Ein Hoch auf die Eierfrucht

42 Aubergine-Sorten hat der Schweizer Bio-Saatgut-Hersteller Zollinger geerntet. Es sind die Früchte eines wissenschaftlichen Versuchs, den die Samenzüchter im Auftrag des Bundesamts für Landwirtschaft durchführten. Das Projekt soll auch Gastronomen auf den Geschmack bringen.
Text: Virginia Nolan – Fotos: Jürg Waldmeier
Veröffentlicht: 21.09.2017 | Aus: Salz & Pfeffer 6/2017
Listada de Gandia

«Wir erfassen, welche Sorten hierzulande wachsen, und wollen wissen, was davon erhaltenswert ist.»

Es ist ein regnerischer Morgen im August. Der Himmel tränkt die Felder, lässt die Hitze vom Vortag verdampfen und das Wasser geräuschvoll auf die Dächer der Treibhäuser prasseln. Es ist Erntezeit im Chablais südlich des Genfersees. Dort, wo zerklüftete Berghänge auf fruchtbare Talebenen und die Kantone Wallis und Waadt aufeinandertreffen, gedeihen nebst charakterstarken Reben auch Auberginen. Felsen, die das Sonnenlicht reflektieren, und die warmen Föhnwinde aus dem Wallis sorgen für ein überdurchschnittlich mildes Klima, das der Frucht gut bekommt. Sonst wird sie in der Schweiz nur noch im Tessin angebaut, allerdings auch hier meist in Gewächshäusern, denn die Aubergine verzeiht keine Kälteschocks.

Auberginen im Tomaten-Look
Im Hinterland des Genfersees ist auch die Familie Zollinger beheimatet. Ursprünglich aus dem Thurgau, haben die auf Bio-Saatgut spezialisierten Samenzüchter ihr Unternehmen vor 25 Jahren hierhin verlegt. Mittlerweile ist die zweite Generation mit Tulipan, Til und Tizian Zollinger am Ruder. Im Auftrag des Bundesamts für Landwirtschaft (BLW) widmen die drei Brüder der Aubergine heuer ein spezielles Experiment. Im vergangenen Jahr hatten sie ziemlich jeden in der Schweiz angeschrieben, der mit der Frucht etwas am Hut hat, Schrebergärtner bis Grossanbauer um Pflanzensamen gebeten, die sie im vergangenen Februar aussäten. Das Resultat kann sich sehen lassen: Nicht weniger als 42 verschiedene Aubergine-Arten sind im Versuchsgewächshaus gediehen. Hundskommune wie die grosse Black Beauty, die wir aus dem Supermarkt kennen, winzige wie die Erbsen-Aubergine, die in indischen Currys Verwendung findet, oder runde grüne wie die robuste Bergaubergine aus Mexiko. Mitunter hat der Versuch auch sonderbare Blüten getrieben: Bambino, eine Aubergine in Miniaturausgabe, mutet an wie eine Weintraube, während die Nachbarspflanze, eine äthiopische Sorte, Früchte produziert, die das Auge mit einer Tomate verwechselt.

Der Tresor für Ernährungssicherheit
Ziel dieses Projekts sei eine Art Bestandesaufnahme, sagt Tulipan Zollinger: «Wir erfassen, welche Sorten hierzulande wachsen, und wollen wissen, was davon erhaltenswert ist.» Im Auftrag des BLW führen die Zollingers regelmässig solche Versuche durch, in den Vorjahren waren Nüsslisalat, Gurken oder Peperoni an der Reihe. Nun steht die Aubergine im Fokus: Jede aus dem Experiment hervorgegangene Sorte wird nach einer Vielzahl agronomischer Kriterien bewertet, so spielen beispielsweise die Wuchshöhe oder der Ertrag eine Rolle. Auch kulinarische Eigenschaften fallen ins Gewicht. Von Sorten, die in beiden Kategorien überzeugen, werden die Samen anschliessend in der nationalen Genbank von Agroscope in Changins eingelagert – sie gelten als erhaltenswert. Agroscope ist das Kompetenzzentrum des Bundes für landwirtschaftliche Forschung, seine Genbank ist seit 1900 in Betrieb und umfasst fast 11 000 alte und moderne Pflanzensorten in Form von Saatgut. Dieser Tresor soll sicherstellen, dass das Genmaterial wichtiger Kulturpflanzen verfügbar bleibt, der gigantische Genpool ermöglicht im Bedarfsfall aber auch effiziente Testverfahren mit hoher Stichprobenzahl, falls die Landwirtschaft mit neuen Pflanzenkrankheiten oder klimatischen Herausforderungen konfrontiert wird.

