Nach dem Trink ins Zimmer
Die Gastronomie schreibt Liebesgeschichten! Jene von Anton Mosimann, zum Beispiel. Oder von Monsieur Tabasco höchstpersönlich.
Teenager machen das ja auch, einfach exzessiver.
Was man streichelt, kann man auch hassen. Das Smartphone zum Beispiel, wenn es klingelt und vibriert und blinkt und nervt. Dazu brauchst du nicht mal jeden Mist und jede PushNews-Funktion zu abonnieren. Ein paar Kommunikations-Apps und Social-Media-Icons genügen, auf denen ständig was reinkommt, das man anschaut, nur ganz kurz, es könnte ja was Wichtiges sein.
Könnte. Ist es aber nicht. Nie. Du würdest schwören, den verdammten Zeitfresser irgendwann einmal endgültig auszuschalten, wärst du nicht grad verzweifelt mit der Suche nach dem Ladekabel beschäftigt, weil du nur noch fünf Prozent Strom im Akku hast. Die Logik ist dieselbe wie bei Putin: Man schwört sich, dieser Kriegsgurgel kein Gas mehr abzukaufen, aber gerät in Panik, wenn er droht, den Hahn zuzudrehen.
«Mir hat Social Media kaum einen zusätzlichen Gast gebracht», sagt eine Gastgeberin, die in der virtuellen Welt bereits unterwegs war, als sie damit noch auffiel. Das hat sie brutal viel Zeit gekostet. Heute bezahlt sie ein Content-Managerli dafür, dass es Content postet. Also Zeugs, das informativ oder lustig aussieht, aber eigentlich nur eins sagen will: Ich bin auch noch da imfall, könntest ruhig wieder mal bei mir einkehren. Ihre Profile löschen kann sie natürlich nicht, das wäre dann doch suspekt.
Die Gastgeberin hat übrigens früh gemerkt, dass sie am meisten Aufmerksamkeit bekommt, wenn sie selber Aufmerksamkeit schenkt. Sie hat alles gelikt, was ihr in die Timeline geflutscht ist, hat auch mal kommentiert, hat jeden spüren lassen: Ich lese dich und sehe dich, du bist mir wichtig, ich finde dich toll. Bei einer Gastgeberin, die dich toll findet, kehrst du lieber ein als bei andern. Aber was, wenn du überhaupt kaum mehr einkehrst oder Zimmer buchst? Und wenn alle andern dasselbe tun?
Teenager machen das ja auch, einfach exzessiver, die liken den ganzen gestrandeten Gerümpel in ihren Timelines durch, ohne ihn sich wirklich anzuschauen, denn ob sie ihn mögen oder nicht, spielt gar keine Rolle, einen Like geben sie trotzdem, denn gäben sie dreimal hintereinander keinen, dann sähe das bereits wie Liebesentzug aus. Dass sie die inflationierten und wertlosen Likes auf ihren eigenen Posts absurderweise trotzdem zählen, beweist nur, dass sie noch Teenager sind.
Es ist ernüchternd. Da hast du dir mithilfe deiner 18-jährigen Tochter 1000 Follower erarbeitet und dann stellst du fest, dass der grösste Teil von denen Stammgäste sind, Mitarbeiterinnen, Verwandte, Lieferantinnen, Nachbarn und Kolleginnen vom Squash. Alles Leute, die dich eh kennen und eh bei dir einkehren würden, wenn sie denn überhaupt noch einkehren würden. Und die übrigen Follower sind Fake-Accounts oder Influencerinnen, die eingeladen werden möchten.
Zudem gehen deine Posts mittlerweile in einer Überschwemmung unter von Werbung, Gesponsertem, «Vorschlägen» und «Reels» mit Katzenmist, Hängebrücken und Silikonbrüsten, die Social-Media-Manager tun ja alles, um ihre Kanäle dermassen zu entwerten, dass die Userinnen und User aufhören zu scrollen und nur noch posten. Dann posten alle, keiner guckt mehr, und aus ist es mit der Beachtung. Das Mass für die Intensität und Dauer von Aufmerksamkeit nennt man Konzentration, und die ist beim Scrollen ohnehin nicht mehr existent. Wisch und weg.
Ab einer gewissen Grösse kann man allen falls noch an der Prominenz anderer User und Userinnen andocken, diesen Aufmerksamkeitsgeneratoren, auch Influencer genannt, aber selbst dort ist die Wirkung dünn und die Halbwertszeit null. Holt die 25jährige Nagellack-Tussi neue Gäste ins Fünf-Sterne-Hotel, wenn sie dort drei Tage eingeladen ist, ihren Hintern in der Suite in Szene setzt und ihre Begeisterung fürs Hotel kundtut? Hat die Nagellack-Tussi unter ihren Followern jene Porsche-Fahrer, die die nötige Kohle haben, in einem Luxushaus abzusteigen?
Nein, hat sie nicht. Für sie selber, für die Wirtin und den Hotelier und für alle andern Mitmenschen taugt Social Media heute primär zur Selbstwertschätzung. Man kann sich das eigene Profil angucken und Freude haben an der eigenen Kreativität oder den eigenen Aktivitäten. Und nein, Monsieur Tabasco weiss auch nicht, wie der Hotelier oder die Wirtin auf Social Media genügend zusätzliche Gäste holen, die den Zeitaufwand für die Bespielung der eigenen Kanäle rechtfertigen. Für die meisten ist dieser Gaul tot. Absteigen tun trotzdem die wenigsten. Es fehlen wirkungsvolle Alternativen zur medialen Multiplikation von Aufmerksamkeit. Also streichelt man weiter, was man hasst. Das Menschsein ist manchmal schon verdammt anstrengend.