Im Kleinen ganz gross

Simon Sommer ist glücklich, wieder täglich am Herd zu stehen. Im Wein & Sein kocht er, was ihm selbst schmeckt, und lernt zugleich am eigenen Leib, was er einem Mitarbeiter dereinst abverlangen kann.
Interview: Tobias Hüberli – Fotos: Jürg Waldmeier
Veröffentlicht: 12.11.2019
Lachsforelle, Sanddorn und Sauerrahm

«Meine Küche soll punkto Technik und Kombination weltoffen bleiben.»

Im Restaurant Schöngrün führten Sie eine Brigade, im Wein & Sein starteten Sie als Alleinkoch. Was entspricht Ihnen besser?
Simon Sommer: Das ist schwierig zu sagen. Es hat beides seine schönen Seiten. Im Schöngrün hatte ich nicht mehr den Auftrag, jeden Tag Mise-en-Place-Arbeiten zu verrichten. Die Organisation und Koordination standen im Vordergrund. Ich entwarf Menüs, kümmerte mich aber auch um den unschönen Teil: die Kalkulation und solche Geschichten. Es war eine Riesenchance, ich musste mich einarbeiten und konnte viel lernen. Aber ich stehe definitiv lieber in der Küche.

Kalkulieren müssen Sie jetzt nicht mehr?
Nicht mehr so streng. Im Schöngrün haben wir jedes Rezept notiert und aufs Gramm runtergerechnet. Ich hatte zehn Köche unter mir und wollte alles eins zu eins weitergeben. Die Rezepte waren für mich ein wichtiges Führungstool. Jetzt notiere ich mir zwar, was ich koche, und schaue, dass die Kosten im Rahmen bleiben, aber ich rechne für eine Vinaigrette nicht mehr den Preis pro Person aus.

Hat sich Ihre Küche im Wein & Sein verändert?
Prinzipiell schon. Als ich hier anfing, hatte ich den Anspruch, wieder stärker am Herd zu stehen. Ich fragte mich damals, obs all die Komponenten auf dem Teller wirklich braucht. Ich wollte meine Gerichte reduzieren, dafür mehr in die Tiefe gehen. Hier bin ich aus Zeitgründen sowieso darauf angewiesen. Uns fehlen schlicht die Hände, um Gänge mit 20 Komponenten rauszuschicken.

Auch reduzierte Gerichte können aufwendig sein.
Es ist eine spannende Herausforderung. Ich muss mir im Vorfeld Gedanken machen, was logistisch überhaupt möglich ist. Ob ich es so, wie ich es im Kopf habe, auch auf den Teller kriege. Allein schon deshalb unterscheidet sich meine Küche hier von dem, was wir im Schöngrün gemacht haben.

Für welche Küchen interessieren Sie sich?
Die japanische Küche ist sehr spannend, einfach weil die Japaner Spinner sind. Sie ist sehr reduziert und extrem auf den Punkt gebracht. Sonst ist mir das klassische Handwerk wichtig. Ich mache gerne deftige Gerichte, da fliesst meine deutsche Herkunft genauso mit rein wie die französische Küche, so wie man sie halt lernt. Aber eigentlich will ich mich gar nicht unbedingt auf einen Stil festlegen. Meine Küche soll punkto Technik und Kombination weltoffen bleiben, einfach mit der Voraussetzung, dass ich meine Ware von da hernehme, wo ich koche.

Aber die Gourmetküche ist Ihr Ding?
Definitiv. Während meiner Lehre durfte ich mal eine Woche bei Alexandro Pape im Hotel Fährhaus reinschnuppern. Von da an war ich angefixt. Es hat mich tierisch fasziniert. Der riesige Aufwand, der hinter so einer Art zu kochen steckt, die Detailverliebtheit und auch die Produkte. Im Fährhaus spürte man eine Leidenschaft, die Leute hatten einfach Spass an der Arbeit. Ich sagte mir damals: So will ich arbeiten, mit Menschen, die den gleichen Anspruch an sich selbst haben, etwas Schönes zu erschaffen.

 Verstehen sich gut: Geschäftsführerin Daniela Jaun und Küchenchef Simon Sommer
Brombeere, Schokolade und Meringues
Schwein, Mangold und Buchweizen

Wie gehen Sie damit um, ständig von Restaurantführern bewertet zu werden? Ich mache mir deswegen keinen Druck. Mir ist einfach wichtig, Sachen zu kreieren, die mir persönlich schmecken und hinter denen ich stehen kann. Aber natürlich hoffee ich, dass sie unseren Gästen und auch den Testern schmecken.

Fehlt Ihnen nicht manchmal der Austausch, wie man ihn innerhalb einer grossen Brigade hat?
Am Anfang war das sicherlich so. Vor einem Jahr holten wir Vadim Bornhauser in einem Teilzeitpensum, weil einfach klar wurde, dass man die Winterzeit hier alleine nicht überlebt. Seit diesem Oktober ist Christian Oliveira Vollzeit bei uns. Das wird sich in den nächsten Menüs bemerkbar machen, einfach, weil zu zweit mehr zustande kommt.

Was haben Sie sich im Wein & Sein eigentlich vorgenommen?
Da habe ich mir keinen allzu grossen Kopf gemacht. Ich wollte einfach gut kochen und schauen, was allein alles möglich ist. Ich hege schon den Hintergedanken, später mal wieder ein grösseres Team zu führen, nicht morgen oder übermorgen, aber irgendwann. Insofern erlebe ich hier am eigenen Leib, was man einem Mitarbeiter alles abverlangen kann – und was nicht.

