer machen oft so ein Affentheater.

Das ist jetzt aber ziemlich männerfeindlich.
Ist aber so. Gerade in der Gastrobranche gibts genügend Beispiele. Wenn ich eine Blutwurst von alten Kühen auftische und dann glaubt einer, mir unaufgefordert erklären zu müssen, die sei falsch zubereitet ... Ich kann es nicht haben, wenn einer in den Chnächt kommt und sich stundenlang aufplustert. Aber es gibt natürlich auch Männer, die ich sehr toll finde.

Sie polarisieren gern?
Ach, wir Frauen mussten uns 2000 Jahre lang mehr als genug von Männern die Welt erklären lassen. Da darf ich jetzt auch mal was sagen.

Sie bewegen sich ja in recht unterschiedlichen Welten, beschäftigen sich in der Kunst mit Ethik und Moral, kochten im Chnächt aber auch mal für Vertreter der Pharmabranche. Wie geht das?
Problemlos. Meine drei Grundsätze gelten für alle: Ich verdieneimmer gleich viel, will eine Carte blanche und mit meinen eigenen Leuten arbeiten. Und wer im Chnächt ein Privatessen buchte, durfte jeweils einfach wählen, von welchem Tier das Fleisch stammen sollte – mehr nicht.

Darüber, ob Sandra Knecht eine Köchin ist, kann man streiten – muss man aber nicht. Sie selbst nennt sich «eine Künstlerin, die kocht, um Sachen herauszufinden». Das tut die 51-Jährige indes so gut, dass sie es in der Gastroszene längst zu Ansehen gebracht und mit so manchem gelernten Koch den Herd geteilt hat, kürzlich etwa mit Moritz Stiefel vom Luzerner Hopfenkranz beim Verköstigen der Teilnehmer des Branchengipfels Hochgenuss. Knecht ist ausgebildete Sozialpädagogin. Sie studierte Theaterregie, legte jahrelang als DJ auf und arbeitete diverse Male als Köchin – unter anderem im Café Boy und im Casablanca in Zürich sowie bei McDonald’s. Ihre Kindheit verbrachte Knecht im Zürcher Oberland, wo sie die Rudolf Steiner Schule besuchte und früh ein Faible für die Werke von Ferdinand Hodler, die Maler der Renaissance und Giovanni Segantini entwickelte. Ihre Liebe zur Kunst lebt sie seit 2011 in vollen Zügen aus, als sie mit dem Masterstudium in Zürich begann. In der Zwischenzeit hat sich Knecht als Künstlerin etabliert, Preise gewonnen und es bis nach Venedig an die Biennale geschafft. Wenn sie sich mit kulinarischen Themen auseinandersetzt, sorgt das mitunter für Aufsehen – etwa, als sie 2017 im Rahmen einer Fleisch-Performance im Zürcher Kaufleuten ein Galloway-Rind zerteilte und zubereitete.

Seit zehn Jahren erforscht Knecht die Begriffe Heimat und Identität. In diesem Rahmen entstand vor drei Jahren der Chnächt: Auf einem Gelände am Basler Hafen richtete Knecht eine Scheune, die zuvor im Jura gestanden hatte, wieder auf. Daneben baute sie einen ausgedienten Toiletten-in einen professionellen Küchenwagen um. Im Chnächt lud die Künstlerin unter dem Motto «Immer wieder sonntags» monatlich zum Fünfgänger, der jeweils einem Produkt gewidmet war. Nach Einbrüchen und der Verwüstung der Scheune im Februar muss sie den Chnächt nun aufgeben. Die kulinarischen Happenings indes plant sie, im Exil weiterzuführen.

Knecht lebt mit ihrer Partnerin sowie aktuell 24 Tieren (Hunde, Katzen, Ziegen, Schafe und Hühner) im basel-landschaftlichen Buus.

www.sandraknecht.ch



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