«Schmalz ist kontrovers; entweder man liebt oder man hasst es»
Bereits 2009 kam Jenzer darauf, wie er das Fett der Freilandschweine sinnvoll weiterverarbeiten kann. Damals beauftragte ihn der Gastrobetreiber Gastrag, für das neue Restaurant Kohlmanns in Basel ein Griebenschmalz zu entwickeln. Der Aufstrich aus ausgelassenem Schweinefett enthält im Gegensatz zum reinem Schweineschmalz noch die Speckresten. Zwiebel- und Apfelstückchen dienen häufig zum Verfeinern. Laut Grischa Cassini, der als Brand Manager bei der Gastrag AG tätig ist, war das Griebenschmalz von Anfang an Teil des Gesamtkonzeptes und des Storytellings für das Kohlmanns: Das Lokal erzählt die Geschichte des süddeutschen Johannes Kohlmann, der in Basel tagsüber als erfolgreicher Chemiker arbeitete und nachts am Funkgerät nach währschaften Rezepten für seine Sammlung suchte – und dabei auch auf Griebenschmalz stiess.
«2009 war der Aufstrich hierzulande kein Thema und wurde als Willkommensgruss zu frischem Holzofenbrot rasch zu unserem USP», erzählt Cassini. Heute verkauft das Lokal ganze Gläser davon, und die Stammgäste reklamieren, wenn das Schmalz auf dem Tisch fehlt. Allerdings sieht man im Kohlmanns von einem Ausbacken und Braten mit Schmalz ab: «In unserem Umfeld mit vielen Touristen, auch aus muslimischen Ländern, wäre das schwierig umsetzbar.»
Ebenfalls prima zum Gesamtkonzept passt die Verwendung von Schmalz im Restaurant Freibank in Bern. Im Waaghaus des ehemaligen Schlachthofs gelegen, setzt es auf eine ganzheitliche Fleischverarbeitung, um weniger beliebte Stücke stärker ins Bewusstsein zu rücken. Hier kommt Schmalz zum Einsatz, «wenn es beim Verarbeiten sowieso entsteht. Extra einkaufen würden wir es aber nicht», sagt Gastgeber Florian Jenzer. Schmalz wird also passend zur Philosophie nach Verfügbarkeit verwendet, etwa zum traditionellen Ausbacken von Rösti. Und Schweinebauch-Resten werden im Restaurant Freibank mit saisonalen Früchten kombiniert und zum Aufstrich für beispielsweise Apéros oder kalte Plättli verarbeitet.
Ravioli mit Wachtelschmalz
Für Jörg Slaschek vom Restaurant Attisholz im solothurnischen Riedholz ist es als gebürtiger Bayer selbstverständlich, Schmalz zu verwenden. «Es stimmt für mich nicht, von Nose to Tail zu sprechen und dann das tierische Fett aussen vor zu lassen», sagt der mit einem Michelin-Stern und 17 Gault-Millau-Punkten ausgezeichnete Koch. Im Attisholz wird selbst hergestelltes Schmalz aus den verschiedensten Fettresten vom Kaninchen bis zur Gans zur Zutat in Terrinen, an der Rösti oder im Zopf verarbeitet.
«Im Oktober hatten wir Wachtelravioli auf der Karte. Zur Füllung aus geschmortem Schenkelfleisch gaben wir Wachtelschmalz hinzu, was die Sämigkeit und den Geschmack sehr schön unterstützte.» Auch Griebenschmalz gehört in der kälteren Jahreszeit auf den Tisch. «Dessen Akzeptanz ist nicht zuletzt eine Kultur- und Altersfrage. Und mit dem steigenden Interesse der Schweizer an Ferien in Deutschland oder in Osteuropa wird die Neugier nach den kulinarischen Traditionen dieser Länder grösser, so wie es einst beim Olivenöl der Fall war», beobachtet Slaschek.
Flavio Fermi von der Osteria Tre im Bad Bubendorf Hotel bezieht bei Christoph Jenzer das reine, weisse Schweinefett und reichert es mit Walnüssen, Pistazien, Kümmel, Weinbeeren, Dörraprikosen und Gewürzen an. Den Aufstrich reicht der einfach besternte und mit 16 Punkten dotierte Küchenchef nebst einer Zitronenbutter und Frischkäse mit saisonalem Gemüse zum Brot. «Ich wollte etwas anbieten, das nicht jeder auf der Karte hat. Und Schmalz ist kontrovers; entweder man liebt oder man hasst es», sagt Fermi, der auch einen Bogen zu seinem kulinarischen Hintergrund schlagen will.
«In der italienischen Heimat meiner Grosseltern werden Schweine regelrecht verehrt, und deren ganzheitliche Verarbeitung ist sehr wichtig. Hier in der Nordwestschweiz ist Schwein in einem gehobenen Restaurant nach wie vor ein heikles Thema, wenn es nicht gerade ein Duroc oder Wollschwein ist. Rindsfilet im Hauptgang ist für viele noch immer die Erwartung.» Also baut er Schwein als Kontrapunkt ein – wenn es sich anbietet und auch überrascht. Auf Schmalz in der warmen Küche verzichtet Fermi allerdings und setzt beim Anbraten und Confieren vor allem auf Olivenöl. «Jeder Gast soll bei uns selbst entscheiden können, ob er Schmalz essen möchte oder nicht. Und ich freue mich sehr, dass es die meisten tun.»