Wie beurteilen Sie die gastronomische Entwicklung in Bern?
Die Stadt macht sich. Es ist schade, dass das Restaurant Eisblume in Worb weggefallen ist, einfach weil es die Crew um Simon Apothéloz dort wahnsinnig gut gemacht hat. Und es ist ein bisschen schade, dass Bern mit dem Meridiano nur ein Sterne-Restaurant hat. Es gibt halt immer noch viele Leute, die in eine Stadt gehen, um gut zu essen. Bern bietet diesbezüglich auf dem Papier, wenn mans nicht kennt, eher wenig. Aber die Entwicklung ist sicherlich positiv.

Wie ist die Beziehung unter den Köchen in Bern?
Generell ist der Austausch in der Gastronomie hier ziemlich hoch. Nicht nur unter den Köchen. So habe ich es noch nirgends erlebt. Über die Zeit ist ein richtig gutes Netzwerk entstanden. Hilfreich war diesbezüglich auch die Eventreihe Acht Häng, acht Gäng, an der ich mitwirken durfte. Man läuft sich in der Stadt schnell über den Weg und redet miteinander. Wenn man Hilfe braucht oder ein Gerät fehlt, schreibt man das mal in die Runde, und irgendwer kommt dann zu Hilfe.

Kochen sei auch Ihr Hobby, sagen Sie.
Das ist tatsächlich so. Und alles, was mit Essen zu tun hat, interessiert mich. Das hat so mit elf oder zwölf angefangen. Meine Eltern waren damals beide berufstätig. Da habe ich mir von meiner Mutter ein paar Sachen zeigen lassen, damit ich in der Lage war, für mich und meine Schwester etwas zu kochen, wenn ich von der Schule kam. Was ich da zusammenrührte, hatte zwar nichts mit Kochen zu tun, aber ich fands ziemlich entspannend. So wurde es zuerst zum Hobby und später zum Beruf. Mir war immer klar, dass mir meine Arbeit Spass bereiten muss.

Hegten Sie nie Zweifel an Ihrem Entscheid?
Doch, ich habs oft hinterfragt. Weils nicht unbedingt die schönsten Arbeitszeiten sind und der Beruf einem viel abverlangt. Es sind auch ein paar Hobbys und Freundschaften dafür auf der Strecke geblieben. Natürlich lernt man neue Menschen kennen, und ich bin froh, dass es so gelaufen ist. Aber es gab Momente, in denen ich mich fragte, ob ich das wirklich will.

Glauben Sie, ein guter Koch zu sein? Das sollen andere beurteilen.

Sie wurden von Geschäftsführerin Daniela Jaun angeworben. Wie funktioniert die Zusammenarbeit?
Super. Daniela ist eine sehr offene Person. Was die Küche angeht, habe ich freie Hand. Sie kümmert sich um die Gäste und den Wein, von beidem habe ich wenig Ahnung. Aber ich kann zum Beispiel jeden Wein probieren, der zum Menü geht. Es ist cool mit ihr.

Was kommt im Restaurant Wein & Sein eigentlich zuerst: der Wein oder das Essen dazu? Es ist sensorisch betrachtet einfacher, zuerst ein Gericht zu kreieren und dann den Wein darauf abzustimmen.

Im Winter ist im Wein & Sein Hochsaison. Kochtechnisch betrachtet ist das nun nicht unbedingt die ergiebigste Zeit.
Es geht. Ich finde den Winter eigentlich ziemlich interessant. Die Fermentation oder ganz generell das Haltbarmachen von Lebensmitteln ist ein spannendes Thema. Ich arbeite gerne mit gepickelten, eingelegten oder eingemachten Sachen. Man muss sich einfach relativ früh Gedanken machen, was man kochen will. Klar, die Produktpalette wird schmaler, aber ich sehe das als Herausforderung. Eine, die mir persönlich umso mehr Spass bereitet, weil man kreativ sein muss.

Hat es Sie nie gereizt, nochmals zu reisen, etwa um andere Kontinente kennenzulernen? Doch, Bern war eigentlich mal als Zwischenstation gedacht. Mein Ziel war es, hier ein bisschen was fürs Konto zu tun und dann Neuseeland zu bereisen. Als Deutscher hat man dort noch das Work-and-travel-Privileg. Es ist dann halt etwas anders gelaufen. Aber ich will nicht ausschliessen, dass das noch passiert. Die Welt interessiert mich nach wie vor.

Simon Sommer (32) wuchs in Rastatt in Baden-Württemberg auf. Dort absolvierte er auch die Kochlehre, in einem familien- geführten Vier-Sterne-Hotel. Es folgten Stationen in Baden-Baden sowie auf Sylt, wo Sommer zweieinhalb Jahre im Hotel Fährhaus wirkte, zuerst in der Käpt’n Selmer Stube und anschliessend im Gourmetrestaurant von Sterne-Koch Alexandro Pape. Fast zwei Jahre blieb Sommer bei Manfred Schwarz in dessen Restaurant in Heidelberg, bevor er im Berner Restaurant Meridi- ano bei Markus Arnold anheuerte. Im März 2014 wechselte Sommer als Souschef ins Restaurant Schöngrün unter der Leitung von Werner Rothen. Als dieser den zu den ZFV-Unternehmungen gehörenden Betrieb neun Monate später verliess, übernahm Sommer die Küchenleitung. Für seine stark auf lokale und regionale Produkte ausgerichtete Küche erhielt er von Gault & Millau 16 Punkte. Im März 2018 wechselte Sommer als Alleinkoch ins von Daniela Jaun geführte Restaurant Wein & Sein in der Berner Altstadt.

Restaurant Wein & Sein
Münstergasse 50
3011 Bern
031 311 98 44
www.weinundsein.ch



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