Vom guten Thon

Thunfisch ist in der Gastronomie – nicht nur in Form von Sushi und Sashimi – ein unbestrittener Verkaufsschlager. Weniger Einigkeit herrscht in der Gewissensfrage.
Text: Delia Bachmann – Fotos: Njazi Nivokazi
Veröffentlicht: 15.11.2017 | Aus: Salz & Pfeffer 8/2017

«Labels wie MSC sind das Beste, was der Markt hergibt.»

Für sein dunkelrotes Fleisch wird der Thunfisch weltweit geliebt und gejagt. Zu verdanken hat er es seinem aussergewöhnlichen Lebensstil: Solange der Raubfisch in Bewegung ist, strömt sauerstoffreiches Wasser durch seine Kiemen. Stillstand – und wenn nur zum Schlafen – bedeutet für ihn den sicheren Erstickungstod. Sein grosses Herz pumpt massenhaft Blut durch dicht verästelte Gefässe in die Muskeln. Als einziger Warmblüter unter den Fischen kann er seine Temperatur bis zu zehn Grad über jener des Wassers halten.

Nicht immer war der Thon so beliebt wie heute: Bis zum Zweiten Weltkrieg verschmähten die Japaner den Fisch wegen seines roten Fleisches als Arme-Leute-Essen. Heute bezahlen sie dafür Rekordpreise. Rund zwei Drittel des globalen Fangs gehen ins Land der aufgehenden Sonne, werden zu Sashimi zerlegt, zu Maki gerollt oder in eine Konserve verschweisst. Insgesamt landen 80 Prozent der globalen Fangmenge in einer Blechbüchse. Mit der Sushi-Welle gewann der Thunfisch auch in der Schweiz an Popularität, 2016 wurden etwas über 300 Tonnen an frischem und gefrorenem Thon importiert.

Viel ist das im internationalen Vergleich noch immer nicht, und das ist auch gut so: Immerhin gelten sechs von acht Thunfischarten als gefährdet, allen voran der Blauflossenthun. Schweizer Fischhändler führen indes fast nur Gelbflossenthun im Sortiment. Dennoch bleibt die Frage: Darf man Thon heutzutage überhaupt noch mit gutem Gewissen servieren?

«Absolut», sagt Comestibleshändler und Fischexperte Arne van Grondel von der Fideco AG in Murten. Allerdings komme es sehr darauf an, woher das Produkt stamme. «In den Weltmeeren gibt es zahlreiche Populationen von Gelbflossenthunfischen; einige sind gefährdet, andere nicht.» Im Mittelmeer etwa seien die Bestände stark bedroht, in Vietnam hingegen stabil und mit dem Label des Marine Stewardship Council (MSC) zertifiziert. Wie vertrauenswürdig solche Zertifikate sind, darüber scheiden sich die Geister. «Labels wie MSC sind das Beste, was der Markt hergibt», sagt beispielsweise Mike Berchtold von der Braschler’s Comestibles Import AG. «Gäbe es etwas Restriktiveres, würden wir wechseln.» Fischhändler Giulio Bianchi von der Bianchi AG hingegen ist der Meinung, ein MSC-zertifizierter Thon biete «ausreichend Sicherheit».

Hierzulande wird das Fleisch des Thunfischs bevorzugt kurz angebraten, dünn aufgeschnitten, im Sesammantel, als Tatar, als Sushi, Sashimi – oder trendig in der Poké Bowl – serviert. Die Begeisterung für die fetten Toro-Stücke vom Bauch, deren feine Maserung an Wagyu erinnert und die auf der Zunge förmlich zergehen, ist hingegen (noch) nicht in die Schweiz übergeschwappt. Markus Imboden, Küchenchef im Zürcher Restaurant Metropol, versuchte die Gäste im Frühling mit einer Eventreihe auf den Geschmack zu bringen – mit mässigem Erfolg: «Nur rund 50 Prozent der Gäste fanden Gefallen daran.»

