Weg mit Einweg?

Ab Juli ist Wegwerfgeschirr aus Plastik in der Europäischen Union verboten. Auch in der Schweiz mehren sich derartige Massnahmen. Bis die Alternativen ökologisch tatsächlich sinnvoll sind, wird es allerdings noch dauern.
Text: Tobias Hüberli
Veröffentlicht: 15.06.2021 | Aus: Salz & Pfeffer 3/2021
Foto: Aleksandr Grechanyuk – Shutterstock.com

Auch viele der aus nachwachsenden Rohstoffen hergestellten Einwegverpackungen bieten reichlich Angriffsfläche. 

Der Kampf gegen Einweggeschirr aus Plastik ist in vollem Gange, und zwar weltweit. So sind Teller, Becher, Besteck oder Röhrchen aus diesem Material seit Anfang Jahr in der Millionenmetropole Mexiko-Stadt verboten. In der Europäischen Union tritt eine vergleichbare Massnahme im Juli in Kraft. Grund für die Verbote ist die massive Verschmutzung der Flüsse und letztlich der Weltmeere durch Plastikabfall sowie Mikroplastik. In der Schweiz ist man von einem nationalen Verbot zwar noch weit entfernt, allerdings ist der Kampf gegen den Kunststoff in vielen Kantonen und Städten angelaufen – mit direkten Konsequenzen für Take-away-Anbieter und Cateringunternehmen.

In der Stadt Bern darf an bewilligungspflichtigen Events auf öffentlichem Grund nur Pfand- und Mehrweggeschirr verwendet werden. Die Stadt Genf wiederum verbietet seit Anfang 2020 die Abgabe von Einwegplastikgeschirr bei Veranstaltungen und Verkäufen auf öffentlichem Grund. Doch so einfach derartige Gesetze in den Parlamenten eine Mehrheit finden, so kompliziert ist eine Umsetzung, die dem Ziel, ökologisch tatsächlich sinnvolle Alternativen für Einwegplastik zu finden, auch gerecht wird.

Wenig verwunderlich ist Plastik bei Kunststoff Swiss, dem Verband der Schweizer Kunststoffindustrie, nicht Teil des Problems, sondern Teil der Lösung. «In der Schweiz werden bereits 99,9 Prozent aller Kunststoffabfälle korrekt entsorgt», schreibt Mediensprecherin Verena Jucker. Nur ein Bruchteil der jährlich insgesamt 720000 Tonnen Plastikabfall, die in der Schweiz anfallen, würde in die Umwelt gelangen. «Korrekt entsorgt» bedeutet aber auch, dass jedes Jahr 570000 Tonnen Plastik verbrannt werden. Immerhin wird die Abwärme der Verbrennungsanlagen genutzt.

Aber auch viele der aus nachwachsenden Rohstoffen hergestellten Einwegverpackungen bieten reichlich Angriffsfläche. So enthält etwa Bambusgeschirr oft Melaminharz und ist deshalb nicht mehr biologisch abbaubar. Darüber hinaus kann das Harz gesundheitsschädlich sein. Pappbecher oder Kartonschalen wiederum müssen mit einer feinen Schicht Biokunststoff, hergestellt aus Pflanzenstärke, beschichtet werden, um heissen oder flüssigen Speisen standzuhalten. Derart verarbeitete Behältnisse können heute aber nur in wenigen Anlagen kompostiert werden. Das Verbot der EU schliesst Biokunststoff denn auch mit ein, was umstritten ist.

Für Greenpeace Schweiz sind Einwegverpackungen generell ein Irrweg. «Ein Verbot von Wegwerfplastik würde allein nicht viel bringen, denn auch Alternativen aus anderen Materialien verbrauchen unnötig viel Ressourcen und belasten die Umwelt. Wichtig ist, dass Take-away-Anbieter und Hersteller von Einweg- auf Mehrwegverpackungen und -geschirr umsteigen. Nur dies bringt einen richtigen ökologischen Nutzen», sagt Joël Widmer. Wünschenswert, so der Greenpeace-Kommunikationsverantwortliche, wären gute Anreizsysteme für den Umstieg auf Mehrweg.

