Das Gastgewerbe im Herzen

Maurus Ebneter hat den Wirteverband Basel-Stadt über Jahrzehnte entscheidend geprägt. Als frisch gewählter Trésorier ist er nun im innersten Machtzirkel von Gastrosuisse angekommen.
Interview: Tobias Hüberli – Fotos: Njazi Nivokazi
Veröffentlicht: 16.11.2021 | Aus: Salz & Pfeffer 6/2021

«Wenn wir ehrlich sind, haben wir in den letzten 30 Jahren meist nur Schlimmeres verhindert.»

Warum begannen Sie sich bei Gastrosuisse zu engagieren?
Maurus Ebneter:
Da steckte kein gross angelegter Plan dahinter. Es ergab sich einfach so. 1996 wurde ich als mit Abstand Jüngster in den Vorstand des Wirteverbands Basel-Stadt gewählt. Sogar noch mit einem Gegenkandidaten. Einen Jungen mit etwas verrückten Betrieben wollten manche eigentlich nicht haben. Damals begann ich, mich um die Öffentlichkeitsarbeit des Verbands zu kümmern. Ich fand, dass wir professioneller kommunizieren müssen, nach innen wie nach aussen hin.

Erzählen Sie.
Auf kantonaler Ebene war es mir zu wenig systematisch und zu wenig regelmässig, vor allem für die internen Belange. 1999 gründeten wir die Plattform Baizer.ch. Und irgendwann sagten wir uns, dass die Verbandswebsite auch als eine Art Fachmagazin funktionieren kann. Unsere Frontseite ist deshalb schon seit langem mit Branchennews bestückt. Man findet bei uns 7000 Artikel, unter anderem zu vielen Rechtsfragen.

Wie kam das nach Ausbruch der Pandemie an?
Die Klickzahlen explodierten regelrecht. Zwischenzeitlich informierte sich die halbe Schweiz bei uns. Ein Artikel wurde innert 48 Stunden 40000 Mal aufgerufen. Wir waren die ersten, die das Schutzkonzept nicht als PDF, sondern im Textformat in einem Artikel hatten. Bei Gastrosuisse musste man sich durchklicken. Mittlerweile hat auch der Dachverband digital dazugelernt, aber zu Beginn der Pandemie merkte man, dass er dort noch nicht richtig in die Gänge gekommen war.

Bei Gastrosuisse kollidieren doch zwei Welten, jene der freien Unternehmer mit jener der trägen Strukturen eines Verbands.
Das ist klar. Die Verbandsarbeit ist immer auch politisch, es braucht Mehrheiten. In einer heterogenen Branche wie dem Gastgewerbe ist das eine besonders grosse Herausforderung. In den letzten Jahrzehnten wurde unser Wirtschaftszweig vielfältiger. Das begrüsse ich sehr, aber die Interessensvertretung macht es anspruchsvoller.

Rössli-Wirt versus Szenengastronomie: Wie gehen Sie damit um?
Den Rössli-Wirt im altmodischen Sinne gibt es in Basel fast nicht mehr. Wir kümmern uns um alle, die seriös und professionell im Gastgewerbe arbeiten, unabhängig von der Betriebsart. Ich bin dafür, den Begriff Gastronomie breit zu definieren. Man kann die Grenzen gar nicht mehr klar ziehen. Auch traditionelle Betriebe haben teilweise neue Geschäftsmodelle erschlossen.

Unter Ihrer Führung kämpft der Wirteverband Basel-Stadt seit über einem Jahrzehnt gegen die Hochpreisinsel Schweiz.
Unser Problem ist, dass wir zu hohen Schweizer Preisen produzieren, aber zu internationalen Preisen konkurrenzfähig sein müssen. Beim Kartellrecht konnten wir einen Erfolg erzielen. Zur Fair-Preis-Initiative hat das Parlament einen Gegenvorschlag beschlossen, der unsere wichtigsten Anliegen berücksichtigt. Wir bekamen, was wir wollten. Jetzt müssen wir darüber wachen, was nach der Inkraftsetzung genau passiert.

