Leise, aber deutlich

In Winterthur rückt Michael Dober lieber das Produkt in den Fokus als sich selbst. Der Küchenchef des Rosa Pulver spricht im Interview über den kreativen Prozess, Abwechslung auf den Posten und den Absprung aus der Patisserie.
Interview: Sarah Kohler – Fotos: Jürg Waldmeier
Veröffentlicht: 08.02.2022 | Aus: Salz & Pfeffer 1/2022
Sautiertes Zanderfilet mit Selleriepüree und Sauerteigbéchamel

«Understatement gehört zu meiner Art.»

Sie lernten erst Konditor, dann Koch. Was gefällt Ihnen besser?
Michael Dober: Der Kochberuf ist vielfältiger; ein Stück weit ist das Handwerk des Konditors da mit drin. In Form von Konfekt, von Desserts. In der Position des Kochs verbinden sich verschiedene Berufe, das mag ich. Und dass man nie ankommt, nie fertig ist. Sobald ich etwas verinnerlicht habe, entdecke ich die nächste Wissenslücke, die ich schliessen möchte.

Welche war das zuletzt?
Ich habe fast täglich das Gefühl, dass die Menschen, mit denen ich zusammenarbeite, in einem Gebiet fundierter unterwegs sind als ich. Oder im Gespräch mit Produzentinnen, mit Produzenten: Es gibt so viel Know-how und Wissen, das ich mir noch aneignen kann. Einen Einblick erhielt ich in meiner Zivildienstzeit auf dem Bungerthof, als ich viel darüber lernte, welche Pflanzen und Pflanzenteile essbar sind. Zum Beispiel die wilde Rübe: Sie ist ein unscheinbares Kraut und echt anstrengend auszubuddeln, hat aber einen mega intensiven Geschmack. Und die Holzigkeit kriegt man mit der richtigen Verarbeitung auch raus. Total spannend! Wenn man eine Weile auf dem Feld mitarbeitet, verändert das den Respekt gegenüber dem Lebensmittel schon.

Müssten Köche und Köchinnen also generell Erfahrung in der Landwirtschaft sammeln?
Nun ja, es gibt unterschiedliche Ansätze, und ich finde es okay, dass nicht alle so arbeiten, wie wir das tun. Aber mit einem Konzept wie dem unseren ist es schon wesentlich, die Seite der Landwirtschaft auch mal gesehen zu haben.

Ein Konzept wie Ihres: Was heisst das für Sie?
Die Schlagwörter sind ausgelutscht: nachhaltig, regional, saisonal. Wir schauen, dass wir alles brauchen: nose to tail, leaf to root. Nur soll das Ganze bei uns nicht einfach nur so dahergesagt sein. Wir versuchen wirklich, diese Grundsätze ehrlich zu leben und mit Produzentinnen und Produzenten zusammenzuarbeiten, die uns inspirieren. Inzwischen haben wir in Winterthur auch ein Publikum, das den Zugang zu unserer Art von Küche gefunden hat. Wir dürfen immer klarer, puristischer und radikaler werden. Ein Fischgarum oder Zanderbottarga hätten wir in unseren Anfangszeiten vermutlich nicht aufgetischt

Ein gutes Beispiel für Ihren konsequenten Fokus auf das Produkt ist die aktuelle Hauptspeisen-Auswahl Ihrer Tavolata: Sellerie in vier Varianten – respektive fünf, wenn man die vegetarische Alternative ebenfalls mitrechnet.
Darauf basiert unser Menü: Wir nehmen uns für die Vorspeise, für die Hauptspeise und fürs Dessert jeweils ein Lebensmittel wie den Sellerie oder ein Thema wie beispielsweise Sommerkräuter oder Hülsenfrüchte vor und kreieren darum herum dann unsere Tavolata-Teller. Ich finde, dass dieses Vorgehen die Arbeit spannend macht – und ausserdem auch etwas einfacher. Es hilft, sich in der Konzeption einzuschränken.

Selleriegnocchi mit Fischgarum
Selleriesalat mit geräuchertem Fischfond, fermentiertem Apfelsaft und brauner Butter
Gastgeberin Simona Schneider sorgt dafür, dass am Tisch ankommt, was in und hinter Michael Dobers Kreationen steckt.
Sellerietaco mit Nussmole, Zanderbottarga und dehydriertem Joghurt
Sellerie-Emmer-Lasagne mit Sauerteigbéchamel

Wie läuft denn der kreative Prozess bei Ihnen?
Ich bin mir meiner Rolle als Küchenchef inzwischen zwar einigermassen bewusst und habe genug Selbstvertrauen, um zu entscheiden, was mir gefällt und was ich nicht haben möchte, aber es ist mir nach wie vor sehr wichtig, dass sich bei uns alle in die Entwicklung des Menüs einbringen können. Wir besprechen deshalb gemeinsam, welche Themen möglich wären – und dann, was sich daraus konkret machen liesse. Worauf haben wir Lust? Welche Kombinationen schweben uns vor? Wobei schon hauptsächlich ich derjenige bin, der daheim aktiv über die Kreationen nachdenkt. Ich kopiere nichts, weil das langweilig ist und auch nicht fair wäre, aber ich suche gerne Inspiration in Kochbüchern. Das liegt vermutlich daran, dass ein neues Gericht bei mir oft visuell beginnt.