Von fruchtig bis scharf
In Geschmacksfragen ziehen die Gebrüder Zollinger gerne einen jungen Koch und alten Freund zu Rate: Benjamin Le Maguet lotet nicht nur an der offiziellen Verkostung der Auberginen das kulinarische Potenzial aller 42 Sorten aus, sondern kommt auch an diesem Morgen ins Treibhaus, um sich mit Früchten für ein nächstes Kulinarikexperiment einzudecken.

Melonga
Applegreen
Er lotet das kulinarische Potenzial der Aubergine aus: Koch Benjamin Le Maguet (Mitte), hier mit den Samenzüchtern Tulipan (links) und Tizian Zollinger.
Pourpre Longue
Orissa
Eine Sorte, die Verwirrung stiftet: Sie heisst Orange, sieht aus wie eine Tomate, ist aber ganz Aubergine.
White Sword
Ronde de Valence
«Ein Hauch von Exotik»: Benjamin Le Maguets Allerlei von der Aubergine
Rotonda Bianca Sfumata
Lao Lavender
Rotonda Bianca Sfumata di Rosa
Tavush

Im Restaurant Le Maguet in Les Evouettes, wo Benjamin Le Maguet zusammen mit seinem Vater Olivier eine innovative, auf das heimische Terroir fokussierte Küche verfolgt, sind Auberginen nun öfter auf dem Speiseplan anzutreffen. Der Jungkoch schneidet ein Exemplar vom Strauch, dessen Optik nahelegt, warum Aubergine auf Englisch eggplant heisst, also Eierfrucht: Form und Farbe erinnern an ein Frühstücksei, einzig die grüne Blattkappe lässt den Vergleich etwas hinken. «Die hier», sagt Le Maguet, «hat ein festes Fleisch mit leicht nussigem Geschmack. Ich verarbeite sie zu Chips oder Kaviar.»

Auberginen gehören, wie Kartoffeln oder Tomaten, zu den Nachtschattengewächsen. Sie enthalten Solanin, eine schwach giftige chemische Verbindung, die auch im Tomatengrün und in der Kartoffelschale vorkommt und beim Kochen grösstenteils ins Wasser übergeht. Für die Aubergine gilt wie im Fall der Kartoffel die Empfehlung, sie nicht roh zu verspeisen. Le Maguet zeigt, dass es auch für diese Regel eine Ausnahme gibt: Sie heisst Pink Lady und ist in gut sortierten Supermärkten unter der Bezeichnung Fingeraubergine anzutreffen. Mit dem Gartenmesser schneidet Le Maguet ein kleines Stück von der langen, dünnen Frucht ab und bietet es zum Probieren an – roh. Die lilafarbene Pink Lady, sagt Tulipan Zollinger, sei die früheste Sorte in unseren Breitengraden und daher von besonders zartem Geschmack. In der Tat: Die Aubergine entfaltet im Gaumen ein nahezu fruchtiges Aroma. «Die muss man nicht mal kochen», sagt Le Maguet, «nur dünn schneiden. Dann ein bisschen Zitrone, Salz und Olivenöl dran, das gibt ein wunderbares Carpaccio.» Auberginen hätten dank ihrer Sortenvielfalt grosses kulinarisches Potenzial, sagt der Koch, geschmacklich sowie als Eyecatcher auf dem Teller.

