Teil der Lösung sein

Gemeinsam gehts besser: Auf diesem Grundsatz basiert das neue Nachhaltigkeitsprojekt von Andreas Handke und Patrick Honauer. Mit Gastro Futura wollen sie die Branche zukunftsfähig machen.
Interview: Sarah Kohler – Fotos: Jürg Waldmeier
Veröffentlicht: 04.04.2023 | Aus: Salz & Pfeffer 2/2023
Sehen in der Gastronomie ein enormes Potenzial: Andreas Handke (links) und Patrick Honauer.

«Die Angebote, die wir schaffen, sind niederschwellig.» 

Sagen Sie mal: Sitze ich hier zwei Weltverbesserern gegenüber?
Andreas Handke: Für mich steht in meinem Tun schon die Frage im Zentrum, welche Möglichkeiten wir über die Gastronomie haben, den Menschen, die Landwirtschaft und die Natur in eine positive Richtung zu lenken – im Bewusstsein, dass wir als Branche etwas bewegen können. Das hat sicher etwas Weltverbesserndes. 
Patrick Honauer: Ich sehe mich persönlich nicht mehr als Weltverbesserer. Früher, in den Achtzigerjahren, war das noch etwas anders. Aber heute bin ich schlicht Unternehmer, und als solcher trage ich nicht mehr nur Verantwortung für mich selbst, sondern richte mich an ein grösseres Kollektiv. Das zwingt mich gewissermassen zu einem Handeln, von dem ich durchaus hoffe, dass es die Welt in eine gute Richtung entwickelt. Und ich bin zuversichtlich, wenn ich sehe, wie viele junge, initiative Gastronomen und Bäuerinnen es gibt, die etwas bewegen möchten. Ich fungiere da in erster Linie als Ermöglicher: Ich bringe Menschen zusammen, weil ich sehe, welche Kraft wir gemeinsam entwickeln können. Netzwerk ist unser grösstes Kapital.

Genau darauf beruht das Konzept von Gastro Futura. Was haben Sie konkret vor?
Honauer: Nüchterne Analysen zeigen, welchen Einfluss das Ernährungssystem auf die Umweltbelastung hat. In der Schweiz werden 2,9 Millionen Mahlzeiten pro Tag ausser Haus konsumiert, Tendenz steigend. Dieser hohe Anteil überträgt unserer Branche viel Verantwortung. Wenn wir als Gastroprofis wissen, wie es nachhaltiger ginge, können wir dieses Know-how weitergeben – und eine Wirkung im grossen Ganzen entfalten. In diesem Sinne wollen wir Gastronominnen und Gastronomen mobilisieren und zu einem Praxisnetzwerk zusammenführen, um miteinander und voneinander zu lernen.
Handke: Wir denken bereits seit zwei, drei Jahren über das Thema nach und haben gesehen, dass da ein grosser Acker zu bearbeiten ist – aber auch, dass bereits viel Gutes passiert …

Lassen Sie mich hier einhaken: Es gibt doch schon einige Initiativen, Projekte und Netzwerke. Warum braucht es ein zusätzliches?
Honauer: Im Kontext von Gastronomie und Nachhaltigkeit versuchte man bisher hauptsächlich, mit Labels etwas zu erreichen. Wir glauben aber, dass es nicht einfach ein Gütesiegel braucht, genauso wenig wie nur Beratung oder nur Schulung. Wir setzen stattdessen auf Begegnung, holen die Leute persönlich ab, fragen sie direkt an. So gibt es das in der Schweiz bislang nicht.

Und wie schaffen Sie diese Begegnungen?
Honauer: Wir haben verschiedene Instrumente definiert. Zum Beispiel das Format Open Kitchen: Da öffnet ein Betrieb für eine Stunde oder zwei Tür und Tor, damit Branchenkollegen und -kolleginnen einen Einblick erhalten – in ein neues Arbeitszeitenmodell vielleicht oder in ein spezielles ökologisches Konzept. Hauptsache ist, dass Gespräche entstehen. Ein weiteres Tool sind von Gastro Futura moderierte Erfa-Gruppen, in denen sich Hoteliers und Restaurateurinnen über Themen der sozialen, ökologischen und ökonomischen Nachhaltigkeit austauschen. In einem nächsten Gefäss bieten wir ein Coaching im Sinne einer Begleitung an. Dafür holen wir Gastronominnen und Gastronomen an dem Punkt ab, an dem sie stehen.

