Mensch Mitja!

Als Küchenchef im Restaurant Silver in Vals treibt Mitja Birlo eine ambitionierte Truppe zu Spitzenleistungen an. Dabei zählt für ihn nicht nur das kulinarische Niveau, sondern auch die Charakterstärke im Team.
Interview: Sarah Kohler – Fotos: Njazi Nivokazi
Veröffentlicht: 24.11.2020 | Aus: Salz & Pfeffer 7/2020
Petersilie, Salzzitrone, schwarzer Knoblauch

«Technisch mag es versiertere Küchen geben als unsere. Aber menschlich? Da können nicht viele mithalten.»

Sie kochen ein Neun-Gänge-Menü. Woran sehen die Gäste, dass Sie dahinterstecken?
Mitja Birlo: Schwer zu sagen. Ich mag meine Küche nicht mit Labels versehen und lasse mich ungern einschränken. Natürlich sind unsere Gerichte lokal inspiriert; einfach, weil ich es komisch fände, die Milch woanders zu kaufen als hier oder die Blaubeeren, die da draussen wachsen, nicht zu sammeln. Ich halte Regionalität aber für ganz schön abgedroschen, die schreibt sich inzwischen jeder auf die Fahne. Ich finde: Die gesunde Mischung machts.

Also kein konkretes Erkennungsmerkmal auf dem Teller?
Ich glaube doch. Wir heben uns durch zum Teil verrückte Geschmackskompositionen ab, die für den Gast nicht alltäglich sind. Und eine gewisse Kantigkeit. Die Frage dabei ist, wie weit man gehen kann, ohne abzudriften. Aktuell haben wir zum Beispiel ein Dessert mit Petersilie, Salzzitrone und schwarzem Knoblauch: Für mich ergibt die Kombination total Sinn, den einen oder anderen Gast fordert sie aber schon. Wichtig ist bei uns immer auch ein hoher Grad an Akribie.

Wie äussert sich dieser?
Zum Beispiel in Form eines Gurkengitters, das wir flechten: Es trägt geschmacklich nicht allzu viel zum Gericht bei, ist aber ein Blickfang. Und es zeigt, wie viel Arbeit wir in einen Gang stecken.

Apropos: Wie viel Zeit bleibt Ihnen für den kreativen Prozess?
Ich habe das grosse Glück, dass ich auf keinem Posten fix eingebunden bin und die Entwicklung neuer Gerichte mein Hauptjob ist. Wobei: Momentan ist alles anders. Die Corona-Krise beschert dem Hotel viele Gäste, das Restaurant ist jeden Abend ausgebucht, und ich helfe feuerwehrmannmässig überall aus. Es ist aber ganz cool, mal wieder einen Einblick ins Ganze zu gewinnen.

Haben Sie denn das Gefühl, Sie hätten den Bezug zur Arbeit an der Basis verloren?
Ich stehe nach wie vor 90 Prozent des Tages in der Küche, meine Büroaufgaben erledige ich nebenher oder vor der Arbeit. Ich glaube jedoch, dass man in meiner Funktion automatisch immer mehr Manager und weniger Koch wird. Ich bin aber ein Teamplayer und weiss, dass meine Arbeit dazu beiträgt, das Silver und das 7132 Hotel bekannter zu machen. Und eben: Mein Hauptaugenmerk liegt weiterhin auf der experimentellen Geschichte. Die macht unglaublich viel Spass.

Ein aktuelles Beispiel ist Ihr bretonischer Wolfsbarsch: Sie lassen ihn reifen.
Genau. Zuerst schneiden wir alle schnell verderblichen Teile raus; die Augen, die Kiemen, die Innereien. Dann lassen wir den Fisch bei zwei Grad und guter Luftzirkulation zehn Tage im Frigo hängen. Die Idee stammt nicht von mir, sondern vom australischen Fish-Butchery-Autor Josh Niland, ich kenne in der Schweiz aber niemanden sonst, der das macht.

Woher kommt denn eigentlich Ihre Faszination für die Gourmetküche?
Gute Frage. Ich hatte Glück in der Ausbildung: Mein Lehrbetrieb war geteilt, wir beschickten aus einer Küche zwei Restaurants, einmal bodenständige Kost, einmal für ein klassisch französisches Sterne-Konzept. Wenn man sich gut anstellte, durfte man auf die Herdseite der französischen Küche, und das spornte mich an, weil man da auch mal lernte, wie man einen Hummer ausbricht oder einen Steinbutt zerlegt. Mein Lebenslauf ist aber nicht nur mit hochkarätigen Lokalen gespickt, sondern bunt durchmischt. In Spanien arbeitete ich zum Beispiel in einem Restaurant ohne jegliche Ambitionen für Auszeichnungen, in dem wir schlicht viele Gäste durchschleusten. Auch da lernte ich was: wie man Sardinen putzt, zum Beispiel. Und als Privatkoch sammelte ich vor allem menschlich eine Menge Erfahrung.

Gute Laune in der Küche: Mitja Birlo mit Souschef Julian Weller (rechts)
Bretonischer Wolfsbarsch, Tomate, Safran
Sellerie, Rande, schwarzer Pfeffer
Bienenwachs, Walnuss, Honig

Sie heuerten aber schon auch in Tophäusern an: Was lernten Sie da?
In der Traube Tonbach das altehrwürdige, klassische, krass hierarchische Kochen; da war alles von unten bis oben durchstrukturiert. Die coolste und wahrscheinlich prägendste Station war London: Die Arbeit bei Nuno Mendez und Küchenchef Leandro Carreira im Viajante war total kreativ, jeder konnte sich einbringen, das war sehr schön.

