Als Jüngster im erlauchten Kreis
Der Gault & Millau hat in Ascona seine Auswahl 2025 vorgestellt. Marco Campanella mischt die Spitze auf – und für Mitja Birlo gibts eine eigene Kategorie.
«Er führte in der Küche ein klares Regime und war stark in der Lehrlingsausbildung.»
«Nei,nix machu geit nid», sagt einer, der auf 80 Lenze zurückschauen kann: Erwin Léo Stocker feiert heute seinen 80. Geburtstag. Grund genug also, einen Blick auf sein bewegtes Leben zu werfen. Immerhin kocht der rüstige Jubilar seit 65 Jahren – und kanns immer noch nicht lassen. Der Walliser ist einer der alten Garde, fing nicht nur jung mit Kochen an, sondern auch ganz unten. Schon als Zwölfjähriger schälte er während den langen Sommerferien in der Restaurantküche seiner Tante in Zermatt Kartoffeln. Seine Kochlehre absolvierte er in Davos und schloss diese mit der Bestnote ab. Die Wanderjahre führten ihn in renommierte Häuser, darunter Ende der Sechzigerjahre ins Hotel Baur au Lac in Zürich. Diese Stelle sei für ihn wegweisend gewesen, sagt Stocker heute – und erzählt von den damals fortschrittlichen Arbeitszeiten sowie vom Zimmer mit eigenem Lavabo und Schrank. Der Küchenchef zu jener Zeit hinterliess ihm einen unwahrscheinlich positiven Eindruck.
Im Ausland arbeitete Stocker auf der New Amsterdam, dem Flaggschiff der holländischen Amerika-Lijn, längere Zeit in der Karibik. Ein Höhepunkt für den jungen Berufsmann war die Zeit im Park Lane Hilton Hotel in London. Er war Teil einer 120-köpfigen Brigade und bekleidete den Posten des Chef Saucier. An der dreitägigen Eröffnungsfeier des Hauses mit 1000 Gästen stand als Hauptgang Selle de veau Orloff auf dem Menü. Die Atmosphäre, auf so hohem Niveau zu kochen, beschreibt der Jubilar im Nachhinein als unbeschreiblich. Damals spielte Stocker erstmals mit dem Gedanken, dereinst selbst einer grossen Brigade vorzustehen.
1971 wurde Stocker für zehn Jahre Küchenchef im damals neu eröffneten Hotel Metropole in Interlaken. Der Kurort wurde gerade von asiatischen Gruppenreisenden entdeckt, der Tourismus befand sich im Wachstum. Von 1970 bis 1980 kochte Stocker jährlich an europäischen Kochkunstausstellungen – und kehrte jedes Mal mit Gold zurück, als sogenannter Europameister der Köche. Zudem amtete er als Prüfungsobmann und war Fachlehrer. Für eine international tätige Hotelgruppe führte Stocker die Eröffnung von Hotelküchen in Montreux und Dubai durch, ehe er 1984 im Victoria-Jungfrau Grand Hotel die Führung der Brigade mit 50 Mitarbeitern übernahm. «Mit dieser Stelle hatte ich mein Lebensziel erreicht, einmal selbst eine grosse Brigade zu führen», sagt der Jubliar rückblickend auf diese Epoche in einem der führenden Häuser der Schweizer Hotellerie.
Dem Fünf-Sterne-Betrieb drückte er besonders im Bankettgeschäft seinen Stempel auf. Dies bestätigt der damalige Direktor Emanuel Berger: «Erwin Stocker hat die Entwicklung im Bankettwesen mit Begeisterung mitgestaltet und die Anlässe stets ausgezeichnet organisiert.» Herausragend ist der Rekord von 12000 servierten Tellern in 48 Stunden in den hoteleigenen Festsälen, Restaurants und dem Kursaal unter Stockers Ägide. Auch lobt Berger den Einfluss seines ehemaligen Küchenchefs als Ausbildner: «Er führte in der Küche ein klares Regime und war stark in der Lehrlingsausbildung. Es freut mich noch heute besonders, wenn ich von ehemaligen Lehrlingen lese, die zu bekannten Persönlichkeiten im In- und Ausland geworden sind.» Der Kochverband dankte es dem Walliser mit der Verdienstmedaille.
Mit der Eröffnung der «Stockers Degusta» im Zentrum von Interlaken trat der ambitionierte Spitzenkoch 1997 in die Selbstständigkeit und führte mit seiner Frau Erika das Restaurant, das Delikatessengeschäft und einen Partyservice. Nach der Schliessung des Restaurants konnte er das Kochen trotz Erreichen des Pensionsalters nicht lassen. Stocker baute seine Gourmetlinie aus, die er kürzlich an ein Cateringunternehmen verkaufte. Schluss war aber auch dann nicht: Seit diesem Frühjahr bietet Stocker gemeinsam mit seiner Frau jeden Samstagmorgen seine kulinarischen Leckerbissen im «Gourmet-Zält» am Marktplatz von Interlaken feil.