Fabelhafte Flüssigkeit

Blosser Abschaum? Im Gegenteil: Das Kochwasser von Hülsenfrüchten erfüllt die süssen Träume der veganen Welt. Und auch die klassische Gastronomie könnte profitieren.
Text: Simone Knittel – Foto: Chris_tina – Shutterstock.com
Veröffentlicht: 16.11.2021 | Aus: Salz & Pfeffer 6/2021

«Je mehr Oberfläche mit dem Wasser reagieren kann, desto besser.»

Als Entdecker von Aquafaba gilt ein Amerikaner. Der Softwareingenieur postete 2015 ein Bild auf Facebook, das zur Sensation werden sollte: Es zeigte eine vegane Meringue. Statt Eiweiss hatte er die Flüssigkeit aus einer Kichererbsendose schaumig geschlagen und im Ofen gebacken. Die Entdeckung eroberte die vegane Welt im Sturm. Endlich wurde für Veganer möglich, was ihnen bisher verwehrt geblieben war. Luftige Baisers, bunte Marshmallows und zarte Mousses waren nun auch ohne Ei eine Option.

Was darob ganz vergessen ging: Das Bohnenwasser als Ei-Ersatz kannte man im europäischen Raum bereits im 19. Jahrhundert. Zu Schaum aufgeschlagen, bereicherte es unter dem Namen «falscher Eischnee» die Küche der armen Leute. Mit der schieren Flut an veganen Rezepten, in denen Aquafaba eine Rolle spielt, verschwand der «falsche Eischnee» indes in den Tiefen des Internets.

Grund für die wundersame Verwandlung von Bohnenwasser in eleganten Schaum sind Proteine. Sie gehen während des Kochens der Hülsenfrüchte ins Wasser über und bringen nützliche biochemische Eigenschaften mit. Ist ihre Konzentration genug hoch, kann das Wasser nach dem Kochen als Bindemittel, Emulgator oder eben Schäumer verwendet werden.

Thomas Vilgis, Physiker am Max-Planck-Institut für Polymerforschung, befasst sich beruflich mit Schäumen und verarbeitet auch zu Hause oft und gerne Hülsenfrüchte. Aquafaba besteht in seiner Küche aber nicht etwa nur aus dem Kochwasser von Kichererbsen. Auch jenes von grünen Linsen, von schwarzen Bohnen oder von gelben Erbsen enthält die gefragten Proteine. Mit Letzteren funktioniert der Prozess laut Vilgis besonders gut, da die Erbsen oft gespalten sind: «Je mehr Oberfläche mit dem Wasser reagieren kann, desto besser.»

Auch Vegikoch und Rezeptentwickler Pascal Haag tüftelt mit Aquafaba, das er selbst herstellt. Er empfiehlt Köchen, sich nach und nach ans Thema heranzutasten. «Das Kochwasser sollte sehr dickflüssig und ganz abgekühlt sein. So lässt es sich gut verarbeiten», erklärt er. Wer im Gebrauch geübt ist, dem steht die Welt von Aquafaba offen: Luftige Gebäcke, feuchte Kuchen, cremige Glacen, feine Mayonnaise, Dressings, Saucen und sogar Cocktails lassen sich herstellen.

Haag, der auch Gastronomiebetriebe berät, sieht im veganen Ei-Ersatz eine Menge Potenzial: «Gastronomen können mit demselben Gericht ein breites Publikum ansprechen», sagt er. «So haben sie beispielsweise ein Dessert, das Gäste mit unterschiedlichen Ernährungsphilosophien gleichermassen überzeugt.» Das Bohnenkochwasser zu verwerten statt wegzuschütten, sei auch aus Gründen der Nachhaltigkeit sinnvoll.

Die Pionierin der veganen Küche in der Schweiz, Lauren Wildbolz, verarbeitete Bohnenkochwasser schon vor seiner Wiederentdeckung 2015. Sie sieht sein Einsatzgebiet vor allem beim Dessert. Selbst arbeitet sie aktuell an Kubo, einem glutenfreien, veganen Kuchen für Gastronomen, der sich einfrieren lässt. Sie ist überzeugt: «Vielen Restaurants fehlt es an spannenden Desserts. Oftmals stehen Industrieeis und Fruchtsalat auf der Karte. Es gibt aber noch viel Platz für frische Ideen.»

Abseits der veganen Küche ist Aquafaba noch wenig verbreitet. Doch das könnte sich ändern, schliesslich sind Hülsenfrüchte auch in der Schweiz generell wieder auf dem Vormarsch – ob als Snack, Beilage, Fleischersatz oder Salat. Und zwar wissen erst wenige, dass ihr Kochwasser nicht im Abfluss landen muss, aber es wäre nicht das erste Mal, dass die wundersamen Eigenschaften der Bohne vergessen gingen – und ein Comeback feierten.

Ersatz fürs Hühnerei
Aquafaba bezeichnet das dickflüssige Kochwasser oder die Konservenflüssigkeit von Hülsenfrüchten. Der Name leitet sich aus dem Lateinischen ab (von aqua für Wasser und faba für Bohne). Dank seiner biochemischen Zusammensetzung hat Aquafaba ähnliche Kocheigenschaften wie das Hühnerei. Es kann wie Eiweiss zu Schnee aufgeschlagen, aber auch als Eigelb-Ersatz verwendet werden. Sein Eigengeschmack nach Hülsenfrüchten ist dezent und verschwindet in der Regel im Laufe der Verarbeitung.



Seite teilen

Bleiben Sie auf dem Laufenden – mit dem kostenlosen Newsletter aus der Salz & Pfeffer-Redaktion.

Salz & Pfeffer cigar gourmesse