Warum in die Ferne schweifen?

Im Schäfli in Uznach lebt Tanja Büsser als Köchin und Gastgeberin einen langgehegten Traum. Die Zutaten für ihr täglich wechselndes Menü wählt sie nach einem simplen Grundsatz.
Interview: Sarah Kohler – Fotos: Jürg Waldmeier
Veröffentlicht: 11.02.2020 | Aus: Salz & Pfeffer 1/2020

«Wäre ich ein Junge gewesen, hätte ich Käser werden wollen.»

Im Schäfli gibt es, was es gibt: Was reizt Sie am täglich wechselnden Überraschungsmenü?
Tanja Büsser: Bei mir kommt zuerst das Lebensmittel, dann das Menü. Meine Lieferanten und Produzenten sagen mir, was sie haben – und ich entscheide aufgrund dessen, was ich koche. Ich könnte es für mich nicht mehr verantworten, anders zu verfahren, also die Gerichte zu bestimmen und dann einzukaufen. Mit meinem Konzept kann ich aufbrauchen, was da ist – den Fisch, der morgens ins Netz ging, den Salat, der gerade geerntet wurde. Sich danach zu richten, ist spannend.

Eine Ausnahme gibt es.
Die hausgemachten Pommes frites am Sonntagmittag? Ja. Viele Gäste wollen in der Beiz Pommes essen, weil sie diese zu Hause nicht zubereiten. Erst passte das nicht in mein Konzept, weil ich kein Öl zum Frittieren hatte. Erdnussöl stammt nun mal nicht aus der Schweiz, und synthetisches Öl wollte ich nicht verwenden. Seit ich nun allerdings ganze Tiere kaufe, um sie zu verarbeiten, steht mir auch deren Fett zur Verfügung. Also gibts sonntags Pommes – aus Kartoffeln von Kurt Brunner, der für mich schlicht die besten macht.

Sie pflegen einen sehr engen Bezug zu Ihren Produzenten.
Auf jeden Fall. Ich weiss, woher meine Zutaten kommen. Nehmen wir die Gerichte für diesen Artikel: Für die Hühnercrèmesuppe verarbeitete ich ein Suppenhuhn «mit Bruder» von Kurt Brunner, die Felchenleber auf dem Salat erhielt ich von Turi Wespe, dem Zürichsee-Fischer meines Vertrauens, und das bunte Distelschwein, von dem das Bauernkotelett stammt, wuchs auf Cäsar Bürgis Hof Silberdistel auf. Das Schöne ist: Ich lerne viel von meinen Produzenten, über die Landwirtschaft, ihre Abläufe, Qualität, Pestizide ... Das war nicht immer so. Ich kaufte früher auch im CC ein. Das veränderte sich erst mit der Zeit.

Was gab den Ausschlag?
Ich hatte ein Schlüsselerlebnis mit der Milch. Als ich erfuhr, wie diese in der industriellen Produktion erst zerlegt und dann wieder zusammengesetzt wird, läuteten bei mir die Alarmglocken. Ich schaute genauer hin: Woher kommen meine Lebensmittel, wer stellt sie wie her – und warum? Vor etwa 15 Jahren begann ich, mich schrittweise so zu organisieren, dass ich nicht mehr bei Grosskonzernen einkaufen muss. Das war nicht einfach. Bei den Gewürzen etwa musste ich mich echt einschränken. Mein Öl beziehe ich heute bei verschiedenen Bauern, Essig stelle ich selber her. Meine Formel ist einfach: 95 Prozent dessen, was ich verkoche, stammt aus der Schweiz. Der Rest hat entweder mit Slow Food zu tun oder mit Herstellern, die ich kenne und schätze.

Warum kein engerer Radius?
Weil ich es wertvoll finde, alle Ecken des Landes in meiner Küche zu berücksichtigen, nicht nur bei den Rohprodukten, sondern insbesondere beispielsweise bei Würsten, speziellen Broten, bei regionalem Senf oder Eingemachtem. Und beim Käse natürlich.

Der spielt bei Ihnen eine wichtige Rolle: Teil Ihres Überraschungsmenüs ist immer auch der Gang ins Käsezimmer, in dem der Gast aus 60 bis 70 Sorten wählen kann.
Käse fasziniert mich, das tat er schon immer. Ich liebte es, als Kind in der Käserei die Milch zu holen – und wäre ich ein Junge gewesen, hätte ich Käser werden wollen. Für ein Mädchen kam das aber nicht infrage. Heute noch mache ich bei jeder Käserei Halt, an der ich vorbeikomme. Diese Vielfalt ist grossartig.

