Anschnitt

Bevormundung hat ihre Grenzen

Auch wenn Branchenverbände ins Klagen verfallen: Den Restaurants geht es in vielen Fällen gar nicht so schlecht. Manche Wirte haben, ohne dies an die grosse Glocke zu hängen, ordentliche Preiserhöhungen durchgesetzt und gleich noch allerlei Regeln. Sie machen etwa dem Kunden unmissverständlich klar, dass statt der früher üblichen zwei Menüs nur noch eines verfügbar sei. Öffnungszeiten wurden eingeschränkt, À-lacarte- Angebote abgeschafft. Vielerorts wurde der Mittagsservice gestrichen – selbst in Metropolen wie Berlin muss man lange suchen, um ein zum Lunch geöffnetes Fine Dining zu finden. All das kann seine Berechtigung haben angesichts eines schwierigen Umfeldes, das Corona-Kontrollen ebenso umfasst wie Mitarbeitermangel.

Aber wie weit kann, soll das gehen? Neulich musste ich an der Tür einer rustikalen Weinstube klingeln, um abgeholt zu werden. Ist das noch Pandemie-Vorsichtsmassnahme oder schon übertriebene Bevormundung? Anderswo, in einem Sterne-Lokal bei Stuttgart, bat man mich, pünktlich da zu sein; das Essen werde dann für alle zu einer bestimmten Uhrzeit beginnen. Menütaktung ist ja gut und rentabel, jedoch blöd, wenn ein Gast es eiliger hat als der andere. Dass ich heute schon Geld abgebucht bekomme, wenn ich in ein paar Monaten essen gehen möchte, ist übrigens gar nicht mehr so selten – und im Prinzip nicht zu kritisieren: No Show ist tatsächlich ein Problem.

Doch alles zusammen hinterlässt bei mir ein dezent mulmiges Gefühl. Kann schon sein, dass eine Fine-Dining-Landschaft mit derart strikten Regeln auf Dauer funktioniert. Kann aber auch sein, dass die Kunden die neue Strenge nicht endlos mitmachen und auf die Systemgastronomie ausweichen. Oder in die Zürcher Kronenhalle gehen. Mittags und abends auf, grosses Angebot à la carte. Ich war da. Es war verdammt erholsam.

Wolfgang Fassbender

Gastronomie- und Weinjournalist
Ausgabe: Salz & Pfeffer 5/2021 / Datum: 12.10.2021


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