Warmer Wind

Vor ein paar Jahren stand Malta auf den To-do-Listen der reisenden Gourmets weit unten. Inzwischen sorgen Visionäre wie Kevin Bonello, James Schiavone und der Guide Michelin dafür, dass Valletta, Mdina und Marsaxlokk zu kulinarischem Ruhm gelangen.
Text: Wolfgang Fassbender – Fotos. z. V. g.
Veröffentlicht: 11.10.2022 | Aus: Salz & Pfeffer 5/2022

Malta hat von allem etwas zu bieten. 

Ob den Maltesern und Malteserinnen peinlich ist, was im Zentrum von Valletta aufgebaut wurde, ist nur mühsam in Erfahrung zu bringen, denn von selbst redet niemand über das Sammelsurium aus Fotos, Hinweiszetteln und Blumen. Gleich gegenüber dem Justizpalast, ein paar Meter vom prächtigen historischen Anwesen des Grossmeisters entfernt. Alle ausgehängten Bilder zeigen eine gutaussehende Frau, die freundlich und leicht melancholisch in die Kamera schaut. Dass Daphne Caruana Galizia tot ist, wird schnell deutlich; dass die investigative Journalistin ermordet wurde, erfährt man nach Lektüre der Notizen. Nicht zuletzt dieses Verbrechens wegen hält sich der Ruf, Malta sei ein Mafia-Nest. 

Doch Malta ist auch ein Land, das sich entwickelt. Politisch – denn es wurden Schritte gegangen, das Geflecht aus Korruption und Interessen zu entflechten, erst recht in kulinarischer Hinsicht. Manches ist der EU zu verdanken, die Geld lockermachte, vieles dem Guide Michelin, der die Restaurants des Inselstaates inzwischen zum dritten Mal mit allerlei Erwähnungen und Bibs und noch höheren Auszeichnungen dekoriert hat. Mag man anderswo in Europa skeptisch über die Bedeutung von Restaurantführern reden, ist die Sache auf Malta klar. Vor allem dank des Guide Michelin erfuhr die Welt, dass im Inselstaat nicht nur rustikal aufgekocht wird. 

Zu den aktuell fünf besternten Restaurants gehört das De Mondion, zu den bekanntesten Köchen Kevin Bonello. Luxuriöser als hier, hoch oben im Xara Palace Hotel in Mdina, kann man im Lande nicht speisen; die Terrasse ist geschützt vor dem Regen, der meist im April aufhört und erst wieder im Herbst einsetzt, der Blick geht bis hin zum Meer in der Ferne, über hässliche Industriegebiete und idyllische Felder gleichermassen. Malta hat von allem etwas zu bieten. 

Doch heute ist Ruhetag im De Mondion, weshalb Bonello dem angereisten Journalisten eine private Kochvorführung bietet. «Nachhaltigkeit ist wichtig», sagt Bonello, der sich in Paris, Chicago und London weitergebildet hat und genau weiss, was im Trend liegt. Auf dem Dach des zur Xara-Gruppe zählenden Eventgebäudes wurden Fischtanks installiert, Abfall wird kompostiert, die bereits beachtlich grossen Gemüsefelder auf der anderen Strassenseite sollen ausgeweitet werden. Etliche Reihen mit Randen und Rüben, Zwiebeln und Brokkoli, ein eigener Gärtner. Chef Bonello sucht sich den schönsten Kohlrabi aus, nimmt Salatblätter mit, hat die vor der Küste gefangenen Garnelen schon dabei. Roh, fein gehackt, als Tatar, mit dem selbst gepressten Olivenöl abgeschmeckt. Nein, für die Gesamtversorgung des Unternehmens reiche das Gemüse, das hier entstehe, dann doch nicht aus, aber die Hälfte solle dereinst mal abgedeckt sein. Nachhaltigkeit als Vision, Storytelling, Aufbruchsstimmung.

Von den Corona-Einbussen der letzten beiden Jahre hat sich auf Malta niemand irritieren lassen. Stattdessen überlegten die Gastronominnen und Gastronomen, was denn die Essenz der hiesigen Küche sein könnte. Der maltesische Kulinarik-USP. Gar nicht so einfach, denn wenn man nach den typischen Speisen des aus drei bewohnten Inseln zusammengesetzten Kleinstaates fahndet, bleibt Überschaubares. Das frittierte Kaninchen, das in jeder zweiten Beiz auf dem Menü steht und mithilfe der Finger vom Knochen geknabbert wird. Ein paar Süssigkeiten, wie sie das legendäre Caffe Cordina in Valletta anbietet. Und die Pastizzi – jene mit Ricotta oder Erbsen gefüllten Teigtaschen, die für 50 bis 70 Cent als Grundnahrungsmittel in den Bars verkauft werden. Beim maltesischen Wein ist die Luft ähnlich dünn: Entweder sind sie grotesk überteuert, wie beim winzigen Boutiqueweingut Markus Divinus, oder ein bisschen mainstreamig wie bei Meridiana, einem von der italienischen Kellerei Antinori betriebenen Projekt, bei dem täglich Touristenbusse zwecks Verkostung halten.

