100 Ochsen

Der Oktober ist vorbei, die Brezn verdaut, der Kater verraucht. 100 Ochsen haben sie auf der Münchner Wiesn gebraten, und es war ja wieder tadellos organisiert, gell.
Text: Monsieur Tabasco
Veröffentlicht: 20.11.2016 | Aus: Salz & Pfeffer 7/2016

Was da alles bereitstand! 1400 Sitztoiletten, ein Kilometer Stehtoiletten, ein Kotzhügel für den kostenlosen Genuss à discrétion. Der Kotzhügel war zwar weder ausgeschildert noch eingezeichnet auf dem Lageplan, aber wer zum fröhlichen Selfieschiessen mit halbnackten weiblichen Bierleichen wollte, watete einfach der Nase nach. 2017 sind zu den Acts am Kotzhügel übrigens Führungen mit Guide und mehrsprachigen Audioübersetzungen geplant, finanziert mit Bandenwerbung für Bier, Bretz’n und Ochsenschwanzragout.


Alles in allem fällt die heurige Bilanz wohlwollend aus. Schausteller, Zurschaustellerinnen und Polizei sind zufrieden. Verloren gingen nebst Handys oder Taschen auch Eheringe, Dirndln, Lederhosen, Gebisse, eine Reitpeitsche und Bettwäsche von der Polizeigewerkschaft. Die sexuellen Übergriffe verursachten kaum Kosten, da am Oktoberfest traditionsgemäss nur die wenigsten angezeigt werden, und die Wiesngottesdienstfeier 2016 im Festzelt Marstall wurde besinnlich gestaltet vom Pfarrer und Leiter der katholischen Circus- und Schaustellerseelsorge Sascha Ellighaus. Es kam allerdings zu vielen Körperverletzungen, Masskrugschlägereien und Freiheitsentzügen. Zurückzuführen waren sie alle auf die Rotten von sturzbesoffenen Burkaträgerinnen, die den braven AfD-Wählern vor ihren Cola zero und den Pegida-Anhängern vor ihren stillen Wassern an die Lederhosen gingen, schamlos ihre Leitkultur missbrauchten und sie aus ihren Gesprächen rissen über Hegel, Kant und Schiller.

Für uns Schweizer hat das Oktoberfest in München zwei Nachteile. Erstens liegt München in Europa. Das ist schlimm. Und zweitens in Deutschland. Das ist noch schlimmer. Wir brauchen beides nicht. Wir sind tief verankert in unseren eigenen Traditionen, Bräuchen und Festen. Die Söhne Tells im Land von Basler Fasnacht und Zürcher Sechseläuten kämen nie auf die Idee, ein Fest aus dem Ausland kopieren zu wollen. Ein Tourismusdirektor oder Eventmanager oder Guggenmusigvorstand oder Dorfvereinspräsident oder Beizer in der Schweiz müsste sich in Grund und Boden schämen, würde er so etwas wie das Münchner Oktoberfest kopieren wollen mit Bier und Brezn und Busn.

«Für uns Schweizer hat das Oktoberfest in München zwei Nachteile.»

Man stelle sich vor, Uster feierte ein Oktoberfest und Zürich Tourismus schriebe: «Ein Prosit der Gemütlichkeit! Das Oktoberfest in Uster hat sich als eines der schönsten Feste im Zürcher Oberland verankert.» Was für eine peinliche Aussage über das Zürcher Oberland. Man stelle sich vor, wenn auf einem grellen Plakat fünf bauchfreie Hotpants-Weibchen in Pose für das «Oktoberfest- Süri» in Rosshäusern «mit Gaudi-Halle und Dance-Dome» werben würden, «die Mutter aller Partys since 1991», und wenn eine Bank in ihren Niederlassungen Tickets verkaufte, die gerne mit dem Slogan «Wir sind einfach Bank» wirbt.

Man stelle sich vor, was ein Gast aus dem Ausland fühlte, der die Schweiz kennenlernen wollte, von Kloten her kommend im Hauptbahnhof der Weltstadt Zürich aus dem Zug stiege und als Erstes ein «Züri-Wiesn»-Zelt sähe, zwei grosse Tiroler Titten auf dem Titelblatt der Festzeitung «Wiesn-Post» und das Festmotto «rein in die Lederhosen, das Dirndl geschnürt und auf gehts zur Wiesn-Gaudi». Was er für die Schweiz empfände, führe er ins Land hinaus und träfe in jeder zweiten Dorfmehrzweckhalle Oktoberfeste mit festlichen Tittentussis im Dirndl und Keyboard-DJ mit Bier an der Front.

Vielleicht stiege er nach seiner Schweiz- Tour in Zürich ernüchtert wieder in den Zug und läse auf der Züri-Wiesn- Homepage auf seinem iPhone noch die Seite mit den Mediadaten für Inserate in den Festzeitungen, Sampling-Aktionen und Werbemassnahmen: «Mit ihrem Produkt oder ihrer Dienstleistung erreichen Sie ihre relevante Zielgruppe in bester Stimmung und einem sympathischen Umfeld.» Da erhielte er einen Eindruck davon, worum es ginge in der Schweiz.

Man stelle sich vor, dies alles genösse Zuspruch beim Schweizervolch, das eine Masseneinwanderungsinitiative angenommen hat und unter Dichtestress leidet, und unsere Touristiker sännen begeistert darüber nach, wie sie noch mehr von jener besten Stimmung herstellen könnten, die sich bei den ursprünglichen Schweizer Festen und Bräuchen nicht in klingende Rubel ummünzen liesse. Bis einer von ihnen die originelle Idee hätte, den Karneval von Rio einzuschweizern, der noch viel tittenprächtiger und umsatzträchtiger wäre. In 1000 Dörfern wedelten dann die Bertholds und Vronis halbnackt durch die Strassen und Zürich Tourismus schriebe: «Die heissen Sambaschulen von Pfäffikon mit ihren Maracatu-Rhythmen gehören zu den traditionsreichsten Umzügen im Zürcher Oberland.» Und als nächstes traditionsreichstes Schweizer Fest etablierte sich bestimmt noch die Kölner Silvesternacht.

Der Oktober ist vorbei, die Schweizer Münchner Oktoberfeste verdaut. Organisiert wurden sie von 100 Ochsen. Aber wenigstens haben sie etwas gegen das Vorurteil getan, die Schweiz sei teuer. Die Schweiz kann auch billig.



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