Nordisch by nature

Als Küchenchef im Zürcher Restaurant Josef zeigt der Schwede David Heimer, dass er keine halben Sachen macht. Im Interview spricht der 30-Jährige über alte und neue Vorbilder, die Verantwortung der Branche – und sein Ventil im Leben.
Interview: Sarah Kohler – Fotos: Njazi Nivokazi
Veröffentlicht: 16.11.2021 | Aus: Salz & Pfeffer 6/2021

«Müde macht mich, wenn ich gebremst werde. Wenn ich mich frei fühle, bin ich ruhig.»

Wir haben Sie im Salz & Pfeffer vor fünf Jahren schon einmal vorgestellt – als Souschef im Josef im Rahmen der Serie Junge Talente. Damals verrieten Sie uns Ihren Zukunftsplan: sich bei verschiedenen Spitzenköchen in Praktika weiterzubilden. Was ist denn seither tatsächlich passiert?
David Heimer: Ich machte das. Damals merkte ich, dass ich noch auf viel Potenzial sitze und weitere Erfahrungen sammeln muss, auch ausserhalb von Zürich. Ich bewarb mich bei Daniel Humm im Eleven Madison Park in New York und bekam eine Zusage – allerdings erst für ein Jahr später. Für die Zeit dazwischen klopfte ich in meiner Heimat bei Magnus Nilsson im Fäviken an, und auch das klappte.

Ausgerechnet diese beiden Köche nannten Sie im letzten Interview Ihre Vorbilder.
Und das sind sie bis heute – obwohl ich am Ende gar nicht bei Humm war. Mir gefiel es im Fäviken so gut, dass ich beschloss, länger zu bleiben. Ich war zudem an einem Punkt, an dem das Privatleben mal wieder zum Zug kommen sollte – meine Frau und ich unternahmen deshalb eine lange Hochzeitsreise durch die USA und Kanada. Wohin es nachher gehen sollte, war offen. Als mich Marius Frehner anrief und fragte, ob ich die Küche in seinem neuen Restaurant Wermut übernehmen wollte, war der Fall klar.

Inzwischen sind Sie zurück im Josef, allerdings als Küchenchef. Wie läuft es?
Seit ein paar Monaten finde ich, dass wir als Mannschaft richtig gut aufgestellt sind. Aber es brauchte im ersten Jahr einen gewissen Austausch in der Küche.

Warum?
Ich glaube, es gibt zwei Arten von Köchen: die passionierten Profis, die das Kochen wirklich lieben, und jene, die den Beruf vor allem ergriffen haben, weil sie Fan vom Lifestyle sind, den sie damit verbinden. Die haben das Handwerk aber nicht unbedingt im Griff. Inzwischen stehen in meiner Küche nur noch Leute, die auch wirklich hier sein wollen.

Besonders wichtig: Ihr Souschef Lukas Zehnder.
Unbedingt. Er ist seit Sommer 2020 hier an meiner Seite. Wir kennen uns schon länger, ergänzen uns optimal und arbeiten auf Augenhöhe. Lukas ist mindestens so gut wie ich – wenn nicht sogar besser.

Wie meinen Sie das?
Er kompensiert meine Schwachpunkte. Zum Beispiel spricht er sehr gut Deutsch und kann sich erklären. Er kann mich besser ausdrücken als ich selbst – nicht nur auf Deutsch. Er versteht meine Gedanken und kann diese transportieren, er ist stark in der Kommunikation und im Umgang mit Leuten. Und er ist sehr organisiert. Wobei ich sagen muss: Den strukturierten Part, wie ihn Lukas heute spielt, habe ich in anderen Konstellationen auch schon übernommen.

Das ist spannend.
Ja, im Fäviken zum Beispiel war ich es, der für Ordnung sorgte und einfach umgesetzt hat. Jetzt, im Josef, bin ich der kreative Kopf. Ich kümmere mich zwar um die strategische Planung, aber den Alltag, die Organisation im Kleinen übernimmt Lukas. Er hält mir den Rücken frei, ich brauche ihn.

Im Gegenzug nennt er Sie eine schier unendliche Quelle der Ideen, die er manchmal kanalisieren müsse.
In mir steckt definitiv sehr viel Energie, die irgendwo raus will. Ich bin sehr extrem – in allem, was ich tue.

