Barista von Beruf

Junge Menschen anerkennen das Kaffeebrühen immer öfter als Beruf und Berufung. Weil das Handwerk einen kompletten Wandel erlebt, bietet es gerade für Einsteiger spannende Perspektiven.
Text: Sarah Kohler – Fotos: Jürg Waldmeier
Veröffentlicht: 22.11.2016 | Aus: Salz & Pfeffer 8/2016

«Wo es guten Kaffee gibt, wird in der Regel auch ausgebildet.»

Wenn das Kapselsystem daheim den aromatischeren Kaffee macht als der Wirt im Café um die Ecke und wenn der weit gereiste Gast über Provenienzen, Röstgrad und Extraktionsmethoden besser Bescheid weiss, nach Filterkaffee schreit oder seinen Espresso mit klaren Vorgaben ordert, ja, dann hat der Gastronom ein Problem. Eins allerdings, dem er sich stellen kann, indem er sich und seine Mitarbeiter in der Kaffeezubereitung schulen lässt. «Denn wo es guten Kaffee gibt, wird in der Regel auch ausgebildet», sagt Benjamin Hohlmann. Der 33-Jährige ist Geschäftsführer des Gastrobetriebs Unternehmen Mitte in Basel, Mitbegründer der Kaffeemacher und Mitglied des Schweizer Vorstands des europäischen Verbands für Spezialitätenkaffees. Er muss es also wissen. «Guter Kaffee passiert nicht von selbst. Es braucht jemanden, der weiss, wie es funktioniert: den Barista.»

Der Begriff Barista ist eine italienische Wortschöpfung für jene Person, die in einer Espressobar oder in einem Café die Zubereitung des Kaffees verantwortet. Geschützt ist die Bezeichnung nicht und selbst unter Specialty-Coffee-Freaks ist die Diskussion, wie ein (guter) Barista zu definieren sei, heiss. Klar ist: Die Zeiten, in denen der Bartresen ein blosses Tummelfeld von mässig motivierten Aus- und Quereinsteigern war, sind tendenziell vorbei, und immer öfter verwandeln junge Menschen ihre Leidenschaft für guten Kaffee in eine langfristige berufliche Perspektive.

«Latte Art macht noch keinen Barista», sagt Shem Leupin zum Thema trocken. Der Barista-Schweizermeister 2013 röstet für Stoll Kaffee in Zürich und hat gerade ein eigenes Café eröffnet. Es trägt den so simplen wie pointierten Namen Coffee. Leupin und sein Geschäftspartner Thomas Leuenberger servieren auf 23,5 Quadratmetern Kaffee, wie er ihrer Meinung nach getrunken gehört. «Wir setzen unseren Qualitätsanspruch um», sagt der 34-Jährige, «nicht zwingend jenen des Konsumenten, der in der Regel viel Auswahl hat, aber eben kein Fachmann ist.» Leupin erzählt von seinen Anfängen, die exemplarisch für ein weiter entwickeltes Verständnis des Berufs stehen. 2006 heuerte er in seiner zweiten Heimat Australien in einer gut laufenden Bar an. «Der Barista war in einer stolzen Position», erinnert er sich, «an die Kaffeemaschine durfte nicht jeder ran – man musste eine Schulung machen und einen Test bestehen.» Nach und nach bekam der Neuling schwierigere Schichten. «Dieses Heraufarbeiten verleiht der Position Relevanz.»