Den Sinnen einen Streich gespielt
Zwei Stunden später hat Le Maguet den Besuch aus dem Mittelland zu einer Kostprobe in sein Restaurant geladen. Während die anderen einem Geflügel den Vorzug geben, macht für die Autorin die Terrine de Féra den Auftakt. Féra ist eine Fischart aus dem Genfersee, die in diesem Fall von jungem Sommergemüse begleitet wird. Die Auberginen dürfen dabei natürlich nicht fehlen. Die rote aus Äthiopien hat ihre leuchtende Farbe beim Garen nicht eingebüsst, und während das Auge noch immer davon ausgeht, man habe es mit einer kleingewachsenen Ochsenherz-Tomate zu tun, widerlegt der Gaumen auch schon die Vermutung: Diese Frucht schmeckt weder nach Aubergine noch nach Tomate, vielmehr entfaltet sie ein leicht bitteres Aroma, und was nachhallt, ist eine süsse Schärfe, die gefällt. Die lange Pink Lady verleiht der Kreation derweil eine fruchtige Note. Der Bambino spielt den Sinnen einen Streich, weil er anmutet wie eine Traube, aber dann mit festem Fleisch auftrumpft – und einem Aroma, für das die Autorin lange den passenden Vergleich sucht. Röstkartoffeln, vielleicht? Später geht es mit einem Makrelenfilet weiter, und wieder mischt, schön integriert, die Eierfrucht mit, zeigt sich nachgiebig oder mit Biss, fungiert als Geschmacksverstärker oder in eigener Sache.

«Die Aubergine vermittelt einen Hauch Exotik, ist aber nie aufdringlich», sagt Küchenchef Olivier Le Maguet, «das gefällt mir.» Vater und Sohn Le Maguet hat das Gemeinschaftsprojekt mit den Saatgutherstellern Spass gemacht. Ein paar der neuen Früchte, die ihnen das Experiment bescherte, werden sie auch künftig auf dem Speiseplan lassen. Samenzüchter Tulipan Zollinger hofft, dass auch andere Gastronomen auf den Geschmack kommen. «Dann haben Gemüseproduzenten Grund, solche Raritäten zu fördern», sagt er. So sei eine Sorte letztlich nur langfristig überlebensfähig, wenn sie auch regelmässig angebaut werde. Dies allein stelle sicher, dass sich das Saatgut den sich verändernden Umweltbedingungen anpassen und robuste Pflanzen gedeihen lassen könne. «Damit sich Sortenvielfalt lohnt», sagt Zollinger, «müssen wir sie auf dem Teller sehen.»

Unter Profis
Gegen Jahresende wird es einen öffentlich zugänglichen Sichtungsbericht geben. Interessierte Köche und Gastronomen dürfen sich mit ihren Fragen oder Anregungen aber auch bei den Zollingers direkt melden (info@zollinger.bio).

Ein heikles Pflänzchen
Die Aubergine – aus botanischer Sicht eine Frucht – stammt ursprünglich aus Teilen Chinas und Indiens und wurde schon früh auch im Orient und im Mittelmeerraum angebaut. Ihre Verbreitung in der Schweiz verdanken wir Gastarbeitern, die sie aus ihrer südlichen Heimat mitbrachten. Die Frucht punktet nebst einer grossen Sortenvielfalt mit gesunden Inhaltsstoffen: Sie ist reich an den Mineralstoffen Kalium, Kupfer und Mangan sowie an den Vitaminen B1, B2 und C. Für den Anbau im Privatgarten sind Auberginen nur bedingt geeignet. «Es sind aufwendige, anspruchsvolle Kulturen», sagt Samenzüchter Tulipan Zollinger. «Sie vertragen weder Kälte noch zu viel Feuchtigkeit.» Wer kein Gewächshaus habe, komme nicht weit, auch Geduld sei gefragt, denn von der Aussaat der Pflanzen im Februar bis zur Ernte im August sei viel Pflege nötig. «Hobbygärtner ohne viel Erfahrung», rät Zollinger, «beginnen lieber mit anderen Gewächsen.»



Seite teilen

Bleiben Sie auf dem Laufenden – mit dem kostenlosen Newsletter aus der Salz & Pfeffer-Redaktion.

Salz & Pfeffer cigar gourmesse