Für einen Mittelweg plädiert Rainer Renggli von der Firma Gastro Plus AG. Vor drei Jahren gründete er das Label Gastro Green, über das er das Gastgewerbe sowie Eventveranstalter mit plastikfreiem Einweggeschirr beliefert. «Biologisch abbaubar heisst leider noch lange nicht, dass diese Produkte auch entsprechend abgebaut werden», sagt der Innerschweizer. So brauche Bio-Kunststoff länger, bis er verrottet. Das kommt in den heutigen Wiederaufbereitungsanlagen zu teuer. Renggli schlägt deshalb vor, Plastik dort zuzulassen, wo es sinnvoll ist, es aber zu besteuern, um damit den Abbau von Bio-Kunststoff rentabel zu machen.

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Die ökologisch perfekte Lösung im Einwegbereich existiert zurzeit nicht. Allerdings gibt es zahlreiche Produkte, die gegenüber der nicht erneuerbaren Plastikvariante Vorteile haben. Durchgesetzt haben sich zum Beispiel Teller und Behälter aus Bagasse. Das sind faserige Überreste, die bei der Verarbeitung von Zuckerrohr gewonnen werden. «Vor zehn Jahren verkauften wir 80 Prozent Plastikteller, heute sind 95 Prozent aus Bagasse», so Renggli. Das Material ist biologisch abbaubar, wird aber bis heute nicht rezykliert.

Kompliziert gestaltet sich die Suche nach Alternativen zum geächteten Plastikröhrli. Glas- und Edelstahlvarianten müssen von Hand gereinigt werden, was die Kosten in die Höhe treibt. Auch Versuche, einen Strohhalm tatsächlich aus Stroh herzustellen, gestalteten sich schwierig: zu brüchig, zu kompliziert in der Produktion – und dann darf das Ausgangsmaterial auf keinen Fall mit Pestiziden in Kontakt gekommen sein. Verbreitet sind mit Bio-Kunststoff beschichtete Kartonröhrchen. Einwandfrei funktionieren würden auch Halme aus reinem Bio-Kunststoff, so Renggli. Nur seien diese weniger beliebt, da sie von herkömmlichen Plastikröhrli nicht zu unterscheiden sind. Und eine Gastronomin, die auf Nachhaltigkeit setzt, will dies in der Regel auch sichtbar machen.

Sicher ist: Das Angebot an ökologisch sinnvollerem, wenn auch nicht perfektem Einweggeschirr ist breit – und es wird insbesondere durch die weltweiten Plastikverbote wachsen. Während es an Produkten wie dem Ökopapier, hergestellt aus Gras, eigentlich nichts mehr auszusetzen gibt (ausser der begrenzten Einsatzmöglichkeit), haften Bio-Kunststoff (oft hergestellt aus Mais von Monokulturen) oder Besteck aus Avocadokernen (hoher Wasserverbrauch) ein Makel an. «Wir sind auf dem richtigen Weg, aber noch nicht am Ziel», fasst es Renggli zusammen.

Eine für die Umwelt optimale Lösung – da sind sich Greenpeace und Kunststoff Swiss für einmal einig – sind Mehrwegverpackungen aus Plastik. Seit fünf Jahren wirbt das Berner Start-up Recircle für ein Umdenken in der Gastronomie und in der Gesellschaft. «Wir sind visions- und nicht umsatzgetrieben», sagt Recircle-Kommunikationsverantwortliche Karin Burn. Zurzeit bieten in der Schweiz insgesamt 1500 Gastronomiebetriebe ihren Kunden die Möglichkeit, die wiederverwendbaren Plastikbehältnisse zu einem Preis von zehn Franken pro Stück zu beziehen. Für Gastronomen fallen jährlich eine Abogebühr sowie ein Mitgliederbeitrag an. Im Gegenzug ersetzt Recircle jederzeit und kostenlos beschädigte Verpackungen.

Während in den letzten Jahren vor allem die Gemeinschaftsgastronomie sowie die Grossverteiler als Treiber des Mehrwegsystems fungierten, habe man spätestens seit Ausbruch der Pandemie die gesamte Palette des Gastgewerbes, vom Food-Truck über Cateringfirmen bis hin zu Bäckereien und Metzgereien, im Fokus, so Burn. «Unser Ziel ist es, nicht nur die ökologisch sinnvollste Verpackung anzubieten, sondern auch die günstigste.» Das Einwegplastikverbot in der Europäischen Union spielt Recircle dabei durchaus in die Karten. Das Interesse im Ausland für nachhaltige Lösungen sei gross, so Burn. Und so verwundert es nicht, dass das Unternehmen Anfang Juni einen Expansionskurs bekannt gab und neben Deutschland neu in vier weiteren Ländern, nämlich Italien, Estland, Dänemark und den Niederlanden, daran arbeitet, das Verhalten der Konsumenten zu ändern.