Hierzulande schaut die Lage (noch) etwas anders aus. «Echte Baristas mit dem ganzen Spezialwissen rund um Kaffee fehlen in der Schweiz schon noch», sagt Sandra-Daniela Stucki, die in der Rösterei Kaffee und Bar von Blasercafé in Bern hinter dem Tresen und an der Rösttrommel steht. Sie hegt aber Hoffnung, dass sich der Stellenwert gerade in der gehobenen Gastronomie verändern wird: «Ich wünsche mir», sagt die 31-Jährige, «dass der Barista wie der Sommelier zum Gast geht und das Getränk erläutert.» Wie viele Einsteiger kam Stucki über Latte Art zum Spezialitätenkaffee. «Dass man so etwas Schönes aus Kaffee machen kann, faszinierte mich.» Was sie aber richtig in Fahrt brachte (und auch damit ist sie in der Szene in bester Gesellschaft), war das Wettbewerbswesen. Als gelernte Servicefachfrau traf Stucki im Hotel Berchtold in Burgdorf auf die Barista-Legende Giovanni Meola, der sie in die Welt des Kaffees einführte und ruckzuck an die Barista-Schweizermeisterschaft 2009 schleppte. Stucki siegte in der Kategorie Coffee in Good Spirits, genau wie 2010 und 2011. «Dass ich gut war, spornte mich schon an», erzählt die Langnauerin. Mit der Zeit rückte das Produkt immer stärker ins Zentrum ihres Interesses. Stucki reiste nach Ecuador, um auf der Finca Maputo von Verena Blaser mehr über Kaffee zu lernen und mitzuhelfen, wobei sie beim Ernten grandios am Tempo der lokalen Arbeiter scheiterte. Pünktlich zur Eröffnung der Rösterei Kaffee und Bar kehrte sie in die Heimat zurück. Seit zwei Jahren nun versteht sie sich hauptberuflich als Barista. Vor kurzem allerdings machte sie den ersten Schritt aus der Bar hinaus und stieg ins Rösten ein. Künftig, sagt Stucki, wolle sie sich noch fokussierter mit Kaffee beschäftigen – weniger hinter dem Tresen, mehr beim Produkt.

Sandra-Daniela Stucki und Michal Otte zeigen den Bernern in der Rösterei Kaffee und Bar, wie vielfältig ihr Lieblingsprodukt ist.
Rösterei Kaffee und Bar, Bern
Michal Otte, Rösterei Kaffee und Bar, Bern
Sandra-Daniela Stucki, Rösterei Kaffee und Bar, Bern
Rösterei Kaffee und Bar, Bern
Shem Leupin serviert im Coffee in Zürich den Kaffee nur so, wie er findet, dass er getrunken gehört.
Coffee, Zürich
Coffee, Zürich
Coffee, Zürich
Coffee, Zürich
Janine Landolt betreibt das Brühnett Café in Wädenswil und träumt davon, ihre Begeisterung  für Kaffee dereinst in einem eigenen Barista-Atelier weiterzugeben.
Brühnett Café, Wädenswil
Brühnett Café, Wädenswil
Janine Landolt im Brühnett Café an der Aeropress
Brühnett Café, Wädenswil

Ganz beim Gast ist Stuckis Kollege und Teamleiter Michal Otte. Der gelernte Koch und Servicefachmann mit tschechischen Wurzeln nimmt den Job gerade deshalb spürbar ernst: «Der Barista verkauft den Kaffee und kann den Gast an Neues heranführen», sagt der 35-Jährige. Er arbeitete als Berufseinsteiger in vielen Lokalen, in denen ihm keiner etwas zum Produkt Kaffee sagen konnte. Das änderte sich 2009, als er in der damaligen Kaffeebar Cesary in Bern anheuerte und die italienische Espressokultur kennenlernte. Otte war fasziniert, und auch sein Weg führte ihn erst über Latte Art ins Wettbewerbswesen. Die Szene gefiel ihm so, dass er beschloss, sich intensiv mit dem Thema zu beschäftigen. Der Autodidakt lernte alles über die Zubereitung, beschäftigte sich mit den Röstprozessen und stieg in die Barista-Schweizermeisterschaften ein. «Man lernt nie aus», schwärmt der nationale Cup-Tasting-Meister 2016. Seit vier Jahren amtet er in der Langnauer Kafischmitte zudem als Röster. Das Zubereiten von Kaffee bleibt für ihn ein besonders wichtiger Schritt: «Als Barista bin ich auch Gastgeber», sagt er. «Guten Kaffee zuzubereiten, ist schön und recht, aber ohne Sozialkompetenz gehts nicht. Es reicht nicht, ein Fachfreak zu sein und hinter dem Tresen mit der Waage zu spielen.»