Stephen Schiavone: Im Hintergrund zu wirken und frischen Fisch zu verarbeiten, ist die Spezialität des Tartarun-Küchenchefs.
Kevin Bonello: Der Chef de Cuisine des The Xara Palace Hotels bevorzugt auch auf Gourmetniveau maltesische Produkte.
Das Tartarun
Kreation im Tartarun
Das De Mondion
Kreation im De Mondion

Apropos Italien. Ohne die vom Nachbarn importierten Lebensmittel und Weine ginge nichts auf der stark be-und manchmal zersiedelten Insel. Andererseits ist die Idylle oft surreal. Maltas kleine, wie mit dem Lineal gezogene Metropole Valletta, in der man des Abends noch vor einigen Jahren kaum je einen Menschen traf, hat sich zur lebendigen Ausgehstadt entwickelt. Wo man früher nur zum Einkaufen oder für Behördengänge vorbeischaute, existieren heute unzählige Kneipen und Bars, die in bisweilen vor sich hinbröckelnden historischen Gebäuden untergebracht sind. Auch in Mdina setzen Wind und salzhaltige Luft dem weichen Kalkstein zu. Befände sich der Ort in der Provence, wäre wohl alles zugepflastert mit schicken Boutiquen und Trüffelläden; hier jedoch wirkt alles so, als könnten stante pede Dreharbeiten für den Graf von Montecristo beginnen. Bonellos Küche ist dennoch modern. Deutlich französisch geprägt, aber immer wieder sind maltesische Akzente spürbar. Die Schnecken, einen Klassiker, serviert er mit Schweinehaut und Blumenkohl. Künftig sollen die Tiere selbst gezüchtet werden im Xara-Unternehmen. Um die Qualität zu sichern und um den Gästen eine weitere Geschichte erzählen zu können.

Die Brüder James und Stephen Schiavone haben es in Marsaxlokk einfacher. Es geht im Restaurant Tartarun, der von seiner Familie seit vielen Jahren geführten Nummer eins der maltesischen Fischrestaurants, seit eh und je um all das, was gefangen wird zwischen Tripolis und Palermo. Und wo könnte ein Fischrestaurant passender angesiedelt sein als hier? Marsa, das phönizische Wort für einen geschützten Hafen, Xlokk, der Begriff für den Scirocco, den warmen Wind aus dem Süden. Der hiesige Fischmarkt mag im Sommer ein bisschen touristisch ausfallen, aber ansonsten wirkt alles bodenständig im Ort; ein paar kleine Bed & Breakfasts sind neu, es gibt sie auch in Valletta, sie ergänzen die alteingesessenen Hotels. Im Tartarun, dessen Name sich mit Fischernetz übersetzen lässt, geht es um frische Garnelen – die grossen roten sind teurer als die Kaisergranate – und Fisch. Ganz ohne importierte Zutaten geht es nicht, aber Hiesiges überwiegt. Erfreulich klein ist die Speisekarte, sternewürdig das Carpaccio von roten Garnelen; dass das Lokal im Guide Michelin lediglich erwähnt wird, bleibt unverständlich. Stephen Schiavone bringt den Fang des Tages zum Anschauen an den Tisch, empfiehlt manches für zwei, anderes für drei bis vier Personen, erläutert auf Wunsch den Preis. Etwas über sechs Euro kosten 100 Gramm vom frischestmöglichen Saint-Pierre, den man natürlich im nicht nur maltesisch-, sondern auch englischsprachigen Malta als John Dory anbietet. Stephen Schiavone filetiert selbst, der am besten passende Wein stammt nicht von Malta, sondern aus Italien. Soave von Inama. Er versuche, diesen auf den Inseln bekannt zu machen, sagt er. Sommelierkultur? Entwickelt sich gerade. Köchekultur? Ist auch noch ausbaufähig. James Schiavone, der Küchenchef, bleibt ein bisschen allzu bescheiden im Hintergrund.

Bonellos zum Abschluss aufgetischte Zitronentarte ist gut, aber vielleicht doch etwas allzu international. Zitrusfrüchte gibt es auf Malta zwar, sie spielen aber beileibe nicht dieselbe Rolle wie im benachbarten Sizilien. Landwirtschaftliche Fläche ist auf der 246 Quadratkilometer grossen Hauptinsel knapp, Wasser in vielen Ecken Mangelware. Im Tartarun macht die Apfelterrine mit einem Eis von gerösteten Baumnüssen grossen Spass, die Halva-Eiscreme ist typisch maltesisch, und ein Süsswein aus der Zibibbo-Traube passt ausgezeichnet. Es dürfte nur eine Frage der Zeit sein, bis die Gourmetreisenden nach der Ankunft auf Malta als Allererstes nach den neuen Jahrgängen, den besten Sterne-Restaurants oder den Geheimadressen für Pastizzi fragen und nicht mehr nach der Pressefreiheit, nach korrupten Politikern und dem Tod einer engagierten Journalistin. 

Restaurant De Mondion 
The Xara Palace 
Misrah il-Kunsill 
Mdina, Malta
+356 2145 0560
demondion.com

Restaurant Tartarun
Xatt is-Sajjieda
Marsaxlokk, Malta 
+356 2165 8089
tartarun.com

Maltas Weinkultur 
Sowohl im Tartarun als auch im De Mondion stehen maltesische Weine auf der Karte, die von einem der nicht mal zehn ernstzunehmenden Produktionsbetrieben des Landes stammen. In den vergangenen Jahren ist die Rebfläche stark gestiegen, beträgt nun rund 800 Hektar. Obwohl die Erzeugnisse von Meridiana und Marsovin untadelig sind, übersteigt der einheimische Konsum die limitierte Produktion bei Weitem. Hochwertige Dessertweine haben langfristig wohl die besten Chancen, den Ruf der maltesischen Weinkultur zu erhöhen.



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