Ganz beim Gast ist Stuckis Kollege und Teamleiter Michal Otte. Der gelernte Koch und Servicefachmann mit tschechischen Wurzeln nimmt den Job gerade deshalb spürbar ernst: «Der Barista verkauft den Kaffee und kann den Gast an Neues heranführen», sagt der 35-Jährige. Er arbeitete als Berufseinsteiger in vielen Lokalen, in denen ihm keiner etwas zum Produkt Kaffee sagen konnte. Das änderte sich 2009, als er in der damaligen Kaffeebar Cesary in Bern anheuerte und die italienische Espressokultur kennenlernte. Otte war fasziniert, und auch sein Weg führte ihn erst über Latte Art ins Wettbewerbswesen. Die Szene gefiel ihm so, dass er beschloss, sich intensiv mit dem Thema zu beschäftigen. Der Autodidakt lernte alles über die Zubereitung, beschäftigte sich mit den Röstprozessen und stieg in die Barista-Schweizermeisterschaften ein. «Man lernt nie aus», schwärmt der nationale Cup-Tasting-Meister 2016. Seit vier Jahren amtet er in der Langnauer Kafischmitte zudem als Röster. Das Zubereiten von Kaffee bleibt für ihn ein besonders wichtiger Schritt: «Als Barista bin ich auch Gastgeber», sagt er. «Guten Kaffee zuzubereiten, ist schön und recht, aber ohne Sozialkompetenz gehts nicht. Es reicht nicht, ein Fachfreak zu sein und hinter dem Tresen mit der Waage zu spielen.»
Ähnlich sieht das Janine Landolt, die in Wädenswil das Brühnett Café betreibt, dort sortenreine Kaffees anbietet und diverse Zubereitungsmethoden zelebriert. «Ein guter Barista», sagt die 34-Jährige, «beweist sich durch Passion.» Und: Das Verkaufen von Specialty Coffee bedürfe viel geschickter Kommunikation. Landolt sieht im Vermitteln ihre Zukunft, bietet Kaffeeseminare und Baristaworkshops an, die auf wachsendes Interesse stossen, und träumt davon, dereinst ein Barista-Atelier zu leiten. Aktuell konzentriert sie sich aber aufs Café, das sie vor zwei Jahren eröffnete – nach einem rasanten Einstieg in die Branche. Gerade mal vier Jahre ist es her, dass Landolt als Ausgleich zum Bürojob in einem Café anheuerte und aus Neugier einen Barista-Kurs besuchte. «Ich ging ohne Erwartungen hin, aber es entfachte ein Feuer in mir», erinnert sie sich. Der Rest ist (eine gute) Geschichte: Philipp Henauer von der gleichnamigen Rösterei in Höri sah das Funkeln in Landolts Augen auf Anhieb, nahm sie als Mentor an die Hand und führte sie schnurstracks in die weite Welt des Wettbewerbs. Landolt gewann 2012 die renommierte Internationale Tiroler Barista-Meisterschaft und stand bei den Schweizermeisterschaften als Barista sowie an der Aeropress auf dem Treppchen. Zurzeit steckt sie mitten im Training für den nationalen Wettbewerb 2017. Im Brühnett Café beschäftigt Landolt inzwischen eine Mitarbeiterin im 40-Prozent-Pensum. Und bevor sich diese hinter den Tresen stellen durfte, schickte die Chefin sie in die Schulung. «Es ist mir wichtig, dass eine ausgebildete Person an der Maschine steht.»
Bleibt die Frage, ob der Barista-Beruf, einmal erlernt und in allen Facetten erkundet, zur langfristigen Existenzgrundlage taugt. Zumindest bietet der Job heute reelle Perspektiven: Wer aus den «aktiven Zeiten» rauswächst, findet – ähnlich wie im Sport – als Coach, Trainer oder Berater eine Aufgabe. «Gute Baristas sind zum Teil besser ausgebildet als Händler», sagt Kaffeemacher Hohlmann. «Die Industrie interessiert sich deshalb für gute Leute aus dem Barista-Pool.» Immerhin ist die Schweiz international eine wichtige Drehscheibe für Kaffeemaschinenhersteller und die Vollautomatenindustrie. «Da gibts stabile Stellen mit einem höheren Lohn als hinter der Bar, und Baristas kommen im Aussendienst, in der Entwicklung und in der Schulung unter.» Wohin es Stucki und Otte, Landolt und Leupin verschlagen wird, ist offen. Klar ist, dass sie der Kaffee ein Leben lang begleiten wird, auch beruflich. «Der Barista-Job allein ist langfristig zwar keine Perspektive», befindet Leupin, «aber für Berufseinsteiger zurzeit total spannend.» Tatsächlich befinde sich die Branche in einem kompletten Umbruch, sagt auch Hohlmann: «Das Traditionshandwerk der Kaffeezubereitung schöpft das Potenzial des heute viel besseren Rohprodukts nicht aus. Man muss anders rösten als noch vor fünf Jahren, drei Jahren, einem Jahr.» Der rasante Wandel eröffnet ein weites Feld für Menschen, die sich kreativ mit einem Produkt und seinen Prozessen beschäftigen, Technologien entwickeln und damit experimentieren mögen. Faktisch entsteht gerade ein komplett neues Feld, ein junger Markt – und damit Platz für ehrgeizige und visionäre Emporkömmlinge. «Wer das erkennt», sagt Leupin, «hat die Chance, schnell aufzusteigen und die Anfänge von etwas Neuem zu gestalten.»
Coffee, Grüngasse 4, 8004 Zürich, www.coffeezurich.com
Rösterei Kaffee und Bar, Güterstrasse 6, 3008 Bern, www.roesterei.be
Brühnett Café, Gerbestrasse 2, 8820 Wädenswil, www.bruehnett.ch