Altes Brot, neues Glück

Das Bergroggenbrot vom Münstertaler Meier-beck verkauft sich in der ganzen Schweiz seit Jahren erfolgreich. Mittlerweile liegt das Augenmerk auch auf dem, was davon übrig bleibt.
Text: Sarah Kohler – Fotos: Jürg Waldmeier
Veröffentlicht: 21.09.2017 | Aus: Salz & Pfeffer 3/2017

«Ein handgemachtes Roggenbrot schmeckt nach zwei, drei Tagen fast besser als am Anfang.»

Einen Spross von Santa Maria Val Müstair kennt hierzulande jeder: Dario Cologna, der berühmte Skilangläufer, stammt aus dem 350-Seelen-Dorf, das entrückt am Rand des Nationalparks in den Bündner Bergen liegt. Im Sommer ziehen hier die Touristen in Scharen durch die engen, malerischen Gassen, dann brummt das Geschäft und gehen im Meier-beck die einst vom «Kassensturz» ausgezeichnete Nusstorte oder der sagenhaft saftige Marronikuchen im Weckglas über den Ladentisch, als seien sie warme Weggli.

Der Meier-beck ist in Santa Maria eine Institution. 1973 übernahmen Meinrad und Verena Meier die kleine Bäckerei und bauten sie mit Hartnäckigkeit und Herzblut zu einer Art Dorfimperium aus, zu dem heute auch ein Spezialitätenladen mit Produkten aus der Region, ein Restaurant mit Sonnenterrasse, ein Café und sogar ein Supermarkt gehören. Seit 2013 führen Tochter Lucia Meier und ihr Partner Giancarlo Marco De Santis das Business. Sie ist gelernte Kleintierpflegerin, er stammt aus Luzern und ist Verkäufer sowie auf Mosaike spezialisierter Plattenleger mit einem Abschluss an der Kunstgewerbeschule und einem erklärten Hang zu allem Kulinarischen. Zwei Branchenfremde am Steuer – kann das gut gehen? Die beiden beweisen es: Sie halten im Meier-beck die Traditionen hoch und verbinden diese mit frischen Ideen, die in kreativen Köpfen entstehen, denen der Mut nicht fehlt, auch unkonventionelle Wege zu gehen.

Eine der langjährigen Traditionen im Hause Meier ist das Roggenbrot. Früher wurde es in den Münstertaler Dörfern einmal im Monat in Form grosser Fladen gebacken und anschliessend getrocknet, zerhackt und unter den Bewohnern aufgeteilt. Beim Meier-beck lag es vom ersten Tag an in den Regalen, hergestellt nach einem Rezept, das so alt ist, dass es keiner datieren kann. Bestens überliefert ist hingegen die Geschichte, wie in Santa Maria das Bergroggenbrot (wieder) aufkam. Das ist nämlich Meinrad Meiers Verdienst, der beschloss, er wolle der Tradition noch mehr Rechnung tragen und den Roggen für seine Brote wie frühere Generationen aus dem Münstertal beziehen. Gemeinsam mit Bauer Johannes Fallet in Müstair begann er, das Getreide anzubauen. Die ersten Versuche mit konventionellen Sorten aus dem Unterland scheiterten allerdings kläglich. Erst die Pro-Specie-Rara-Samen vom Bergroggen kamen mit den Bedingungen im Val Müstair klar.

Seit 2008 bäckt man beim Meier-beck also wieder mit der Ursorte. Lucia Meier schwärmt vom Bergroggen: «Er ist ein Korn mit einem starken Charakter und einem urchigen Aroma», sagt sie. Und er sei lange haltbar. «Tatsächlich schmeckt ein handgemachtes Roggenbrot nach zwei, drei Tagen fast besser als am Anfang, weil sich das Aroma des Korns mit der Zeit erst entfaltet.» Dass der Meier-beck mit seinem Bergroggenbrot einer guten Sache auf der Spur war, erkannten auch die Verantwortlichen von Slow Food auf Anhieb. Sie zeichneten das Paun sejel als charakteristisches Doppelfladenbrot aus 70 Prozent Bergroggen- und 30 Prozent Weizenmehl als Presidio aus. Hauptabnehmer ist der Grossverteiler Coop: «Allein für dessen Slow-Food-Brote verarbeiten wir jährlich 32 Tonnen Bergroggenmehl», sagt De Santis. Total werden in seiner Backstube rund 40 Tonnen davon verbacken.

