Anschnitt

Gute Saucen – aus der Not geboren


Als die Restaurants Corona-bedingt geschlossen waren und das Tagwerk acht Stunden ins Homeoffice verlegt war, wurde es eng. Zum Glück hatte ich seit Jahrzehnten Weine gehamstert, wenn auch die Pflege der Kellerkinder sträflich vernachlässigt. Die Unordnung hatte stetig zugenommen, und es dauerte nicht lange, bis mir bei ersten ordnenden Massnahmen eine längst vergessene, weit in die Jahre gekommene Flasche Gigondas in die Hände fiel.

Beim Öffnen des im Grunde robusten Weins wurde aus Vorfreude Frust. Mäuseschweiss, Klebstoff, banale Säure, untrinkbar. Doch die Vorstellung, einen einst hochwertigen Wein wegzuschütten, ist nie erbaulich. So kam der durchgesiebte Wein für ein Saucenexperiment in den Kochtopf und wurde zunächst auf zwei Drittel reduziert. Glücklicherweise flüchteten die schlimmsten Gerüche über die Abzugshaube ins Freie. Bereitwillig opferte ich zwei Dezi Sojasauce, Pilzpulver, eine halbierte geflämmte Zwiebel, Knoblauch, würzigen Honig sowie Zimt zum Nachglühen und liess das Ganze sehr schwach blubbern. Als Freund von fettbasierten Aromen gab ich noch einen guten Schlag Butter dazu. Nach etwa 40 Minuten zeigte sich die Überraschung. Aus dem Altwein war nach dem Abpassieren eine intensive, mundfüllende Saucengrundlage geworden.

Der Geschmacksprotz benötigt starke Partner. Etwas Kalbsleber lag noch im Kühlschrank, Mohn ist ohnehin immer im Vorratsschrank, das Aromagedächtnis signalisierte vorsichtig Zustimmung. Also schnitt ich die Leber in Streifen, bearbeitete diese mit Mohn, bis die Saat die Leberstücke fest umhüllte. In heisser Nussbutter schwenkte ich sie kurz ab und legte sie auf den warmen Saucenspiegel. Fehlten nur noch Salz und Pfeffer. Wahnsinn. Und: Der ebenfalls zufällig aus dem Kellerchaos befreite, sehr reife Vacqueyras passte perfekt.

Thomas Vilgis

Physiker am Max-Planck-Institut für Polymerforschung
Ausgabe: 3/4/2020 / Datum: 03.08.2020


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