Konkret?
Ich liebe die Geschwindigkeit; auf dem Töff, auf dem Snowboard. Ich bin ein Adrenalinjunkie, war das auch schon immer. Und es reicht mir nie. Ich bin konstant damit beschäftigt, dass es weitergeht.

Ist das nicht ermüdend?
Für mich eben nicht. Mir gibt das Energie. Müde macht mich hingegen, wenn ich gebremst werde. Wenn ich mich frei fühle, bin ich ruhig.

Flambierter Stör mit Zitrusrisotto, geräucherter Beurre blanc und konfiertem Eigelb
Königskrabben-Chawanmushi mit Rosenkohl
Fasanenbrust mit Lauch-Tarte-Tatin und Trüffeljus
Praline vom wilden Apfel mit Karamellsauce
Ein Souschef für alle Lebenslagen: Mit Lukas Zehnder macht David Heimer nicht nur die Arbeit Spass.

Ist die Zusammenarbeit mit Ihnen einfach?
Diese Frage ist für mich natürlich schwierig zu beantworten. Klar bin ich eine Herausforderung, weil ich immerzu Ideen habe und hin und wieder auch den Tunnelblick. Ich erwarte von mir selber und von meinen Mitarbeitern sehr viel. Mit jemandem, der nicht die gleich hohen Ansprüche und die gleiche Professionalität wie ich an den Tag legt, wird die Zusammenarbeit sicher schwierig. Aber ich glaube auch, dass ich gelernt habe, das gut zu kommunizieren.

Ihre Kreativität ging phasenweise über das Kochen hinaus. Sie hatten in Schweden ein Atelier und eine Galerie, waren mit Ihren eigenen Bildern ziemlich erfolgreich. Wie wichtig ist Ihnen die bildende Kunst denn inzwischen?
Ich brauche das Malen nicht mehr, heute ist Kochen mein Ventil. Es ist mehrdimensionaler, zur Farbe kommen der Geschmack, der Geruch, die Textur…

Und wie komponieren Sie ein Gericht?
Ich gehe stets von der Saison aus und schreibe immer die ganze Karte aufs Mal. Ich frage mich also: Welche Produkte sind aktuell, worauf habe ich Lust? Welche davon passen zusammen? Welche Techniken oder Klassiker könnten als Basis dienen? Eins kommt zum anderen, bis die grobe Planung steht. Dann bespreche ich alles mit Lukas – und wir setzen das zusammen genau so um, wie ich es haben möchte.

Eine wichtige Rolle spielen in Ihrer Küche Fisch und Krustentiere: Ist das eine Hommage an Ihre Herkunft?
Nun, es sind ganz einfach Produkte, die ich liebe, zu denen ich einen sehr engen Bezug habe und deren Zubereitungstechniken ich seit meiner Kindheit schon kenne. Natürlich, die Königskrabbe, die wir heute für die Rubrik Zerlegt fotografiert haben, stammt nicht aus der Region. Aber sie hat aktuell Saison, und wir verarbeiten wirklich alles von ihr. No food waste: Das ist mir echt wichtig. Ich will durchaus umweltfreundlich kochen, auf jeden Fall, vor allem aber will ich es perfekt machen. Das Resultat steht an oberster Stelle.

Wobei Sie das Thema der Verantwortung in der Gastronomie ja durchaus beschäftigt.
Sehr sogar. Die Leute müssen endlich verstehen, wie falsch es in dieser Branche läuft. Der weltweite Fachkräftemangel ist massiv und kommt nicht von ungefähr, sondern von schlechten Bedingungen. Im Prinzip müssen die Preise für den Gast 20 Prozent höher sein, damit die Gastronomen ihre Produzenten und die Mitarbeiter fair bezahlen können. Das würde viel verändern. Aber dafür müssten alle in der Branche zusammenrücken und am gleichen Strang ziehen. In meiner Funktion als Küchenchef will ich weiter für den Gast kochen, ich sehe meine Verantwortung aber auch darin, den Boden dafür zu bereiten, dass das weiterhin möglich ist. Nachhaltigkeit also nicht nur in Bezug auf die Natur, sondern auch auf die Ressource Mensch. Immerhin, wir gehören zu den wenigen Lokalen, die 2021 keine Köche suchen mussten.

