Ausgetrunken

Das Revival des grünen Safts

Verjus ist buchstäblich ein Evergreen, dessen heilsame Wirkung schon von Hippokrates geschätzt wurde: zuckerarm, reich an Mineralstoffen und Antioxidantien. Bis zur Neuzeit war Verjus als Säuerungs- und Würzmittel genutzt worden, bevor er von der Zitrone «vertrieben» wurde und aus den Küchen und Kochbüchern verschwand. Sein Name kommt aus dem Französischen, lässt sich als «grüner Saft» übersetzen und wird als «Maggi der Gourmets» bis heute in den Küchen des Périgord, der Türkei und des Irans genutzt.

Aktuell macht der Verjus eine zweite Karriere mit dem No-Food-waste-Siegel: Im Spätsommer wird im Weinberg und in den Apfelplantagen ausgedünnt – und der grüne Saft aus den unreif geernteten Trauben oder Äpfeln gepresst. Im Prinzip ist Verjus also ein Beiprodukt, das mit zehn bis 20 Franken pro Halbliterflasche mitunter teurer verkauft wird als eine Flasche Wein. Als eine Flasche Saft sowieso.

Aber was kann dieser Verjus denn eigentlich? Wir haben hier eine echte Power-Ingredienz, die mit einer leichten und feinen Säure aus der Wein- und Apfelsäure plus einer vegetabilen Süsse aufwartet. Verjus ist der elegante Cool Jazz unter den Säuregebern. Beim Kochen ist er tatsächlich effektiver als Wein, weil der höhere Anteil an Weinsäure geschmacksverstärkend wirkt. Viele Köchinnen und Anhänger von Nova Regio nutzen den Agrestsaft daher schon länger: Sven Wassmer setzt ihn in seinem Restaurant Memories in Bad Ragaz zum Beispiel für seinen Schweizer Kaviar-Spitzkohlflan ein, weil er hier eine milde Säure benötigt. Zunehmend kommen auch Mixologisten auf den Geschmack: Robert Schröter, Berliner Barbetreiber und Autor, schätzt Verjus als regionale und herbstliche Säure sowie den Fakt, dass sich etwa (traubenbasierter) Grappa interessanter mit einem Verjus säuern lässt, weil Zitrussäure unangenehme Nebentöne mit sich bringen kann. Und Memories-Sommelière Amanda Wassmer-Bulgin nutzt Verjus für ihre alkoholfreien Pairings, weil er sich gut integriert, ohne mit einer fruchtigen Note zu dominieren. Sie kombiniert Sauerampfersaft mit Verjus und Ginger Ale zum gepickelten Felchen mit Meerrettich, Sauerampfer und Kaviar.

Je nach Verhältnis von Süsse und Säure (entscheidend ist hier der Zeitpunkt der Lese) verspricht Verjus pur, ergänzt mit Kohlensäure oder aufgespritzt mit Mineralwasser, grossen Spass im Glas. Ein wenig Traubensaft und Mineralwasser plus Eis ergibt schon einen guten alkoholfreien Aperitif und ist eine säurearme Alternative zum Shrub. Ein Hauch Verjus im Rivella: ein echter Gewinn! Ein perfekter Partner ist er aber auch für den Eistee – sowie für das Salatdressing oder den Zitronencake.

Last but not least empfiehlt sich Verjus als alkoholfreier Digestiv. Auch das wussten die alten Griechen übrigens bereits vor rund 1500 Jahren. Überliefert ist folgende Empfehlung des Arztes Anthimus an den Gotenkönig Theoderich: Umfatium de uva cruda fit dulcis. Übersetzt: Der Saft von unreifen Trauben mildert das Magenbrennen.

Nicole Klauss

Kulinarische Autorin und Gastronomieberaterin, neuetrinkkultur.de
Ausgabe: Salz & Pfeffer 1/2021 / Datum: 23.02.2021


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