Die Hochpreisinsel wird aber trotzdem weiterhin bestehen.
Stimmt. Um diese weiter zu schleifen, braucht es den Abbau von Handelshemmnissen und die Öffnung von weiteren Teilen des Agrarmarkts. Es gibt Beispiele, die zeigen, dass es funktioniert. Als man den Weinmarkt öffnete, wurde der Schweizer Wein besser. Die guten Winzer sind alle ausverkauft. Und wenn man den Emmentaler rausrechnet, haben die Hersteller im Käsemarkt endlich angefangen, über die Grenze hinaus zu denken. Ich bin davon überzeugt, dass der liberale Weg richtig ist. Wenn die Qualität stimmt, sind viele Konsumenten gerne bereit, für ein Schweizer Produkt wesentlich mehr auszugeben als für ein importiertes.

Das sehen die Bauern anders.
Natürlich müssen wir den Landwirten bei diesem Wandel helfen. Man darf sie nicht auf einen Schlag dem Weltmarkt aussetzen. Aber für uns ist die aktuelle Situation ein schwerwiegender Wettbewerbsnachteil. Dass wir viele Agrarprodukte zum Zwei- bis Drei- oder in Einzelfällen sogar Sechsfachen einkaufen müssen, ist nicht nachvollziehbar.

Wer hält bei Gastrosuisse eigentlich die Macht in den Händen?
Der Dachverband gehört den Kantonalsektionen, so ist das Verständnis in unseren föderalen Strukturen. Darum kommt der Präsidentenkonferenz bei Gastrosuisse eine sehr wichtige Rolle zu.

Erklären Sie das bitte.
Vieles wird natürlich im Vorstand beschlossen. Aber die Präsidentenkonferenz kann Leitplanken setzen. Es kommt immer wieder vor, dass sich Kantonalpräsidenten kritisch äussern, ich eingeschlossen. Der Vorstand kann die Meinung der Kantonsvertreter nicht ignorieren. Wenn da ein Geschäft keine Mehrheit hat, findet es nicht statt.

Wie würden Sie das Wesen von Gastrosuisse in wenigen Sätzen beschreiben?
Wir sind eine sehr schweizerische Einrichtung, bedingt durch unseren föderalistischen Aufbau, in dessen Rahmen die Kantonalsektionen einen grossen Einfluss haben. Dazu kommt ein hoher Organisationsgrad. Das finde ich auch typisch für unser Land: Dass die Leute sich zusammenschliessen und in solche Organisationen Vertrauen setzen. Wir sind Interessensvertreter und keine Parteipolitiker. Bei uns geht es einzig um Themen, die für die Branche relevant sind.

Was genau fasziniert Sie eigentlich an der Verbandsarbeit?
Am meisten, dass ich weiterhin mit dem Gastgewerbe verbunden bin. Ich bin in dieser schönen Branche gross geworden und trage sie für immer im Herzen. Ich sehe nicht nur die wirtschaftliche Bedeutung, sondern auch die soziale und kulturelle Funktion, die wir wahrnehmen. Sich dafür einzusetzen, dass die Unternehmer möglichst gute Rahmenbedingungen haben, finde ich eine sehr noble Aufgabe. Natürlich hat die Verbandsarbeit auch eine frustrierende Seite.

Die da wäre?
Wir sind ein Player auf dem politischen Parkett mit einem begrenzten Auftrag. In der Politik erreicht man fast nie, was man selbst für das Beste hält. Wenn wir ehrlich sind, haben wir in den letzten 30 Jahren meist nur Schlimmeres verhindert. Wir hielten gewisse Dinge auf, wir errangen im Kleinen Siege, aber wir konnten insbesondere die kleinen Unternehmer nicht vor einer ständig wachsenden Überregulierung bewahren. Politik ist halt die Kunst des Möglichen. Zur Schweiz gehört auch eine gewisse Kompromissbereitschaft. Aber als Branchenverband ist es nicht unsere Aufgabe, mit Kompromissen in die Diskussion zu steigen.

