Avantgarde mit Farbe

Orange sei das neue Weiss, jubeln die Liebhaber, während Kritiker ihrem Ekel über die etwas anderen Weine freien Lauf lassen. Die Wahrheit liegt irgendwo dazwischen und wirkt wundersam befreiend.
Text: Wolfgang Fassbender – Fotos: Tina Sturzenegger
Veröffentlicht: 20.11.2016 | Aus: Salz & Pfeffer 6/2016

«Der liebe Gott wollte dieses alkoholische Getränk nicht.»

Weinkritiker René Gabriel versteht viel von seinem Metier, ist eine Instanz für teuer Abgefülltes aus dem Bordelais, mag auch Grünen Veltliner und feinste Burgunder. Nur mit Orange Wine kann die ehrenvoll als Rampensau der Szene betitelte Koryphäe nichts anfangen. «Der liebe Gott wollte dieses alkoholische Getränk nicht», teilte Gabriel kürzlich öffentlich mit. «Was ich am wenigsten verstehe ist, dass sich dieses absolut weinfremde Gesöff überhaupt Wein nennen darf.» Widerspruch war bei dieser Provokation gewiss einkalkuliert und kam prompt. Nicht nur von den Trendforschern unter den Weinautoren, auch manche Winzer meldeten umgehend Skepsis an, andere stehen über allen Angriffen. Er möge diesen Typ von Wein, wirft Ewald Tscheppe ein, Winzer auf dem Weingut Werlitsch in der österreichischen Steiermark. «Er vermittelt ein eigenständiges Trinkerlebnis. Auf der Maische vergorene Weissweine sind und waren ein Teil meiner Erkenntnisreise zu einem neuen Verständnis vom natürlichen Ausdruck aller Inhalte in einem Wein.»

Tatsächlich genügt es nicht, Orange Wine nach jenen Kriterien zu beurteilen, die fast 100 Prozent aller Weintrinker anzuwenden pflegen. Was über Jahrzehnte in Weinkursen und auf Weinhochschulen gelehrt wurde, spiegelt die heutige Realität eben nicht mehr in Gänze wider. Die klare Frucht, die viele in Chasselas oder Riesling suchen, all die charmanten Zitrus-, Apfel- und Pfirsicharomen sind bei der Orange-Wine-Kategorie nicht existent. Dafür gibt es das, was bisher eher von Tee und Apfelmost bekannt war: dunkle Farbe. Hinfort mit hellem Gelb, strahlender Klarheit, der geradezu technisch anmutenden Brillanz, her mit fahlem Orange oder zumindest stumpfem Dunkelgelb. Folgen des langen gemeinsamen Verbleibs von Traubenmost und Schalen, denn auch Weissweintrauben besitzen Farbstoffe, die – vereinfacht gesagt – je mehr gelöst werden, je länger die Mazeration dauert. Ein paar Tage vielleicht nur, wenige Wochen, mitunter auch Monate oder ein ganzes Jahr: Grenzen gilt es auszureizen. Rotweintrauben können zwar ähnlich experimentell ins Stadium des Weines transferiert werden, bringen aber keinen Orange Wine im klassischen Sinne hervor, während die eh schon dunklen Weissweinsorten (Traminer oder Grauburgunder) tatsächlich kraftvolle Orangenoten möglich machen. Damit sich keiner verirrt und von falschen Prämissen ausgeht, sprechen Fortgeschrittene gar nicht mehr vom Orange Wine, sondern vom maischevergorenen Weisswein, was der Diskussion die Schärfe nimmt, aber auch weniger sexy klingt.

Apropos Schärfe: Die Produkte der angeblich neuen Weinkategorie sehen nicht nur ulkig aus, sie riechen und schmecken auch eigenständig bis -willig. Statt klarer Fruchtnoten dominieren würzige, kräuterige, nussig-oxidative Töne, während im Geschmack eine deutliche, herbe Gerbstoffnote zu spüren ist. Tannine im Wein? Beim roten wird so was allgemein akzeptiert, beim weissen führte es lange zu pauschaler, logisch kaum begründbarer Ablehnung. Die salzigen Noten und den trocken-herben Purismus vieler Orange-Wine-Vertreter muss ja keiner mögen – aber spannend kann sein, was ein junger Kreativer wie Jörn Goziewski (Joern Wein) verantwortet. Im deutschen Rheingau nennt er seinen Wein «Arancia» oder «Jesaja», kombinierte Maischegärung und Barriquereifung. Viel früher als er haben schon Slowenen und Kroaten (Roxanich) angefangen, nochmals äonen zeitiger die Georgier und die meisten übrigen Winzer der Antike. Orange Wine ist ja, bei ganz genauem Hinsehen, nichts anderes als eine ziemlich ursprüngliche Form der Weinbereitung. Am ursprünglichsten, wenn sich die Gärung in der Amphore vollzieht. «Wir produzieren seit 2008 orange Weine», sagt der Walliser Winzer und Amphoren-Fan Amédée Mathier, «einen aus weissen und einen aus roten Trauben.» Zeit lässt man sich in Salgesch, füllt jetzt erst den Jahrgang 2013.

