Anschnitt

Krisentiere, Krisenbrötchen


Beim ersten Mal lief ich schnurstracks auf den Eingang zu. Erst allmählich dämmerte mir, dass die Menschen vor dem Supermarkt nicht aus Zigarettenlust und Laune herumstanden, sondern das bildeten, was in der Schweiz aus der Mode gekommen ist: eine Schlange. Der Andrang war natürlich nicht dem Angebot, sondern den Zugangsregeln nach Corona-Art zu verdanken, aber allein die klaglose Warterei beeindruckte mich.

Schlangen vor dem Eingang sind ansonsten ja nur von angesagten Clubs bekannt, Pariser Bäckereien und einem hippen Madrider Bistro namens «StreetXO». Eine geschlagene Stunde stand ich dort vor ein paar Jahren an, um danach Lachsbauch mit Tagetes und Dumplings mit Erdbeer-Hoisin-Sauce zu vertilgen. Es ist mir vor Auge und Gaumen, als wäre es gestern gewesen: Wo man den Zugang erkämpfen muss, bleibt der Besuch wohl umso eher in Erinnerung. Vielleicht ist dies ja ein Rezept für die Krisenzeit nach dem Lockdown. Statt mit Reservierungen zu balancieren und sich über No-Shows zu ärgern, könnte man die im Moment Corona-bedingt limitierten Gastronomieplätze einfach in der Reihenfolge des Ankommens vergeben. First come, first serve. Und vielleicht sogar: Triple Eating statt Double Seating.

Das hat sich wohl auch das Noma gedacht. Sie wissen schon, die Kultbeiz in Kopenhagen. Der Krisenburger, den das Lokal zur Wiedereröffnung nach Corona anbot, löste einen Hype unter den Dänen aus. Angeblich standen die ersten Neugierigen am Eröffnungstag schon bei Morgengrauen in der Schlange und warteten Stunde um Stunde. Ob gastronomische Trittbrettfahrer die Gelegenheit genutzt haben, den Unverdrossenen heissen Kaffee und Gipfeli zu verkaufen, weiss ich nicht. In der Schlange vor dem «StreetXO» jedenfalls wurde so manches Bier aus der Nachbarkneipe serviert.

Wolfgang Fassbender

Gastronomie- und Weinjournalist
Ausgabe: 3/4/2020 / Datum: 03.08.2020


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