Wie meinen Sie das?
Oft sehe ich als erstes ein Bild vor meinem inneren Auge: davon, wie ein Teller ungefähr aussehen könnte. Dem spüre ich nach. Ich bin beim Anrichten so gar nicht der Schischi-Typ, und ich bin davon überzeugt, dass der Fokus auf dem Geschmack liegen soll, nicht auf einem zeitintensiven Plating. Nichtsdestotrotz ist mir die Ästhetik sehr wichtig: Ich möchte, dass ein Gericht simpel aussieht, dass die Gäste den Aufwand, den wir ja nicht scheuen, auf dem Teller nicht unbedingt wahrnehmen. Understatement gehört zu meiner Art. Ich verstehe mich mehr als Handwerker, weniger als Künstler, und wenn mich jemand danach fragt, was ich beruflich mache, antworte ich mit Koch, nicht mit Küchenchef.

Sie bleiben lieber im Hintergrund.
Das ist so. Ich drehe auch keine Runde durch den Gastraum, um Smalltalk zu betreiben und Lob zu kassieren. Da bleibe ich lieber in der Küche.

Apropos: Als gelernter Konditor und Confiseur landeten Sie zu Beginn Ihrer Kochkarriere schnell in der Patisserie und mussten sich aus dieser Ecke fast schon rauskämpfen.
Es lag natürlich nahe, mich als Patissier einzuspannen, da ich die entsprechende Erfahrung mitbrachte. Und ich bin eher ein introvertierter Charakter, kam also als schüchterner Commis nicht in die grosse Küche rein und forderte, dass man mich auf einen anderen Posten stellen soll. In meiner Küche läuft das heute deshalb etwas anders.

Wie denn?
Wir switchen die Posten bei jedem Kartenwechsel, also ungefähr alle sechs Wochen. Ich bin überzeugt, dass die Abwechslung den Reiz ausmacht. Selbst fungiere ich als Springer und helfe überall mit, wo es mich braucht. Ausserdem übernehme ich den Posten jener Person, die Produktionsdienst hat: Die hat von Dienstag bis Donnerstag nämlich abends frei. Das ist mir ein grosses Anliegen: Ich möchte, dass meine Leute auch mal frei haben – weil ich weiss, wie wertvoll sie sind, und weil ich dankbar für mein Team bin. Und eben, ich habe auch etwas davon, auf den verschiedenen Posten zu stehen: Ich geniesse die Abwechslung und bleibe routiniert.

Bevor Sie beruflich nach Winterthur kamen, hatten Sie in diverse Küchen reingeschaut und Erfahrungen gesammelt. War das eine bewusste Entscheidung?
Eigentlich machte ich immer, worauf ich gerade Lust hatte. Es war nie mein Ziel, Küchenchef zu sein. Das passierte einfach. Man lernt in dieser Branche unter anderem, nicht zu weit vorauszuschauen, weil es eh anders kommt, als man es plant. Und hier verspüre ich jeden Tag eine wahnsinnige Befriedigung. Das braucht es in diesem Beruf meiner Meinung nach auch: Wenn die Begeisterung dafür nicht zu 99 Prozent vorhanden ist, sollte man weitergehen und schauen, dass man sie wiederfindet.

Was haben Sie an den diversen Stationen Ihrer Wanderjahre denn konkret mitgenommen?
Auf jeden Fall überall etwas. Als junger Koch war die Erfahrung, im Seven eine Saison in Ascona und später auch nochmals in Zermatt zu machen, natürlich toll – gleichzeitig war ich anfangs etwas überfordert davon. Ich hatte zuvor in einem währschaften Betrieb gearbeitet und keine Ahnung von diesen molekular angehauchten Sachen. Aber ich fand mich irgendwie in die Geschichte rein. Im Lampart’s in Hägendorf erfuhr ich einen straffen Führungsstil, bekam dafür aber auch die Chance, den Entremetier und den Tournant zu machen, wofür ich dankbar bin. Im Zürcher Maison Manesse rückte dann das Kreative ins Zentrum: Das war funky, und auch wenn wir im Rosa Pulver gemässigter unterwegs sind, hat mich die Zeit stark geprägt. Die Erfahrung im Maaemo in Oslo war nicht zuletzt gut fürs Ego: Ich merkte, dass ich mit den anderen Köchen durchaus auf Augenhöhe arbeiten kann.

Und heute: Sind Sie angekommen?
Ich würde nicht sagen, dass ich jetzt meinen eigenen Stil gefunden hätte. Der entwickelt sich kontinuierlich, und mir ist das auch wichtig. Ich möchte nicht stagnieren, ich möchte nicht stehen bleiben. Und bis jetzt gab es noch in jedem Menü etwas, was mich neu begeisterte.

Als Spross einer Flawiler Konditorenfamilie packte Michael Dober von klein auf im Betrieb an und schlug in einem ersten Schritt den naheliegenden Berufsweg ein: zum Konditor / Confiseur. Die Zusatzlehre als Koch hängte er allerdings gleich hintenan. Anschliessend absolvierte der heute 31-Jährige eine beachtliche Anzahl an Stationen, stand bei Ivo Adam in Ascona und in Zermatt in der Küche, bei Reto Lampart in Hägendorf, im Maison Manesse und im The Restaurant in Zürich sowie im Maaemo in Oslo. Im Sommer 2016 zog es Dober nach Winterthur, wo er unter Simon Schneeberger im Fritz Lambada anheuerte. Im März 2018 rückte er auf den Küchenchefposten nach und begleitete in dieser Funktion auch den Wechsel des Konzepts zum Rosa Pulver. Seit Juni 2019 sind Dober und sein Team hier fix angekommen und setzen auf ein produktfokussiertes Tavolata-Angebot.

Rosa Pulver, Stadthausstrasse 10, 8400 Winterthur, 052 212 00 22, rosapulver.ch



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