Was soll denn ein Koch, der bei Ihnen gearbeitet hat, am Ende unbedingt mitnehmen?
Die Erkenntnis, dass man auch auf dem Level, auf dem wir hier kochen, menschlich arbeiten kann. Das haben so manche Köche noch nicht verstanden. Wir pflegen hier ein gutes Miteinander, das ist mir wichtig. Technisch mag es versiertere Küchen geben als unsere. Aber menschlich? Da können nicht viele mithalten.

Worauf schauen Sie, wenn Sie einen Mitarbeiter einstellen?
Zuerst auf den Charakter. Ich kann keinen einstellen, der fachlich total begabt ist, aber charakterlich, sagen wir mal, Missstände hat. Da ziehe ich Menschen vor, die keine Sterne-Erfahrung mitbringen, mir aber signalisieren, dass sie hier wirklich arbeiten wollen. So jemand passt besser zu uns als einer, der hochnäsig durch die Küche rennt.

Das sehen Sie einer Bewerbung aber nicht automatisch an.
Deshalb arbeitet bei uns jeder Kandidat einen Tag zur Probe. Wie gut einer kochen kann, wissen wir dann immer noch nicht, aber menschlich ist vieles klar. Wir haben das Glück, dass wir nicht nur viele, sondern qualitativ auch wirklich gute Bewerbungen erhalten und auswählen können. Aufgrund der Corona-Krise sind momentan Leute frei, die in den besten Läden gearbeitet haben. Dass sie sich dafür interessieren, was wir hier machen, ist für mich eine der wichtigsten Bestätigungen dafür, dass wir gut arbeiten.

Wie stark dürfen sich Ihre Mitarbeiter ins Menü einbringen?
Jeder so viel, wie er kann und möchte. Natürlich habe ich das letzte Wort, ich muss ja für das Resultat geradestehen. Aber ich sage jedem Gast, dass nicht alles von mir ist. Es ist blauäugig zu glauben, dass sich ein Mensch allein ein ganzes Menü ausdenkt. Das ist Teamarbeit. Und zu einem Team gehören verschiedene Menschen, mit mehr oder weniger Engagement und Können. Wir versuchen, auch jene Mitarbeiter, die sich von selbst aus vielleicht nicht unbedingt einbringen, ein Stück herauszufordern.

Seit kurzem steht in Ihrer Küche ein Chef’s Table. Wie hat das die Arbeit verändert?
Gar nicht. Wir sind nicht netter, weil da jetzt ein Gast sitzt, oder drehen die Musik leiser. Genau das ist für den Gast ja cool: Er sitzt geschätzte zwei Meter vom Herdblock entfernt und kann dem vollen Treiben zuschauen. Noch näher, und er müsste eine Schürze tragen. Für jemanden, der mit der Materie nichts zu tun hat, ist das schon ein Erlebnis.

Beobachten Sie den Gast?
Nicht, was seine Reaktion aufs Essen angeht. Aber im Hinblick auf die Abläufe, ja. Der Service macht mit dem Chef ’s Table den grössten Spagat, und da übernehmen wir in der Küche einen Teil. Wir servieren hier zum Beispiel alle Gänge selbst oder tragen auch mal die Teller ab.

Sie und Ihr Team sind überhaupt auffällig oft beim Gast am Tisch.
Das gehört dazu. Es geht in der heutigen Sterne-Gastronomie ja auch darum, Geschichten zu erzählen. Sie machen das Essen emotionaler, und sobald Gefühle im Spiel sind, schmeckt es einfach besser. Man sollte aber nicht übertreiben. Wir sagen am Tisch kurz, was auf dem Teller liegt, und vielleicht noch, woher es kommt. Wer weitere Fragen hat, kann sie jederzeit stellen. Bei uns wissen die Mitarbeiter in Küche und Service gleichermassen bis ins Detail Bescheid und kennen im Zweifelsfall auch den Namen des Rinds, welches für das Menü verarbeitet wurde. Das sagen sie am Tisch nicht zwingend. Wenn aber einer fragt, kennen sie die Antwort.

Eine Feinheit, die gut ins Haus passt: Man attestiert auch Investor Remo Stoffel eine ausgeprägte Liebe zum Detail sowie ein kompromissloses Qualitätsdenken. Wie viele Vorgaben haben Sie in Ihrer Arbeit eigentlich?
Die Gäste glücklich machen: Das ist die Prämisse. Dabei lässt uns Remo Stoffel viel Spielraum. Gut möglich, dass es auch das ist, was mich seit sechs Jahren hier oben hält. Ich darf mich experimentell ausleben.

Sie bleiben also?
Ich habe nichts anderes vor. Denn seien wir ehrlich: So ein Job, wie ich ihn hier habe, ist schwer zu finden.

Nicht grad am Ende der Welt, aber schon ziemlich nah dran amtet Mitja Birlo als Küchenchef: Der gebürtige Berliner hält im zum 7132 Hotel gehörigen Restaurant Silver in Vals aktuell zwei Michelin-Sterne sowie 18 Punkte und den Titel Aufsteiger des Jahres 2020 von Gault&Millau. Zu den beruflichen Stationen des 35-Jährigen zählen unter anderem die Traube Tonbach in Baiersbronn und das Restaurant Viajante in London, in dem er bei Nuno Mendes und dessen Küchenchef Leandro Carreira seine kochtechnisch und kulinarisch wohl prägendste Lehrzeit erlebte. Vor sechs Jahren zog Birlo ins bündnerische Bergdorf Vals und heuerte im 7132 Silver an. 2018 übernahm er von Sven Wassmer den Küchenchefposten.
7132.com



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