Ausgefressen

Weniger Fleisch, mehr Hirn

Wir müssen weniger Fleisch essen. Viel weniger. Das steht ausser Frage. Vor allem kein einziges Gramm Billigfleisch aus Massentierhaltung. (Gilt auch für Billiggemüse.) Es schadet den Tieren, der Natur, dem Wasserhaushalt, dem Klima und unserer Gesundheit. Die Alternative sind aber nicht industriell hergestellte Fleischersatzprodukte, die derzeit wie Pilze aus dem Boden schiessen. Es vergeht kein Tag, ohne dass vegane Patties, Würstli oder Pseudopoulets gehypt und als Rettung des Planeten propagiert werden. Alle Probleme gelöst? Kaum. Kein Mensch braucht Fleischersatzprodukte. Was jeder braucht, ist das Wissen, wo man bestes Gemüse kauft, wie man es verarbeitet, haltbar macht und vor allem: wie man aus einem Gemüse zehn geile Gerichte kocht.

Das sehen viele meiner Berufskollegen anders. Sie stimmen ein in den Weltrettungskanon und heizen die PR-Maschinerie der grossen Hersteller mit unkritischer Berichterstattung an. «Wir müssen doch weniger Fleisch essen», ermahnen sie mich. «Dann iss halt weniger Fleisch. Wozu brauchst du dazu einen gefakten Hamburger?» Sie fragen auch nicht, welche Investoren hinter führenden Brands stehen. «Willst du, dass Bill Gates dein Essen zubereitet? Ich nicht.»

Die richtigen Fragen lauten: Woher kommen die Zutaten? In welcher Qualität? Wer verdient daran? Wer hat sie angebaut, hergestellt, verarbeitet? Auf welchem Boden? In welchem Land? Unter welchen Bedingungen? Veganen Käse aus Cashewnüssen zu produzieren, ist vielleicht doch keine bessere Alternative, wenn CLAUDIO DEL PRINCIPE Kochbuchautor, Texter und Bonvivant, Basel man schaut, woher die Nüsse kommen. Genauso schlecht ist Billigkäse aus Billigmilch von ausgelaugten Turbokühen.

Es ist schon klar, woher der Wind weht. In den USA werden im Schnitt pro Woche und Kopf drei Hamburger verdrückt. Drei! Wenn ich drei Hamburger pro Jahr esse, ist das viel. Dass man diese Menschen vom übermässigen Konsum billiger Fleischburger wegbringen möchte, ist ja löblich. Dann sollten wir aber auch über die anderen Zutaten reden. Über diese jämmerlichen Brötchen zum Beispiel.

Wir springen auf Pseudogesundheitskampagnen der USA auf und meinen, wir müssten neben Fleisch auch Milch, Brot oder Pasta verbieten, weil sie ungesund seien. «Gesund ist vegane Bolognese aus Linsen!», tröten profilgesteuerte Neoveganer. Ihr Lieben, das ist keine Bolognese, dieses Gericht heisst past’ e lenticchie und wird in Italien seit ein paar 1000 Jahren gegessen.

Schon Kindergärtlern geben wir mittlerweile eine Liste verbotener Lebensmittel mit. Wie wäre es mit Aufklärung statt Verboten? Wie wäre es, spannende Gemüsekunde und genussvolles Kochen als Pflichtfach einzuführen? Was wir in Zukunft brauchen, sind nicht Fleischersatzprodukte, sondern mündige Menschen, die wissen, wie man anständige und geschmackvolle Mahlzeiten ohne Fleisch zubereitet. Unsere Grosseltern wussten und beherrschten das noch. Das Wissen wäre vorhanden. Holen wir es uns zurück!

Claudio Del Principe

Kochbuchautor, Texter und Bonvivant, Basel
Ausgabe: 5/2020 / Datum: 01.09.2020


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