Krise und Kulinarik

Wie hat Corona unser Essverhalten verändert, und welche Folgen hat die Pandemie für die Gastronomie? Ein Gespräch mit Ernährungssoziologe Daniel Kofahl.
Interview: Virginia Nolan – Foto: Daniela Haug
Veröffentlicht: 05.06.2020
«Durch die Schliessung der Restaurants haben wir realisiert, was uns fehlt, durch neue kulinarische Erfahrungen vielleicht aber auch gemerkt, was sich in der Gastronomie verändern muss», sagt Ernährungssoziologe Daniel Kofahl.

«Gastronomen werden ihre Beziehung zu den Gästen intensiver über soziale Medien pflegen müssen

Wie hat das Coronavirus unsere Ernährungsgewohnheiten verändert?
Gleich zu Anfang hat uns die Krise vor Augen geführt, dass eben nicht selbstverständlich ist, was wir als solches betrachten – volle Regale im Supermarkt, zum Beispiel. Wir machten uns auf einmal Gedanken über Nahrungsmittelvorräte, ein Thema, das uns bisher kaum beschäftigte. Dann führten Home-Office, Schul- und Restaurantschliessungen dazu, dass sich das Essen aus Kantinen, Mensen und Gastronomiebetrieben nach Hause verlagerte: Ehe- und Lebenspartner, die sich sonst eher selten sehen, trafen sich zum gemeinsamen Lunch in der heimischen Küche, Familien assen wieder öfter zusammen. Menschen, die es sich gewohnt sind, ihre Verpflegung auszulagern, waren plötzlich auf ihre eigene Küche zurückgeworfen. Das hat vielerorts zu einer Re-Kulinarisierung geführt.

Was meinen Sie damit?
Dass wir gewisse kulinarische Fähigkeiten zurückgewonnen oder sie uns neu angeeignet haben. Dem Ernährungsreport 2020 zufolge kochen 30 Prozent der 1000 Befragten seit Corona wieder häufiger selbst. In Internetsuchmaschinen sind Anfragen nach Koch-Apps und virtuellen Rezeptsammlungen sprunghaft angestiegen. Beispielsweise suchten so viele Menschen wie noch nie zuvor nach Rezepten für Brot oder selbstgemachte Hefe. Ob diese neu gewonnen Kompetenzen jetzt auch weiterentwickelt und gepflegt werden, wird sich zeigen. Sicher ist, dass wir eine neue kollektive Erfahrung machten, dank der viele entdeckten, was ihnen vorher verborgen, weil abhandengekommen war: den direkten Zugang zu Lebensmitteln und Kochen.

Wie wird sich diese Erfahrung auf die Gastronomie auswirken?
Das ist schwer zu sagen. Durch die Schliessung der Restaurants haben wir realisiert, was uns fehlt, durch neue kulinarische Erfahrungen vielleicht aber auch gemerkt, was sich in der Gastronomie verändern muss.

Zum Beispiel?
In Zukunft wird es noch schwerer haben, wer die ewiggleiche Platte abspielt, nicht flexibel ist und auf festgefahrenen Strukturen beharrt, bloss, weil man es immer so gemacht hat. Der Lockdown hat auf eindrückliche Art und Weise gezeigt, dass es Gastronomen einfacher haben, wenn sie auf Qualität setzen, kreativ sind und offen für Veränderungen. Die Fülle an neuen Take-Away-Angeboten bis in die Sternegastronomie beweist, dass es durchaus Innovationspotenzial gab, das nun genutzt wird. Gastronomen haben hier zum Teil ganz spannende Formate entwickelt, die den Gast teilweise auch in den Kochprozess involvieren, indem er beispielsweise die letzten Arbeitsschritte für das Gericht selbst übernimmt.

Wird sich die Nachfrage nach solchen Angeboten halten, wenn die Krise abklingt?
Davon bin ich überzeugt. Die Pandemie machte deutlich, dass Lieferservice und Take-away-Angebote auch jenseits von Pizza und Asia-Klassiker Potenzial haben, das nun auch die gehobene Gastronomie und die gutbürgerliche Küche entdecken. Es lohnt sich jetzt erst recht, hier in kreative Angebote zu investieren, zumal die Entwicklung der Lage unabsehbar und eine zweite Welle des Coronavirus nicht auszuschliessen ist. Gastronomen müssen vorbereitet sein. Wenn der Restaurantbetrieb aufgrund gesetzlicher Bestimmungen nicht oder nur eingeschränkt möglich ist, werden sie ihre Beziehung zu den Gästen ausserdem intensiver über die sozialen Medien pflegen müssen, damit die Leute am Ball bleiben. Offene Küche geht auch übers Internet: Wie das aussehen kann, zeigt beispielsweise das Sternerestaurant Ox & Klee in Köln mit seiner Foodbox, einem interaktiven Take-Away-Format.

Erzählen Sie.
Bei den Gerichten in der Box bereitet der Profikoch einen Teil vor, den Rest kocht der Gast unter Anleitung eines Online-Tutorials nach. Wer will, stellt das Resultat online, damit die Community über das beste Ergebnis abstimmen kann. Dem Gast und Hobby-Koch mit den meisten Stimmen winkt als Gewinn eine weitere Food-Box. Mit der Idee, die Sterneküche nach Hause zu holen, stösst das Ox & Klee auf Begeisterung. Das ist ein schönes Beispiel für gelungene Kundenbindung.

Daniel Kofahl ist Ernährungssoziologe und leitet das Büro für Agrarpolitik und Ernährungskultur APEK in Trier. Er lehrt Ernährungssoziologie an der Universität Wien, forscht zur Praxis und Ästhetik des Schmeckens an der Technischen Universität Berlin und ist Sprecher der AG Kulinarische Ethnologie. Mehr zu Kofahl und seinem Forschungsgebiet gibts hier.



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