Der Schweizer bevorzugt das rote, vergleichsweise magere Rückenfleisch. Besonders beliebt sind die Mittelstücke der Filets, die breiter und weniger sehnig sind als das Fleisch in der Nähe der Schwanzflosse. Ein Grossteil des Thunfischs (bei der Braschler’s Comestibles Import AG sind es rund 70 Prozent) ist für den Rohkonsum bestimmt oder wird nur kurz angebraten. Imboden nimmt die strengen Regeln der Hygieneverordnung – der Fisch muss während mindestens 24 Stunden bei minus 20 Grad oder für mindestens 15 Stunden bei minus 35 Grad gefroren sein – gern in Kauf: «Ich würde Thon nie durchbraten.»

Gerade weil Thunfisch häufig roh konsumiert wird, ist die Qualitätskontrolle besonders wichtig. Im Gasthof Krone im luzernischen Blatten etwa prüft Küchenchef Mario Waldispühl die Temperatur und schaut, ob der Fisch schon einmal aufgetaut war. «Das wichtigste Merkmal aber ist die Farbe», sagt er. Liegt der frische Thon länger an der Luft, kippt sein intensives Weinrot in ein gräuliches Braun. Umkehren lässt sich das nur noch mit illegalen Methoden. Deshalb sollte Thunfisch nach dem Fang möglichst schnell eingefroren werden.

Besonders vielsprechend ist diesbezüglich das Superfrozen-Verfahren, das etwa die Zulieferer der 2012 gegründeten Joii Sushi Group vor der koreanischen Küste anwenden: Pro Boot holen die fünf Fischereien täglich 15 bis 20 Gelbflossenthune aus dem Wasser. Diese werden nach der Ike-Jime-Methode getötet und innert einer Stunde bei minus 60 Grad schockgefroren. Bei dieser Temperatur gefriert die gesamte Flüssigkeit in den Zellen, die Zeit bleibt quasi stehen und die Lebensmittel können ohne Qualitätsverlust transportiert und gelagert werden.

Durch das schnelle Einfrieren bilden sich viele kleine Eiskristalle, welche die Fleischstruktur beim Auftauen weniger beschädigen als grosse. Mit dem Containerschiff gelangen die Fische ins Tiefkühlhaus im französischen Boulogne-sur-Mer und von dort aus in die Küchen der grossen Sushiketten Europas. Gemäss eigenen Angaben beliefert die britische Joii Sushi Group 90 Prozent des europäischen Marktes mit Superfrozen-Thunfisch in Sashimi-Qualität. Auch in der Schweiz bewegt sich der Trend weg von frischem Thun hin zu gefrorenem.

«In den letzten zwölf Monaten hat jeder zweite Kunde von frischem auf gefrorenen Thon umgestellt», sagt beispielsweise Giulio Bianchi. Der gefrorene Thunfisch, meist in Form von für die Sushiküche geeigneten Saku-Blöcken, mache bei seiner Firma zurzeit etwa 30 Prozent aus. Auch die Dörig & Brandl AG verfügt über einen Tiefkühler, der auf minus 60 Grad runterkühlt: «Wir importieren rund 90 Prozent frisch, die Hälfte davon frieren wir auf Kundenwunsch ein», sagt Geschäftsführer Andreas Altorfer.

Mike Berchtold beobachtet zwar ebenfalls einen Rückgang beim frischen Thunfisch, jedoch keine Zunahme beim Superfrozen. Gefragt seien vor allem vorgeschnittene und tiefgekühlte Convenience-Produkte. Einiges verspricht sich Berchtold auch von einer neuen und legalen Methode zur Konservierung der Farbe. Dabei wird die Oberfläche des Thunfleisches mit einer Kochsalzlösung behandelt.

Generell zeigen sich Profiköche vom Superfrozen-Thon angetan: «In Blinddegustationen schnitt er am besten ab», sagt zum Beispiel Küchenchef Waldispühl. «Zudem bevorzuge ich Fisch, der nur einmal gefroren wurde.» Auch bei der zweitgrössten Schweizer Sushikette Negishi machte man gute Erfahrungen damit: Daniel Wiesner, COO der Fredy Wiesner Gastronomie AG, lobt die bessere und konstantere Qualität von Superfrozen-Thon, aus Nachhaltigkeitsgründen will er trotzdem keine neuen Sushi mit dem Fisch mehr anbieten. Denn, so ist er überzeugt: «Heute ist kein Thunfisch mehr wirklich super.»