Nüsslisalat mit Felchenleber
Hühnercrèmesuppe mit Heu
Mit vereinten Kräften: Monika Schnellmann steht seit 17 Jahren an Tanja Büssers Seite.
Bauernkotelett vom bunten Distelschwein mit Mostkartoffeln und Äpfeln

Apropos Vielfalt: Sie sind Köchin und Gastgeberin gleichermassen. Was gefällt Ihnen daran?
Ich mag den direkten Kontakt zum Gast, weil ich ihn mit meiner Botschaft so am besten erreichen kann. Ich möchte nicht predigen, aber informieren, mein Feuer weitergeben und vermitteln, was mir wichtig ist.

Dazu haben Sie ab sofort noch mehr Gelegenheit: Sie ĂĽbernehmen kĂĽnftig den Lead im Service.
Das stimmt. Monika Schnellmann, die seit Beginn im Schäfli an meiner Seite steht, hat den Service in den letzten Jahren hauptsächlich bestritten, möchte sich nun aber etwas zurückziehen. Wir tauschen deshalb die Positionen: Ich koche und bereite in der Küche alles vor, aber während der Servicezeiten kümmert sich Monika ums Wärmen, Schöpfen und Anrichten – und ich mich um den Gast. Das ist genial, funktioniert aber nur, weil wir uns so gut kennen, für die gleiche Sache kämpfen und uns ohne Worte verstehen. Und weil Monika es mit mir aushält – zumindest meistens.

Ist das schwierig?
Ich bin halt manchmal ein Chaot und schon ein bisschen schräg.

Halten Sie sich fĂĽr einen extremen Menschen?
Schon, ja.

Wie wichtig ist es Ihnen da, dass die Leute Ihre Philosophie teilen?
Ich will niemanden bekehren. Aber ich versuche, einen Grundgedanken weiterzugeben. Wenn einem Gast die Herkunft der Produkte auf seinem Teller egal ist und er meine Erzählungen dazu nicht in aller Ausführlichkeit hören will, kann ich damit leben. Aber es ist schade.

Einer, der Sie versteht, ist «Aufgegabelt»-Autor Martin Jenni: Er kürte das Schäfli in der aktuellen Ausgabe zum Restaurant des Jahres.
Das kam überraschend, ist grossartig und hat uns einen veritablen Schub verliehen. Und ja, es ist für mich schon schön, wenn ein Konzept wie meins, das nicht unbedingt alltäglich ist, wertgeschätzt wird.

Nun, Ihre Gäste reisen aus allen Teilen der Schweiz an – obwohl Uznach nun wirklich nicht grad schaurig zentral liegt. Wie haben Sie das geschafft?
Da steckt einiges an Mund-zu-Mund-Propaganda dahinter. Wir haben ein bunt gemischtes Publikum, aber viele unserer Gäste verbindet, dass sie auch privat einigermassen Wert darauf legen, wie ihr Essen produziert wird. Ich selbst bin relativ viel unterwegs, besuche Märkte, meine Produzenten, rede mit den Leuten, engagiere mich bei Slow Food. So wächst das Netzwerk stetig. Mir wurde früh klar, dass ich draussen präsent sein muss, wenn ich möchte, dass mich die Menschen wahrnehmen. Da kann ich nicht im Schäfli sitzen und warten, bis die Leute kommen.

Als Kind bewirtete Tanja Büsser in ihrem Café Nussbaum am Stubentisch fiktive Gäste und träumte davon, dereinst ein eigenes Restaurant zu führen. Seit 17 Jahren tut sie im Schäfli in Uznach genau das. Zum Ziel kam die 49-Jährige indes auf Umwegen: Nach der Sekundarschule im Mädcheninternat Wurmsbach absolvierte sie ebenda das Haushaltslehrjahr und stand, wann immer der Koch Bedarf hatte, mit diesem in der Grossküche. Anschliessend machte sie die Ausbildung zur Familienhelferin, vertrat den Koch im Internat aber weiterhin regelmässig. Weil die Gastronomie sie nach wie vor reizte, besuchte Büsser im Thurgau die Wirteschule und heuerte in Kreuzlingen im Café ihrer Studienkollegin an: erst im Service, dann in der Küche, als Geschäftsführerin und schliesslich – sie war gerade mal 23 Jahre alt – als Pächterin. Ein Inserat in der Wirtezeitung («auf der Seite ganz oben links») führte 2003 zum Wechsel nach Uznach, ins Nachbardorf ihrer Kindheit: Im Schäfli fungiert Büsser als Köchin und Gastgeberin gleichermassen. Ganz im Sinne der Slow-Food-Philosophie verarbeitet sie vorwiegend Lebensmittel von Schweizer Klein- und Kleinstproduzenten und bringt ein täglich wechselndes Menü in vier bis zehn Gängen auf den Tisch.

Restaurant Schäfli
Städtchen 28, 8730 Uznach
055 290 26 90
restaurant-schaefli.ch



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