Ähnlich sieht das Janine Landolt, die in Wädenswil das Brühnett Café betreibt, dort sortenreine Kaffees anbietet und diverse Zubereitungsmethoden zelebriert. «Ein guter Barista», sagt die 34-Jährige, «beweist sich durch Passion.» Und: Das Verkaufen von Specialty Coffee bedürfe viel geschickter Kommunikation. Landolt sieht im Vermitteln ihre Zukunft, bietet Kaffeeseminare und Baristaworkshops an, die auf wachsendes Interesse stossen, und träumt davon, dereinst ein Barista-Atelier zu leiten. Aktuell konzentriert sie sich aber aufs Café, das sie vor zwei Jahren eröffnete – nach einem rasanten Einstieg in die Branche. Gerade mal vier Jahre ist es her, dass Landolt als Ausgleich zum Bürojob in einem Café anheuerte und aus Neugier einen Barista-Kurs besuchte. «Ich ging ohne Erwartungen hin, aber es entfachte ein Feuer in mir», erinnert sie sich. Der Rest ist (eine gute) Geschichte: Philipp Henauer von der gleichnamigen Rösterei in Höri sah das Funkeln in Landolts Augen auf Anhieb, nahm sie als Mentor an die Hand und führte sie schnurstracks in die weite Welt des Wettbewerbs. Landolt gewann 2012 die renommierte Internationale Tiroler Barista-Meisterschaft und stand bei den Schweizermeisterschaften als Barista sowie an der Aeropress auf dem Treppchen. Zurzeit steckt sie mitten im Training für den nationalen Wettbewerb 2017. Im Brühnett Café beschäftigt Landolt inzwischen eine Mitarbeiterin im 40-Prozent-Pensum. Und bevor sich diese hinter den Tresen stellen durfte, schickte die Chefin sie in die Schulung. «Es ist mir wichtig, dass eine ausgebildete Person an der Maschine steht.»

Bleibt die Frage, ob der Barista-Beruf, einmal erlernt und in allen Facetten erkundet, zur langfristigen Existenzgrundlage taugt. Zumindest bietet der Job heute reelle Perspektiven: Wer aus den «aktiven Zeiten» rauswächst, findet – ähnlich wie im Sport – als Coach, Trainer oder Berater eine Aufgabe. «Gute Baristas sind zum Teil besser ausgebildet als Händler», sagt Kaffeemacher Hohlmann. «Die Industrie interessiert sich deshalb für gute Leute aus dem Barista-Pool.» Immerhin ist die Schweiz international eine wichtige Drehscheibe für Kaffeemaschinenhersteller und die Vollautomatenindustrie. «Da gibts stabile Stellen mit einem höheren Lohn als hinter der Bar, und Baristas kommen im Aussendienst, in der Entwicklung und in der Schulung unter.» Wohin es Stucki und Otte, Landolt und Leupin verschlagen wird, ist offen. Klar ist, dass sie der Kaffee ein Leben lang begleiten wird, auch beruflich. «Der Barista-Job allein ist langfristig zwar keine Perspektive», befindet Leupin, «aber für Berufseinsteiger zurzeit total spannend.» Tatsächlich befinde sich die Branche in einem kompletten Umbruch, sagt auch Hohlmann: «Das Traditionshandwerk der Kaffeezubereitung schöpft das Potenzial des heute viel besseren Rohprodukts nicht aus. Man muss anders rösten als noch vor fünf Jahren, drei Jahren, einem Jahr.» Der rasante Wandel eröffnet ein weites Feld für Menschen, die sich kreativ mit einem Produkt und seinen Prozessen beschäftigen, Technologien entwickeln und damit experimentieren mögen. Faktisch entsteht gerade ein komplett neues Feld, ein junger Markt – und damit Platz für ehrgeizige und visionäre Emporkömmlinge. «Wer das erkennt», sagt Leupin, «hat die Chance, schnell aufzusteigen und die Anfänge von etwas Neuem zu gestalten.»