Experimente wie der burgenländische «Himmel auf Erden» von Tschida verlangen auch im Glas Musse. Man muss sich gewöhnen an Noten von Mandeln und Schwarztee, fermentiertem Apfel oder Kamille, sollte eine Karaffe zur Hilfe nehmen, den Wein nicht zu kalt ausschenken und um Bedenkzeit bis zum Urteilsspruch bitten. Erst dann lässt sich entscheiden, ob all die kuriosen Aromen was zu suchen haben im Wein. Nachdenkliche stellen anschliessend die ganze Weinwelt infrage. Sind jene Röst- und Vanillenoten, die viele konventionelle Chardonnays aufweisen, zwingend der Gipfel der Weinkunst? Müssen Tannine aus dem getoasteten Holz gelöst werden oder dürfen sie auch aus den mitvergorenen Beerenhäuten stammen? Zöge man die tatsächlich existierenden misslungenen Orangenweine als miserables Beispiel heran,um von ihnen auf die ganze Kategorie zu schliessen, wäre das übrigens ein bisschen unfair: Dazulernen kann man immer, und viele der verhauenen Barrique-Experimente der Achtziger und Neunziger mag ja auch keiner mehr trinken. Blöd nur, dass immer noch Winzer meinen, sie müssten die fehlgeschlagenen Orange-Wine-Versuche der Öffentlichkeit zeigen, wo doch Weine mit flüchtiger Säure und kratziger Bitternis eher ins Gruselkabinett gehören.

So unterschiedlich wie die Wertschätzung der neuen, alten Weine ist auch ihre Eignung zum Essen. Man verwende keine typischen Orange Wines, teilt Christoph Kokemoor mit, Chefsommelier im Drei-Sterne-Restaurant Cheval Blanc im Basler «Les Trois Rois». Die Grenzen zwischen maischevergorenen, stark oxidativen Extremweinen à la Amphore und modernen, vielleicht aus Traminer, Sauvignon Blanc oder Scheurebe gewonnenen Interpretationen des Orange Wine sind freilich nicht leicht zu definieren. Zur eleganten Küche von Peter Knogl scheint allzu Extremes tatsächlich nicht zu passen, während es zu den frechen Speisen des «Maison Manesse» in Zürich gar nicht ausgefallen genug sein kann. Rund 80 verschiedene Orange oder Natural Wines habe man auf der Karte, heisst es hier. «Es ist ein sehr zwiespältiges Thema, für uns aber sehr spannend, weil es mitunter eine neue Geschmacksbreite entfacht», sagt «Manesse»-Weinfreak Jochen Mevissen. «Zu unserer recht experimentellen Küche eignen sich diese Weine sehr gut.» Was ja nicht bedeutet, dass jeder Gang von dunklen Spezialtropfen begleitet werden muss. Immer wieder dürfen es auch hier Weine ohne Maischegärung und Orangetöne sein. Solche, an denen auch René Gabriel uneingeschränkte Freude hätte.

Interessante Orange Wines
Bezugsquellen für Orange Wine anzugeben, ist nicht ganz einfach. Die meisten Sorten werden in Kleinstauflagen produziert und sind rasch ausverkauft. Nachfragen lohnt sich beispielsweise bei folgenden Winzern oder Importeuren, doch auch viele andere ambitionierte Produzenten experimentieren in kleinem Rahmen, ohne die Ergebnisse offiziell in den Verkauf zu geben.

Weingut Albert Mathier & Fils: www.mathier.ch
Weingut Tschida, bei der Maison du Vin Libre: www.maisonlibre.ch
Weingut Werlitsch: www.werlitsch.com
Joern Wein: www.joernwein.de



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