Glossar der Einwegverpackungen

Plastik, hergestellt aus Erdöl, wurde in den Fünfzigerjahren populär, als es gelang, dieses Material in grossen Mengen herzustellen. Für Verpackungen und Einweggeschirr kommen heute vor allem die Kunststoffe Polyethylen, Polypropylen, Polysyrol und PET zum Einsatz. Pro Jahr fallen in der Schweiz fast 100 Kilo Plastikabfälle pro Kopf an – mehr als dreimal so viel wie im europäischen Durchschnitt.

Das als Bio-Kunststoff bekannte Polylactid, auch PLA genannt, wird im Labor, aber auf Basis von Pflanzenstärke, etwa von Mais, hergestellt. PLA ist biologisch abbaubar, allerdings nur in wenigen darauf ausgerichteten industriellen Kompostierungsanlagen. Kritisch betrachtet wird zudem das Ausgangsmaterial, das meist nicht aus nachhaltigem Anbau, sondern aus Monokulturen stammt. In seinen Eigenschaften ist PLA herkömmlichem Kunststoff sehr ähnlich und oft nicht von ihm zu unterscheiden. Das neue Verbot der EU schliesst Bio-Kunststoff ein, was umstritten ist.

Teller und Behältnisse aus Pappkarton sind beliebt, machen optisch etwas her, halten nassen und heissen Speisen aber nur stand, wenn sie mit einer feinen Schicht von Bio-Kunststoff oder Plastik versehen werden. Das wiederum erschwert oder verunmöglicht eine Kompostierung.

Aus Grasfaser hergestelltes Papier bringt viele Vorteile. Die Produktion von Grasfaser findet mechanisch statt und schont Ressourcen. Graspapier wird heute in vielen Verpackungen, etwa von Obst oder Gemüse, verwendet und lässt sich genauso wie andere Papiere oder Kartonagen verarbeiten.

Teller aus Bagasse stehen bei Gastronomen als Plastikalternative hoch im Kurs. Bagasse sind faserige Überreste aus der Zuckerrohrproduktion, die sich in allerlei Formen pressen lassen. Ähnlich hergestellt werden Teller aus Palmblättern. Sie sind hochwertig, aber relativ teuer.

Schlechte Noten erhält Geschirr, hergestellt aus Bambus. Der Rohstoff ist zwar sehr widerstandsfähig und schnell nachwachsend, Produkte aus diesem Material enthalten aber oft Melaminharz, das, wenn es auf über 70 Grad Celsius erhitzt wird, giftige Inhaltsstoffe wie etwa Formaldehyd absondern kann. Ausserdem erübrigt sich im Verbund mit Melaminharz die biologische Abbaubarkeit.

Beim Besteck hat sich Holz als Plastikersatz durchgesetzt. Es existieren allerdings auch Alternativen aus Brot oder aber Avocadokernen. Aus Brot entstehen vor allem Löffel, da das Material für Messer nicht ausreichend hart ist. Essgeräte aus Avocadokernen erfüllen hingegen sämtliche Vorgaben der Konsumenten, allerdings steht die Avocadoproduktion als Ganzes aufgrund des hohen Wasserverbrauchs in der Kritik.

Zum Mitessen
Die beste Verpackung ist diejenige, die man gleich mitverspeisen kann. Bekannt ist da zum Beispiel die Waffel zum Glace oder aber die Suppe im Brötchen. Seit rund 30 Jahren forscht die Verpackungsindustrie an derartigen Lösungen, bisher mit mässigem Erfolg. Aber die Zeiten könnten sich ändern. 2019 präsentierte das Unternehmen Evoware in Indonesien, wo sich die Problematik des Plastikmülls in seinem ganzen Elend manifestiert, ein aus Algen hergestelltes Verpackungsmaterial sowie Einwegbecher aus Algengelee, allerdings nur für Kaltgetränke. Kommen die Algenverpackungen mit heissem Wasser in Kontakt, lösen sie sich auf. Und in Deutschland bietet das Start-up Kulero essbares, auf Brot basierendes Geschirr, vom Löffel über den Trinkhalm bis hin zum Kaffeebecher.



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