Wie kann ich mir das vorstellen?
Honauer: Wir haben einen Pool mit Expertinnen und Experten, darunter Gastronomen, aber beispielsweise auch Ernährungswissenschaftlerinnen, die gezielte Beratungen anbieten können. Des Weiteren bauen wir eine Kommunikations-Toolbox auf, die wir den Leuten an die Hand geben können, damit sie den Gästen ihre Nachhaltigkeitsstrategie so vermitteln können, dass diese authentisch wirkt. Und nicht zuletzt sehen wir unsere Website als Instrument von Gastro Futura: Dort bilden wir die Nachhaltigkeits-Reise jedes Betriebs, der Teil unseres Netzwerks ist, individuell ab – zeigen also konkret auf, in welchem Rahmen und mit welchen Massnahmen ein Ziel erreicht wurde.
Handke: Die Angebote, die wir schaffen, sind niederschwellig. Wir sind überzeugt, dass in der Branche ein Paradigmenwechsel stattfindet, dem sich Beizen nicht verschliessen können. Wer also aktiv werden möchte, den nehmen wir an der Hand und führen ihn durch den Prozess. Handeln können alle – auch am Kebabstand, in der Landbeiz oder beim Take-away. 

Sie sprechen von mehreren Hebeln, bei denen die Gastronomie in der Nachhaltigkeitstransformation ansetzen könne. Welche sind das?
Honauer: Wir legen den Fokus bei Gastro Futura auf die Ernährung als Ganzes: Sie macht einen Drittel der Umweltbelastung aus und birgt ein riesiges Potenzial für Veränderungen. Einen Hebel sehen wir beim Thema Foodwaste: Wir werfen einen Drittel unseres Essens weg, in der Gastronomie liegt der Anteil bei 14 Prozent. Dann bei der pflanzenbasierten Ernährung: Wir müssen mehr pflanzliche als tierische Proteine auf den Teller bringen. Und bei der Suffizienz.

Was heisst das?
Honauer: Weniger ist genug. In diesem Punkt provozieren wir eine Wertediskussion, weil es die Frage zu klären gilt, wie viel genau denn nun genug ist. Gastronominnen und Gastronomen, die noch drei Vorspeisen, drei Hauptgänge und drei Desserts auf die Karte setzen, exponieren sich und müssen sich allenfalls erklären. Aber die Wirkung einer solchen Reduktion ist enorm. Einen letzten Hebel sehen wir schliesslich in der Beschaffung. Woher kommt unser Essen? Da geht es dann um Themen wie Landwirtschaft, Biodiversität, Bodengesundheit.
Handke: Wenn man schaut, wo die Ernährung im Hinblick auf die globalen Nachhaltigkeitsziele überall Einfluss hat, erkennt man, wie wertvoll unsere Branche ist. Am Ende ist es doch grossartig, wenn wir als Gastronominnen und Gastronomen sagen können: Wir sind Teil der Lösung. Viele grosse Player, zum Beispiel in der System- oder Gemeinschaftsgastronomie, denken bereits so und geben Gas.

Ist ein solches Engagement für die Grossen nicht auch einfacher, weil sie auf einem anderen finanziellen Sockel stehen als ein kleiner Restaurantbetrieb?
Handke: Natürlich. Umso wichtiger ist es, dass wir anfangen, die Probleme gemeinsam anzugehen. Überhaupt wäre es, nur schon im Hinblick auf die Ernährungs- und Versorgungssicherheit der Schweiz, sinnvoll, die Branche als Ganzes zu stärken.

Warum?
Handke: Krisen, wie wir sie aktuell in der Ukraine oder in der Türkei und in Syrien sehen, zeigen, welche entscheidende Rolle die Gastronomie spielt. Wer steht zuerst bereit und kann mit regionalen Netzwerken und professioneller Infrastruktur die Bevölkerung mit Essen versorgen? Die Köchinnen und Köche.

Apropos Rolle: Wie wichtig ist in diesem Prozess eigentlich der Service?
Honauer: Superwichtig! Wir sind gelernte Köche und konzentrierten uns mit Gastro Futura anfangs auf die Player am Herd, weil wir der Meinung waren, diese hätten eine Schlüsselrolle. Die besetzen sie natürlich, aber im Austausch mit Gastronominnen und Gastronomen kristallisierte sich heraus, dass es beim Thema Nachhaltigkeit in vielen Betrieben weniger in der Küche als im Service hapert. Es ist für die Gastgeber und Gastgeberinnen nicht einfach, eine Sprache zu finden, um zu vertreten, was sich die Küche ausgedacht hat – zumal sie ihren Gästen ein Erlebnis bieten möchten, keinen Bildungslehrgang.
Handke: Speisekarten mit ausführlichen Erklärungen zur Philosophie mögen im einen Konzept passen, im anderen weniger. Mit Gastro Futura machen wir die Ideen und Erfahrungen, die in der Branche bereits vorhanden sind, sichtbar. Wir müssen nichts neu erfinden, sondern bloss sammeln und teilen.

Wir müssen nichts neu erfinden?
Honauer: Zumindest beim Kochen geht es meiner Meinung nach tatsächlich mehr um eine Rückbesinnung auf das, was mal war. Aber ich bin mir bewusst: Ich bin ein Fossil. Wo wir auf jeden Fall noch zulegen sollten, ist in der Logistik. Aktuell sind wir nicht so ausgerüstet, dass lokale Netzwerke die urbane Versorgung abdecken könnten.