Coffee, Grüngasse 4, 8004 Zürich, www.coffeezurich.com 
Rösterei Kaffee und Bar, Güterstrasse 6, 3008 Bern, www.roesterei.be
Brühnett Café, Gerbestrasse 2, 8820 Wädenswil, www.bruehnett.ch

Spezialitätenkaffee: Von A bis Z
Die Definition von Spezialitätenkaffee (Specialty Coffee) ist gar nicht so einfach: Die Erklärung, der Rohkaffee müsse dafür mindestens 80 von 100 Punkten auf einer entsprechenden Skala erreichen, ist für den Laien wenig aufschlussreich. Wir versuchens simpler: Von Spezialitätenkaffee spricht man, wenn die lange Reise der Frucht vom Strauch bis in die Tasse eine Rolle spielt. Nur einwandfreie Bohnen schaffen es von der Farm zum Rohkaffeehändler, der die Qualität des Kaffees physikalisch und sensorisch prüft, beim Rösten bleibt die Wertigkeit der Bohne erhalten und ein geschulter Barista sorgt für die optimale Zubereitung.

Zubereiten, nicht abfüllen
Was braucht man, um ein guter Barista zu sein? Kaffeemacher Benjamin Hohlmann überlegt nicht lang: «Die Kalibrierung zwischen Handwerk und Zunge beziehungsweise der sensorischen Wahrnehmung.» Elementar sind darüber hinaus Flexibilität und Gastgeberqualitäten, Präzision und Geschwindigkeit, das Interesse für komplexe Aromastrukturen, Offenheit und Neugier. Ausserdem sollte ein Barista keine Angst vor der Maschine haben und es reizvoll finden, ein Rohprodukt durch den Veredelungsprozess bis zum Gast zu begleiten. «Barista ist ein Zubereitungs-, kein Abfüllberuf», sagt Hohlmann. Und: «Es ist ein Knochenjob, eine Fleissarbeit, die viel Konstanz verlangt. Manchmal muss man ohne Schöngeist einfach nur produzieren.»

Sechs Module, drei Levels
Wer sich als Barista aus- oder weiterbilden lassen will, findet diverse zertifizierte Kurse, Workshops und Schulungen, die oft von Röstereien oder Kaffeemaschinenherstellern durchgeführt werden. Von Produzenten unabhängig ist die Akademie der Basler Kaffeemacher, die dem Unternehmen Mitte entsprungen ist. Für Einheit im Bildungsangebot sorgt die Specialty Coffee Association of Europe (SCAE), die auch einen Schweizer Ableger unterhält. Sie zertifiziert die Schulungen, die auf dem Coffee Diploma System (CDS) basieren, sowie die Trainer und definiert die Ausbildung. Diese umfasst sechs Module (Kaffee-Einführung, Rohkaffee, Sensorik, Rösten, Mahlen und Brühen, Barista), für die es jeweils drei Levels (Foundation, Intermediate, Professional) zu erreichen gibt. Die SCAE gilt als weltweit führend in der Breitenausbildung und ist auch im asiatischen Markt sehr aktiv – mit 300 Trainern allein in Korea. Zurzeit findet eine Fusion mit dem US-amerikanischen Verband statt, was die beruflichen Perspektiven eines Baristas ein weiteres Stück internationaler werden lässt. In der Schweiz gibt es zudem Bestrebungen, das Thema Kaffee an den Hotelfach- und Berufsschulen zu etablieren. Während es sich an manchen Bildungsstätten schon eingebürgert hat, dass zertifizierte Trainer Kurse geben, ist man auf Verbandsebene noch nicht ganz so weit. «Das ist aber wohl einer der nächsten Schritte», sagt dazu Benjamin Hohlmann vom Schweizer Vorstand der SCAE.

Specialty Coffee Association of Europe Schweiz, www.swissscae.ch



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