Woran liegt das?
Ich glaube, daran, dass wir zwar alle hart arbeiten, aber eben zusammen. Es gibt eine klare Hierarchie, weil ich sie für nötig halte, aber wenn man in meiner Küche seine Verantwortung trägt, geniesst man auch viele Freiheiten.

Lassen Sie uns zum Schluss wieder in die Zukunft schauen: Welchen Traum dafür hegen Sie heute?
Tatsächlich lebe ich den Traum, den ich vor fünf Jahren hatte, bin sogar weiter, als ich mir das je vorgestellt hatte. Und wir sind kochtechnisch weiter, als ich dachte, dass es im Josef überhaupt möglich wäre. Ideen habe ich trotzdem: Ich wäre gern Mitinhaber des Josef, zum Beispiel. Und zusätzlich zum Josef wünschte ich mir ein kleineres Konzept – einfach der Perfektion wegen. Ich würde das, was wir hier tun, gern in einem ganz privaten Rahmen machen, sehr persönlich am Herd und im Gastraum.

Und wer ist inzwischen Ihr Vorbild?
Ich finde es heute wichtig, dass ich meine eigene Linie verfolge – so wie andere Köche ihre. Aber klar, Magnus ist nach wie vor ein Vorbild, weil er ständig wächst, jeden Tag fast. Und sonst? Ich glaube: Lukas.

Seine Kindheit verbrachte David Heimer (30) auf dem elterlichen Hof in Zentralschweden, etwa zwei Autostunden westlich von Stockholm und an einem grossen See gelegen. Der Vater träumte von einem Leben als Selbstversorger, die Familie war der Natur eng verbunden. Bereits als Fünfjähriger fischte Heimer in seiner Freizeit und bereitete seinen Fang selber zu, sein Taschengeld verdiente er mit Gartenarbeiten, und im Herbst war er dabei, wenn das auf der Jagd erlegte Wild – Hirsch, Reh oder Elch – geschlachtet wurde. Auch in die Küche gelangte er jung: Bei seinem Onkel, der damals ein Hotel führte, schnupperte er als Zehnjähriger und sammelte unter anderem in der Restaurantküche Erfahrungen. Als Teenager arbeitete er in den Ferien, an den Wochenenden und nach der Schule in der Gastronomie, während ihm der Unterricht als Legastheniker mehr Probleme bereitete. Als er ans Gymnasium mit Schwerpunkt Gastgewerbe ging, waren seine Kochkenntnisse schon so weit fortgeschritten, dass er die Ausbildung nach dem dritten Jahr abbrach und im Betrieb blieb, in dem er ein Praktikum absolviert hatte.

Mit 18 kehrte Heimer der Gastronomie den Rücken. Er bezog ein Atelier, eröffnete eine Galerie und verkaufte seine Bilder: Öl und Tusch, grosse Formate, fotorealistische Sujets mit abstrakten Ideen – und ziemlich viel Erfolg. Nebenbei veranstaltete er Private Dinners und dachte darüber nach, das Land zu verlassen. Südeuropa interessierte ihn, war ihm vom Lebensstandard her aber nicht geheuer. Und so verschlug es ihn 2011 als 20-Jährigen nach Zürich, ohne ein Wort Deutsch und mit bescheidenen Englischkenntnissen. Erste Anlaufstelle war das Restaurant Josef, unter dessen damaligem Küchenchef Tobias Emmenegger er einen ersten Schweizer Hafen fand. Heimer blieb eineinhalb Jahre, zog eine Station weiter, kehrte aber bald zurück. 2016 verliess er das Josef abermals, um beim schwedischen Spitzenkoch Magnus Nilsson im Fäviken und anschliessend in Daniel Humms Eleven Madison Park in New York anzuheuern. Die Arbeit bei Nilsson gefiel ihm so gut, dass er den Job in den USA absagte.

2019 kehrte Heimer von einer langen Hochzeitsreise nach Zürich zurück, wo er die Eröffnung des Restaurants Wermut von Marius Frehner und Kaspar Fenkart als Küchenchef begleitete. Als ebendiese Position im Josef frei wurde, wechselte Heimer erneut. Seit März 2020 wirkt er hier als Küchenchef und prägt die kulinarische Ausrichtung des Lokals spürbar.

Restaurant Josef
Gasometerstrasse 24, 8005 Zürich
044 271 65 95
josef.ch



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