Dass die Spezialitäten des Hauses ins ganze Land gehen, ist man sich beim Meier-beck gewöhnt: «80 Prozent verlassen das Tal», sagt Lucia Meier. Nichtsdestotrotz liegt ihr Fokus auf der Heimat – vor allem wenn es um den Bezug von Lebensmitteln geht. Nicht nur der Bergroggen und der Weizen stammen aus dem Val Müstair, sondern in der Regel auch Honig, Eier, Milch, Butter und Rahm. «Wir nehmen so viel wie möglich von hier – und sonst von so nah wie möglich», so De Santis. Nun mag Nachhaltigkeit mittlerweile ein Unwort sein – viel zu oft bemüht, viel zu selten verstanden –, im Fall vom Meier-beck ist sie im wahrsten Sinne des Wortes aber zentral. Immerhin brachen De Santis und Meier ihre Zelte im Unterland ab, um das Fortbestehen des elterlichen Betriebs in der Abgeschiedenheit der Bündner Berge für kommende Generationen zu sichern. Und ein sorgfältiger Umgang mit der Natur und ihren Rohstoffen scheint den beiden ein ehrliches Anliegen. Nicht zuletzt erklärt sich daraus De Santis Idee, das Bergroggenbrot über den Laib hinaus zu verwerten: Seit etwas mehr als drei Jahren braucht man beim Meier-beck nämlich auch die Reste des beliebten Slow-Food-Brotes.

Es ist an und für sich kaum der Rede wert, wenn ein Bäcker übrig gebliebenes Brot zu Paniermehl verarbeitet. In der Regel beschränkt sich diese Form der Resteverwertung jedoch auf Weissbrot. «Warum eigentlich?», fragte sich Quereinsteiger De Santis – und beschloss, auch altem Bergroggenbrot eine zweite Chance zu geben. Was bislang auf Bauernhöfen in den Futtertrogen landete, sollte künftig als Chips die Welt erobern. De Santis merkte bald, dass die Idee wohl gut, die Umsetzung aber gar nicht so einfach ist, und es brauchte eine gute Portion Zeit und Geduld, bis er herausfand, wie trocken die Reste sein müssen, damit sie beim Schneiden nicht brechen, brösmeln oder reissen.

Heute sammelt er die Roggenbrote und -brötli etwa zwei Wochen lang, bevor er sie in fünf Millimeter dicke Chips schneidet. Diese liegen zwei Tage zum Trocknen an der Luft und landen anschliessend im transparenten Säckli à 130 Gramm. Die Roggenchips entpuppten sich bald als Renner. «Die Kunden lieben sie», sagt De Santis. Es kommt vor, dass er für die Chipsproduktion (die bei rund 400 Kilo im Jahr liegt) frische Brote beiseitelegen muss – weil die Nachfrage das Angebot übersteigt oder weil vom Roggenbrot nicht genug Reste bleiben. «Das ist aber selten der Fall», relativiert De Santis, der das Altbrotsortiment in der Zwischenzeit um Croutons sowie Paniermehl in drei Qualitäten (von sehr fein bis ziemlich grob) erweitert hat.

Auf reges Interesse stiess das «neue alte» Angebot auch bei der (Luxus-)Hotellerie in der Region. Namhafte Betriebe wie das Kempinski Grand Hotel des Bains in St. Moritz, das Chesa Rosatsch in Celerina, das Castell in Zuoz oder das Hotel Saratz in Pontresina beziehen beim Meier-beck Produkte, die aus Roggenbrotresten hergestellt wurden. «Unsere Chips findet man auf Frühstücksbuffets und bei Aperos», sagt De Santis stolz. Schliesslich macht er es als Gastronom selber vor: Auf der Karte des zum Meier-beck gehörigen Café-Restaurants Fuschina finden die Roggencroutons in der Suppe Verwendung, kommt der Burger «Marco» im Roggenbrötli auf den Tisch oder werden die Schnitzel auf Wunsch mit der Roggenpanade ummantelt. «Und die», sagt De Santis, «läuft hier also deutlich besser.»

Meier-beck AG
Via Veglia 99, 7536 Santa Maria Val Müstair
081 858 51 16
www.meierbeck.ch

Urchig und intensiv
Beim Bergroggen handelt es sich um eine Urgetreidesorte. Sie wächst höher als ihre modernen Verwandten und wird bis zu drei Meter gross, was dazu führt, dass die Pflanze irgendwann abkippt und hängt. Das verkompliziert die Ernte. Ausserdem sind die Körner des Bergroggens wesentlich kleiner als jene von neuen Züchtungen. Dafür weist er einen höheren Gehalt an Vital- und Mineralstoffen sowie Spurenelementen auf. Der Bergroggen gilt überdies als geschmacklich besonders intensiv – und ist nicht zuletzt auch deshalb kulinarisch durchaus interessant.



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