Bergbauer mit Biss
Er hat nicht die grössten Kartoffeln, aber vielleicht die besten: Zumindest sehen das rund 70 Schweizer (Spitzen-)Köche so. Die Geschichte von Landwirt Marcel Heinrich ist beispiellos.
«Immerhin ist sie die Urbohne der Schweiz. Auch wenn das fast keiner mehr weiss.»
Jede Bohne wächst auf einem Acker. Was also soll an der Ackerbohne so besonders sein? Dass es auf diese Frage mehr als eine gute Antwort gibt, weiss Marcel Heinrich. Der Biolandwirt, der mit seinen Bergkartoffeln aus dem Albulatal eine beispiellose Erfolgsgeschichte schrieb, will nun der alten Bohnensorte zu mehr Beachtung verhelfen. Er schwärmt von der Schönheit der blühenden Pflanze, preist ihre Widerstandskraft und ihre Fähigkeit, Stickstoff im Boden zu binden. «Die Ackerbohne hat was», sagt der Bergbauer, «und es ist höchste Zeit, dass sie zurück auf den Teller kommt.» Dafür sei er bereit, Pionierarbeit zu leisten. «Auch wenn das ein Chrampf ist.»
Heinrichs Lobrede auf die Ackerbohne hören an diesem Februarmorgen knapp 20 Leute, die sich in der Maismühle Landolt in Näfels versammelt haben, um den kulinarischen Wert der Hülsenfrucht zu erörtern. Vertreter von Pro Specie Rara (PSR), von Bio Grischun und vom Forschungsinstitut für biologischen Landbau (Fibl) sind da, aber auch Köche wie Sven Wassmer, Pascal Haag und Hansjörg Ladurner sowie für ihre Innovationskraft bekannte Produzenten wie Patrick Marxer, Martin «Flo» Bienert oder die Hospezi-Begründer Ursi und Christian Weber. Das Interesse an der Ackerbohne ist gross, die Anbauversuche entwickeln sich gut. 2019 erntete Heinrich 600 Kilo.
Ein wichtiger Grund, warum es für die Initianten sinnvoll ist, den Anbau der Ackerbohne in der Schweiz zu beleben, ist deren Eigenschaft, am Berg besser zu gedeihen als im Flachland: Im Gegensatz zu Stangen-, Busch-oder Feuerbohnen kommt sie mit Temperaturen von bis zu minus vier Grad zurecht und wächst auch auf 1200 Meter über Meer. «Die Bauern in Berggebieten sollten sie in der Fruchtfolge unbedingt anbauen», weibelt Heinrich. «Auch weil sie eben Stickstoff bindet und für die Nachfolgekultur verfügbar macht.» Und: Anders als im Mittelland verursachen Schädlinge wie Blattläuse oder Bohnenkäfer in der Höhe keine Probleme. Beim Fibl ist man vom Potenzial der Ackerbohne in der Alpenregion ebenfalls überzeugt, wie Daniel Böhler sagt. Er begleitet Heinrichs Anbauversuch in Filisur und erzählt von den Proben, die er zuletzt nahm: «Ich war überrascht, wie gesund die Ackerbohne hier aussieht.»
Das soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Unterfangen seine Tücken hat. Der Start sei chaotisch gewesen, erinnert sich Heinrich, der 2015 die ersten drei Säckchen Bohnen erhielt und «mit mässigem Ertrag» kultivierte. Das Jäten von Hand macht Mühe, bei der Ernte mit dem Mähdrescher bleibt zu viel auf dem Feld zurück: «Daran müssen wir arbeiten.» Auch Philipp Holzherr von Pro Specie Rara spricht von Hürden. 2011 begann die Stiftung, unterstützt vom Bundesamt für Landwirtschaft, mit ersten Anbauversuchen und Verkostungen. Dann galt es, genug Saatgut anzuhäufen. «Es war ein mühseliger Prozess», so der Bereichsleiter. «Aus einer Handvoll noch vorhandener Bohnen gewisser Sorten konnte man nach dem ersten Jahr zum Teil gerade mal die zwei- oder dreifache Menge ernten.» Nichtsdestotrotz ging das Ackerbohnenprojekt, das Holzherr betreut, Anfang 2019 bereits in die dritte (jeweils vierjährige) Phase.
In dessen Rahmen haben die Initianten den Punkt erreicht, an dem es um die kulinarischen Aspekte der Ackerbohne geht. Tatsächlich findet man die Hülsenfrucht mit nussigem Aroma im vorderen Orient, aber auch in Italien hin und wieder auf dem Teller: als Snack, im Salat, als Mezze. Hierzulande kennt man sie maximal als Futtermittel fürs Vieh. Vom Speiseplan der Schweizer verschwand die Ackerbohne, als sich die Kartoffel und die Gartenbohne etablierten. Noch bis ins 19. Jahrhundert hinein kam sie als «Choscht»-und Bohnensuppe allerdings fast täglich auf den Tisch und galt als wichtigste Hülsenfrucht. Die Samen wurden getrocknet und für Eintöpfe verwendet, die Bohnen roh, gedörrt oder geräuchert gegessen und in gemahlener Form ins Roggen- oder Gerstenmehl fürs Brot gemischt. In Frankreich hat das heute noch Tradition: Ackerbohnen-gehört ins Baguettemehl, weil es für eine schöne Kruste sorgt.