Acht Arten und ein Verwandter
Weltweit werden aktuell jährlich rund fünf Millionen Tonnen Thunfisch gefangen. Damit seien die meisten Bestände voll ausgeschöpft, wenn nicht überfischt, moniert der WWF Schweiz. Wie andere Umweltschutzorganisationen auch rät er tendenziell davon ab, Thon zu konsumieren. Wer darauf nicht verzichten mag, dem empfiehlt er nachdrücklich, Fisch aus nachhaltigen Quellen zu verzehren. Dafür lohnt es sich, einschlägige Labels und Zertifikate zu beachten, aber auch, sich selber einen Überblick über die Arten und deren Status zu verschaffen.

Die acht eigentlichen Thunfischarten werden an dieser Stelle mit dem Echten Bonito ergänzt. Er ist ein naher Verwandter und die als «Thon» vermarktete Art mit der fast grössten wirtschaftlichen Bedeutung: frisch, vor allem aber als Konserve sowie in Form von getrockneten Fischflocken.

Internationale Rote Liste der Weltnaturschutzunion

Vom Aussterben bedroht
- Südlicher Blauflossenthun (Thunnus maccoyii)

Stark gefährdet
- Roter Thun (Thunnus thynnus, auch Grosser Thun, Nordatlantischer Thun oder Blauflossenthun)

Gefährdet
- Nordpazifischer Blauflossenthun (Thunnus orientalis)
- Grossaugenthun (Thunnus obesus)

Gering gefährdet
- Weisser Thun (Thunnus alalunga, auch Langflossenthun)
- Gelbflossenthun (Thunnus albacares)

Nicht gefährdet
- Schwarzflossenthun (Thunnus atlanticus)
- Echter Bonito (Katsuwonus pelamis, auch Skipjack-Thun)

Nicht genug Daten vorhanden
- Langschwanzthun (Thunnus tonggol)

Ike Jime
Die japanische Ike-Jime-Technik gilt als eine der humansten Methoden, um einen Fisch zu töten. Ein gezielter Stich ins Gehirn – und es ist vorbei. Von dem, was kommt, kriegt der Fisch nichts mehr mit: Mit einem bei den Kiemen angesetzten Schnitt werden Herzarterie und Rückenmark durchtrennt. Ein Schnitt kurz vor dem Schwanz legt den Rückenmarkkanal frei, durch den ein fester Draht gestossen wird. Da so keine Nervensignale mehr in die Muskeln gelangen können und sich keine Stresshormone bilden, wird die Totenstarre hinausgezögert, der Fisch kann gründlich ausbluten. Ike Jime ist zwar aufwendiger als herkömmliche Tötungsmethoden, bringt aber eine deutlich bessere Fleischqualität hervor. Zum einen entstehen keine Milchsäuren, die der Farbe und Textur des Fleisches schaden, zum anderen verhindert das gründliche Ausbluten den unerwünschten tranigen Fischgeschmack.

Falsche Farbe
Das wichtigste Kaufkriterium beim Thunfisch ist eine tiefrote Farbe. Das Rückfärben von Thunfisch ist deshalb lukrativ, aber sowohl in der EU als auch in der Schweiz verboten. Es existieren diverse Methoden, um das Fleisch des Thons einzufärben, die alle beim Myoglobin ansetzen. Das Muskelprotein versorgt die Zellen mit Sauerstoff, der dem Fleisch die rote Farbe verleiht – und wieder nimmt, ist der Fisch einmal tot. Bekannt ist die Behandlung mit Kohlenmonoxid. Das geruchlose Gas verwandelt trübes Braun in ein helles Rot, das ans Fruchtfleisch einer Wassermelone erinnert. Raffinierter sind neuere Tricks zum Umröten, etwa das Einspritzen von nitrit- und nitrathaltigen Pflanzenextrakten. Werden diese mit Antioxidantien kombiniert, können sie selbst im Labor nicht mehr nachgewiesen werden. «Uns wurden schon verdächtige Muster aus Spanien zugeschickt, die aussahen, als hätten sie im Randensaft gelegen», sagt Andreas Altorfer. Von seinen Lieferanten verlangt der Geschäftsführer von Dörig & Brandl deshalb genaue Spezifikationen. Dass Chargen von illegal nachgefärbtem Thunfisch in der Schweiz zirkulieren, hält er aber durchaus für möglich.



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