Ampel für simpel

Gutes Lebensmittel, böses Lebensmittel? Die Nährwert-Ampel Nutriscore kennt die Antwort – und konkurrenziert den gesunden Menschenverstand.
Text: Monsieur Tabasco
Veröffentlicht: 06.08.2019 | Aus: Salz & Pfeffer 5/2019

«Hilfreich ist die Ampel für einfach strukturierte Persönlichkeiten, die nicht wussten, dass Nutella ungesund ist.»

Das hätte unsereiner ja nicht gedacht. Dass eine Cola zero gesünder als ein Süssmost ist. Weil ein Liter Süssmost 100 Gramm Fruchtzucker enthält, ein Liter Cola zero aber 100 Gramm gar nichts. Dank dem Nutri-Score, vulgo Ampelsystem, weiss man das jetzt, und hoffentlich wird es die Obstbauern Mores lehren, auf dass sie anstelle fruchtzuckersüsser Äpfel feine Colanüsse anpflanzen und mit künstlichen Süssstoffen spritzen.

Die Ampel findet sich auf immer mehr Verpackungen von Lebensmitteln. Es ist eine fünfstufige Farbskala, hinterlegt mit den Buchstaben A bis E. Grün / A ist prima / gesund, Rot / E ist schlimm / ungesund, die drei Farbstufen dazwischen sind etwas weniger prima und etwas weniger schlimm. Gemessen werden Zucker, Kohlehydrate und Salz (schlimm) sowie Ballaststoffe, Proteine und diese oder jene anderen Nährstoffe (prima). Und natürlich gesättigte Fettsäuren (sehr, sehr schlimm) und ungesättigte Fettsäuren (leicht weniger sehr schlimm).

Noch ist die Ampel in der Schweiz freiwillig. Aber früher oder später wird sie Pflicht. Die Krankenkassen und Konsumentinnenschützer sind begeistert (transparent!). Die Detaillisten bocken noch (Bevormundung!). Und einige Hersteller drucken die Ampeln bereits jetzt auf die Verpackungen. Nestlé zum Beispiel, aus purer selbstloser Liebe zur Menschheit, versteht sich, und nicht etwa, weil die Ampel in Frankreich schon Pflicht ist, weshalb der französische Konkurrent Danone sie bereits aufdruckt und Nestlé nun unter Zugzwang steht.

Wenig Wirkung dürfte die Ampel bei den Faulen, den Desinteressierten und den Preissensitiven entfalten. Für Kids aber ist sie eine feine Ernährungskunde: je rot, desto lecker. Ins Grübeln geraten die sonnigen Gemüter: Rot? Aber der Beutel ist doch so schön grün, «Natur pur» steht drauf, es lachen einem viele gesunde Früchte entgegen, eine Sonne, eine Bergsilhouette, ein Schweizer Fähnli und ein Trachtenmeitschi mit Körbchengrösse C. Die rote Ampel muss ein Irrtum sein.

Bei den Produzenten wird die Ampel sicher wirken: Lebensmittel, die sich auf eine bessere Ampelfarbe optimieren lassen, wird man optimieren. Also etwas mehr Gemüse auf die Fertigpizza, damit man mit dem Konkurrenten gleichziehen kann. Dafür kann man jene Lebensmittel, die sich ohnehin nicht ampelrelevant verbessern lassen, mit mehr Zucker, Fett und Körbchengrösse noch ordentlich verbilligen. Das schlägt sich dann zwar auf die detaillierten Nährstofftabellen nieder, aber ist die Ampel erst mal da, wird die sowieso keiner mehr lesen.

Hilfreich ist die Ampel für einfach strukturierte Persönlichkeiten, die nicht wussten, dass Nutella ungesund ist. Und für brave Hausfrauen, die ihre Joghurtmarke wechseln, weil das Lieblingsjoghurt (Becher à 140 Gramm) mit Hellrot geampelt wird, weshalb man nun doch lieber die hellgrüne Konkurrenz kauft (Becher à 180 Gramm). Und vielleicht sollte man statt des Bio-Koteletts vom Freilandsäuli im Nachbardorf auch eher das gesünder gescorte Rindssteak von der argentinischen Regenwald-Hacienda nehmen. Zumal das auch noch billiger ist. Besonders in der XXL-Packung. Wofür hat man denn einen kellergrossen Tiefkühlschrank und einen panzergrossen SUV?

Die Mikrosensiblen unter den Konsumentinnen allerdings geraten einmal mehr in einen Clinch. Abhilfe schaffen weitere Ampeln. Für Anbaumethode, Tierhaltung, Kleinbauernfreundlichkeit sowie Umweltfussabdruck, Pestizid, Plastik und Mikroplastik et cetera. Es wäre hilfreich, wenn die Detailhändler ihre Läden dann statt nach Lebensmittelkategorien auch gleich nach Ampeln einrichten würden: Grüne Abteilung gesund und teuer, rote Abteilung schmackhaft und günstig – Kinderspielecke, Stillecke sowie Gratisgetränk inklusive.

In der Gastronomie gehört die Ampel wohl irgendwann zu jeder Speise in der Karte. Es gilt dann natürlich eine grüne Mindestquote, die in den nächsten Jahren schrittweise verschärft wird. Je nach Farbenmehrheit in der Karte gibts auch einen Sticker an der Tür. Eine mehrheitsfähige Ampel-App von den Krankenkassen wird den Gästen im Restaurant und den Kundinnen im Laden die Orientierung vereinfachen, man kann Vernunftpunkte sammeln und jeden Monat attraktive Preise gewinnen. Auf diese oder jene grüne Ampel gibts allenfalls einen Rabatt, den man bei der nächsten Prämienerhöhung finanzieren darf.

Kompliziert wirds jedoch, wenn die Wissenschaft zehn Minuten nach Einführung der Ampel feststellt: Jössas, dieser künstliche Süssstoff und jener Ballaststoff ist ja weitaus gefährlicher als angenommen, und zwar hochgradig ampelrelevant. Das setzt dann die ganze Scoring-Karawane wieder in Bewegung. Sodass manch einer zunehmend verdrossen zum Schluss kommen könnte, es wäre wohl am einfachsten, wenn man möglichst viel Frisches und Unverarbeitetes einkauft, die Privaten am besten im Hoflädeli und die Wirte bei den Herstellern ihres Vertrauens.



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