In diese Richtung gehen auch die Visionen der hiesigen Ackerbohnen-Verfechter: Dass sie sich in einer Mühle treffen, ist also kein Zufall. Im Auftrag von Heinrich und Konsorten vermahlte Hanspeter Kürschner, der die Demeter-Mühle in Näfels betreibt, einen Grossteil des letztjährigen Ertrags zu Mehl und Griess. Die Steinmühle habe sich bewährt, erzählt er. «Erst brechen wir den Kern beim Schroten in vier bis fünf Bestandteile auf, sodass sich die Schale löst und wir diese rausfiltern können. Dann mahlen wir.» Tatsächlich ist die Schale der Knackpunkt der Ackerbohne: Sie ist aussergewöhnlich hart. «Dafür ist die Schicht vergleichsweise dünn», so Kürschner: «Der Anteil beträgt fünf bis zehn Prozent, im Vergleich zu bis zu einem Fünftel bei Getreiden.»
Die Gastronomen, die dem Ackerbohnen-Treffen beiwohnen, entpuppen sich für den Müller als dankbare Abnehmer: Mehl und Griess wechseln sackweise den Besitzer. Auch Spitzenkoch Sven Wassmer vom Memories in Bad Ragaz will die Produkte testen: «Schweizer Hülsenfrüchte sind generell ein Thema», sagt er. «Und die Ackerbohne bringt eine Geschichte aus dem alpinen Raum mit, das interessiert mich.» Auch Hansjörg Ladurner, Küchenchef im Scalottas Terroir in Lenzerheide, sieht im Storytelling Potenzial: «Über die Ackerbohne kann man einiges erzählen», sagt er, der sich – mit Unterstützung von Bauer Heinrich – selbst im Anbau versucht und letztes Jahr 60 Kilo erntete. «Aber die Schale, die ist wirklich hart.»
Das Thema beschäftigt die Runde auch, als Vegikoch Pascal Haag verschiedene Gerichte zum Verkosten reicht: von der simpel gekochten Bohne, um ein Gefühl für die Konsistenz zu bekommen, über Eintopf und Püree bis hin zu Brot, Farinata und einer in Ackerbohnengriess gewendeten Krokette aus Ackerbohnenmehl. «Das Produkt bietet diverse Möglichkeiten», befindet Haag. Auch er plädiert allerdings stark dafür, die Hülsenfrucht dereinst geschält auf den Markt zu bringen. «Insbesondere für die Gastronomie: Es würde die Arbeit massiv erleichtern.»
Wie vielfältig die Ackerbohne in der Küche zum Einsatz kommen kann, zeigt sich in den Gesprächen während der Degustation. Grundsätzlich gilt: Was mit Kichererbsen funktioniert, geht auch mit heimischen Ackerbohnen. Patrick Marxer von Das Pure verwendet die Bohne für seine Miso und ortet beispielsweise in der veganen Küche als Aquafaba Potenzial: Das dickflüssige Kochwasser lässt sich wie Eiweiss aufschlagen und bleibt stabil. Die Bündner Biobergbäuerin Séverine Curiger, die unter anderem Frischkäse herstellt, sucht – wie auch Haag – noch nach dem richtigen Dreh, um aus der Ackerbohne Tofu zu machen. «Bislang bin ich gescheitert, ich bleibe aber dran», sagt sie.
Das ist an diesem Tag in Näfels denn auch der Tenor: Allen Hürden zum Trotz ist die Zeit für die Ackerbohne reif. «Immerhin ist sie die Urbohne der Schweiz», sagt PSR-Bereichsleiter Holzherr. «Auch wenn das fast keiner mehr weiss.»
Hülsenfrucht mit Historie
Die Ackerbohne, lateinisch Vicia faba und umgangssprachlich auch Pferde-, Puff- oder Saubohne genannt, stammt vermutlich aus dem Nahen Osten. Die ältesten Funde gehen zirka aufs Jahr 6500 vor Christus zurück. Via Mittelmeerraum und über die Alpen gelangte die Bohne um 1000 vor Christus in die Schweiz. Hier galt sie vom Mittelalter bis ins 19. Jahrhundert als wichtigste Hülsenfrucht und Hauptnahrungsmittel. Die Verdrängung durch die Kartoffel und die Gartenbohne überlebten gerade mal 20 Sorten, vorwiegend im alpinen Raum des Landes.
Die Ackerbohne schmeckt nicht nur sehr aromatisch und nussig, sondern verfügt über eine Reihe wertvoller Eigenschaften, die auch aus gesundheitlicher Sicht für ihren Verzehr sprechen: Sie enthält 25 bis 30 Prozent Protein sowie wichtige Mineralstoffe und hat einen niedrigen glykämischen Index, lässt den Blutzucker also langsam steigen. Einer ihrer Inhaltsstoffe (L-Dopa) wird zur Behandlung von Parkinson-Patienten eingesetzt, und Experimente legen nahe, dass sich der Konsum von Ackerbohnen ebenfalls positiv auswirkt. Allerdings leidet rund ein Prozent der Europäer genetisch bedingt am sogenannten Favismus: Sie können heftig reagieren, wenn sie Ackerbohnen essen oder deren Blütenstaub einatmen.
Kostproben für Köche
Aktuell ist noch ein kleiner Vorrat Ackerbohnenmehl im Laden der Maismühle Landolt in Näfels verfügbar (der Griess ist bereits weg). Interessierte Köche erhalten das Mehl dort für fünf Franken pro Kilo. Auch im Hofladen von Marcel Heinrich in Filisur sollen bald ein paar Säcke zum Verkauf bereitstehen.