Wie motivieren Sie Gastronomen, sich im Verband zu engagieren?
Eine Hürde ist, dass die Leute in ihren Betrieben sehr stark gefordert sind. Gelänge es uns, dort Entlastung zu bieten, sodass sie nicht gegen all die Windmühlen kämpfen müssten, die da rumstehen, gäbe es wohl auch mehr Bereitschaft zur Verbandsmitarbeit. Es ist nicht so, dass die Leute sich nicht engagieren wollen, aber sie tun es lieber begrenzt und projektbezogen. Weniger beliebt ist die Knochenarbeit, die es halt auch braucht.

Sie sprechen von politischem Lobbying.
Man kann nicht erst Kontakt mit Politikern und Beamten aufnehmen, wenn ein Problem auftaucht. Sehr viel politische Arbeit findet auf kantonaler Ebene statt. Wir haben Gesetzgeber, eine Verwaltung, eine Regierung, die betreut werden müssen. Die Beziehungsarbeit muss über Jahrzehnte stattfinden. In der aktuellen Krise war es sehr hilfreich, auf ein bestehendes Kontaktnetz zurückgreifen zu können. 

Sie sind der neue Trésorier von Gastrosuisse. Was interessiert Sie an dieser Funktion?
Der Trésorier kümmert sich um die Finanzen der Gastrosuisse-Gruppe, zu der auch zwei Hotelfachschulen, Immobilien sowie das Unternehmen Gastroconsult gehören. Es ist eine Schlüsselfunktion, weil nur gesunde Finanzen einen schlagkräftigen Verband ermöglichen. Zurzeit ist das eine besondere Herausforderung. Die Lage ist nicht existenzbedrohend, aber unschön. Zudem ist man als Trésorier zusammen mit dem Präsidenten und dem Vizepräsidenten Teil des Präsidiums, kann also im innersten Zirkel Einfluss nehmen.

Wofür stehen Sie?
In der Berufsbildung wünschen wir uns alle mehr Nachwuchs. Wobei ich auch kein Patentrezept dafür habe. Auf der politischen Ebene braucht es eine starke Interessensvertretung. Und das hat Casimir Platzer erreicht. Er hat in seiner Zeit als Präsident ein riesiges Netzwerk aufgebaut. Bei sehr vielen politischen Themen wird Gastrosuisse als Player ernstgenommen. Das muss auch so bleiben.

Die Tonalität von Gastrosuisse wird oft kritisiert. Was halten Sie davon?
Grundsätzlich finde ich sie gut. Wir müssen klar und deutlich auftreten. Gleichzeitig stelle ich fest, dass selbst dann, wenn wir uns gewählt ausdrücken, anschliessend geschrieben steht, wir hätten gepoltert. Und natürlich gibt es immer Leute im Gastgewerbe, die eine andere Meinung haben und von den Journalisten gezielt angegangen werden. Die Revolte bei Gastrosuisse, die ab und zu herbeigeschrieben wird, findet nicht statt. Aber ja, wir müssen vorsichtig sein in der Wortwahl. Und vielleicht auch noch besser lernen, wie Medien funktionieren. 

Maurus Ebneter (58) stammt aus einer Gastronomenfamilie. Aufgewachsen ist er im Hotel Kaubad oberhalb von Appenzell. Bereits seine Urgrosseltern waren Wirte, seine Grosseltern betrieben das Restaurant Sonne am Appenzeller Landsgemeindeplatz. Ebneter absolvierte die Hotelfachschule in Luzern und verdingte sich anschliessend während zwei Jahren als Food & Beverage-Manager in den Vereinigten Staaten. 1988 machte er sich als 24-Jähriger selbstständig: Er übernahm die Disco «etcetera» in Basel. Bald kamen die Musikbar «null 8 fünfzehn» beim Barfüsserplatz sowie das US-amerikanisch inspirierte Burger-Restaurant Fifty-Fifty hinzu. 1996 wurde er in den Vorstand des Wirteverbands Basel-Stadt gewählt. Seit 2018 leitet er die Kantonalsektion von Gastrosuisse als Präsident. Und dieses Jahr wurde Ebneter zum neuen Trésorier des nationalen Verbands gewählt.



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