Und was ist mit dem sozialen Bereich?
Handke: Da sehe ich derzeit einen grossen Umbruch. Erstmals überhaupt ist die mentale Gesundheit in der Branche ein Thema. Die Gastronomie entdeckt langsam, dass ein Team auf Augenhöhe mehr erreicht, als in den strengen, klassischen Strukturen möglich ist. 
Honauer: Die Mitarbeitenden von heute wollen mitdenken, mitentscheiden und mitgestalten. Auf der Führungsebene braucht es in diesem Sinne noch so einiges an Innovation.

Lassen Sie uns noch nach vorn blicken. Wie sieht eine zukunftsfähige Branche, wie sie Gastro Futura anstrebt, denn aus?
Honauer: Mir schwebt eine Gastronomie vor, in der die pflanzenbasierte Ernährung salonfähig ist, hinter den Kulissen anders geführt wird und man den Mut hat, ungewohnte Wege einzuschlagen. Ich hoffe zudem, dass gewisse Tools zur Selbstverständlichkeit werden, etwa zur Analyse von Foodwaste – und dass Köche und Köchinnen ein neues Selbstbewusstsein entwickeln, weil sie wissen, wie gross ihr Beitrag zu einer besseren Welt ist.
Handke: Dem kann ich kaum etwas hinzufügen. Wobei, doch: Ich wünsche mir, dass die Branche den Mehrwert von lokalen Netzwerken erkennt, dass die Bevölkerung ein grösseres Bewusstsein dafür entwickelt, wie viel Einfluss ihr Konsum hat, und dass die Politik den Mut aufbringt, die richtigen Weichen zu stellen.

Das Projekt 
Mit Gastro Futura haben Andreas Handke und Patrick Honauer unlängst ihr jüngstes gemeinsames Projekt lanciert. In Zusammenarbeit mit zahlreichen Branchenprofis bauen sie ein Praxisnetzwerk auf, um die soziale, ökologische sowie ökonomische Nachhaltigkeitstransformation im Schweizer Gastgewerbe voranzutreiben. Dabei setzen die beiden in einem hohem Mass auf die Vernetzung untereinander, beispielsweise mit dem Format der Open Kitchen (nächste Durchführung am 8. Mai in der Die Cuisine, Zürich) oder mit der Gründung von Erfa-Gruppen. Hinzu kommen Coaching-Angebote sowie Online- und Kommunikations-Tools. Die Pilotphase im Raum Zürich dauert bis Herbst dieses Jahres, anschliessend ist der Aufbau von fünf weiteren Hubs in allen Landesteilen geplant. Das Projekt Gastro Futura wird vom Migros-Pionierfonds ermöglicht. Dieser sucht und fördert Ideen mit gesellschaftlichem Potenzial. Der wirkungsorientierte Förderansatz verbindet finanzielle Unterstützung mit Coaching-artigen Leistungen.
gastrofutura.ch 

Andreas Handke: Der Vermittler 
Kochen sei sein Ein und Alles, sagt Andreas Handke. Mit einer Mutter, die im St. Galler Rheintal eine Beiz führte, und einem Vater, der fischte und jagte, entwickelte sich sein Bezug zum Lebensmittel früh – und nachhaltig. Der 42-Jährige, der in jungen Jahren unter anderem bei Patrick Honauer im Neuhof in Bachs anheuerte, führt heute das Restaurant Babette in Zürich. Er steht allerdings längst nicht mehr nur am Herd, sondern hat sich auch der Wissensvermittlung verschrieben. So unterrichtet er etwa an der Berufsschule angehende Köchinnen und Köche, gibt Kurse in der Die Cuisine in Zürich und ist als treibende Kraft in verschiedenen Nachhaltigkeitsprojekten aktiv. 

Patrick Honauer: Der Ermöglicher 
Vor 30 Jahren wurde aus dem gelernten Koch Patrick Honauer auch ein Unternehmer: Damals übernahm er das Restaurant Neuhof in Bachs – mit dem Ziel, eine nachhaltige Gastronomie aufzubauen, die soziale und ökologische Verantwortung übernimmt, Inklusion lebt und die Landwirtschaft eng einbindet. Das Thema ist geblieben, der Fokus indes hat sich zunehmend auf die systemische Ebene verschoben. Der 57-Jährige engagiert sich insbesondere für die Transformation der Versorgungskette zum Versorgungsnetzwerk und fungiert in diesem Kontext als (Mit-)Gründer diverser internationaler Projekte, darunter der Bachsermärt, Die Cuisine in Zürich oder der hiesige Hub des weltweit aktiven Social Gastronomy Movement. Ausserdem ist Honauer sowohl als Unternehmer als auch als Dozent im Bildungswesen tätig. 



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