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Der CafĂ© crĂšme ist das meistverkaufte KaffeegetrĂ€nk in der Schweizer Gastronomie. Wie man ihn richtig brĂŒht, weiss trotzdem keiner so recht.
Text: Sarah Kohler – Fotos: Jürg Waldmeier
Veröffentlicht: 27.03.2017
Gut.
Schlecht.

«Eine vollautomatische Maschine, die gut konfiguriert ist, macht den besseren Kaffee als eine halbautomatische, die von einem ungeschulten Mitarbeiter misshandelt wird.»

Dass der CafĂ© crĂšme heisst, wie er heisst, liegt am Kaffeerahm, der mitserviert wird. So weit, so klar? Mitnichten. TatsĂ€chlich rĂŒhrt die Bezeichnung von der feinen Crema her, die der CafĂ© crĂšme aufweist und ihn von seinem VorgĂ€nger, dem Filterkaffee, unterscheidet. Und schon sind wir mittendrin im Verwirrspiel ums meistverkaufte KaffeegetrĂ€nk der Schweizer Gastronomie. Denn wie die meisten nicht wissen, woher der Name kommt, so hat auch kaum einer eine Ahnung, was einen guten CafĂ© crĂšme von einem schlechten unterscheidet.

Das will Benjamin Hohlmann schleunigst Ă€ndern. Der GeschĂ€ftsfĂŒhrer der Kaffeemacher GmbH mit Sitz in MĂŒnchenstein ist ein glĂŒhender Verfechter des (gut gebrĂŒhten) CafĂ© crĂšme und hat es sich zur Aufgabe gemacht, die QualitĂ€tsdiskussion zu lancieren. Seine Grundannahme: Wir trinken viel zu oft viel zu schlecht gemachten CafĂ© crĂšme – obschon dieser als MassengetrĂ€nk grosses Potenzial hat, gerade in der Schweiz, die in der Herstellung von vollautomatischen Kaffeemaschinen den Weltmarkt anfĂŒhrt. Und deren Geschichte ist untrennbar mit jener des CafĂ© crĂšme verknĂŒpft. Wir schreiten zur Bestandsaufnahme.

In den meisten Schweizer Gastronomiebetrieben steht heute ein Vollautomat. Die halbautomatischen SiebtrĂ€germaschinen, die hauptsĂ€chlich aus Italien stammen und sich hier Ende der Neunzigerjahre etablierten, sind in der Unterzahl, gelten dafĂŒr aber als Inbegriff von Espresso und hochwertiger Kaffeekultur. Doch so einfach ist es nicht, sagt Hohlmann: «Eine vollautomatische Maschine, die gut konfiguriert ist, macht den besseren Kaffee als eine halbautomatische, die von einem ungeschulten Mitarbeiter misshandelt wird.» Nun achtet aber kaum ein Gast beim Betreten des Restaurants auf die Kaffeemaschine – und passt seine Bestellung der Infrastruktur an. Nein, er ordert seinen CafĂ© crĂšme auch dann, wenn mit einer SiebtrĂ€germaschine gearbeitet wird, deren Zeichen alle auf Espresso stehen. Damit konfrontiert, improvisierte die Schweizer Gastronomie mit dem «Lungo». Hohlmann schĂŒttelts, wenn er nur daran denkt: «Man presst einfach so viel Wasser durch den fĂŒr den Espresso fein gemahlenen Kaffee, bis die Tasse voll ist.» Die höhere Wassermenge bewirkt eine Überextraktion: Der Kaffee ist nicht nur wĂ€ssrig, sondern schmeckt auch bitter. Hohlmann demonstriert in seinem Schulungsraum in MĂŒnchenstein, was er meint, und bereitet uns nach allen Regeln der Kunst einen schlechten Lungo zu. Schon die Crema verheisse nichts Gutes, sagt er und zeigt auf die hellen Stellen: Die Blondphase hat eingesetzt – ein Zeichen massiver Überextraktion. Und so schmeckt das Resultat dann: schrecklich. Und leider auch schrecklich vertraut.

Immerhin, beschwichtigt Hohlmann, habe man erkannt, dass das nicht funktioniere mit dem Lungo. «Deshalb betreiben immer mehr Gastronomen ihre Espressomaschine mit einer zweiten MĂŒhle, die die Bohnen fĂŒr den CafĂ© crĂšme gröber mahlt.» Das gröbere Mahlgut reduziert die prozentuale Auslösung (unter anderem der Bitterstoffe) aus der Bohne.

Der CafĂ© crĂšme gilt als meistverkauftes KaffeegetrĂ€nk und Umsatzbringer in der Schweizer Gastronomie. Obschon konkrete Zahlen fehlen, machen die SchĂ€tzungen einen verlĂ€sslichen Eindruck. So hat eine Erhebung von Cafetiersuisse, die sowohl RĂŒckmeldungen von Röstern und Kaffeemaschinenherstellern als auch von Verbandsmitgliedern umfasst, ergeben, dass es sich im Jahr 2015 im Schnitt bei mindestens jedem dritten in der Deutschschweizer Gastronomie verkauften KaffeegetrĂ€nk um einen CafĂ© crĂšme handelte. Der Rest verteilt sich auf Espresso, Cappuccino sowie in kleineren Anteilen auf Filterkaffee und weitere KaffeemilchmischgetrĂ€nke. Cafetiersuisse-GeschĂ€ftsfĂŒhrer Julian Graf schĂ€tzt, dass die Gewichtung des CafĂ© crĂšme im Segment der klassischen Schweizer Gastronomie gar noch höher liegt: «Da sind wir wohl eher bei 50 Prozent.» Entsprechend schwer wiegt das Thema fĂŒr den Verband. «Oft wird ĂŒber die Spitze gesprochen, ĂŒber die Betriebe, die Trends setzen. Wir reprĂ€sentieren aber auch die breite Masse, und fĂŒr die ist der CafĂ© crĂšme sehr relevant.» Dass sich Cafetiersuisse neben den betriebsökonomischen Aspekten zunehmend auch der qualitativen Diskussion widmet, trifft sich gut. Der Austausch – unter anderem mit Hohlmann – lĂ€uft.

In MĂŒnchenstein lĂ€sst dieser den schlechten Lungo nicht auf sich sitzen und bereitet einen zweiten CafĂ© crĂšme zu – einen guten, bei dem er die StĂ€rke hochfĂ€hrt und die Extraktion in einem vernĂŒnftigen Rahmen hĂ€lt. DafĂŒr braucht er nicht nur gröber gemahlenes Pulver, sondern vor allem mehr davon. Das ist langfristig ein Kostenfaktor, aber fĂŒr Hohlmann ein Muss: «An ein paar Gramm mehr pro Tasse fĂŒhrt kein Weg vorbei.» Das Resultat gibt ihm recht: Den Kaffee ziert ein gedecktes SchĂ€umchen, er hat mehr Körper und Volumen – und er setzt sich im MundgefĂŒhl klar vom Filterkaffee ab. So schön also kann CafĂ© crĂšme sein.

Und doch scheint der Konsument kaum AnsprĂŒche an ihn zu stellen. Warum, fragen wir uns, lĂ€sst der qualitĂ€tsverliebte Schweizer im Alltag auch eine bittere BrĂŒhe als CafĂ© crĂšme durchgehen? Das liege, sagt Hohlmann, hauptsĂ€chlich am mitservierten Rahm. «Der CafĂ© crĂšme trĂ€gt in seinem Namen schon seine Gegenmassnahme.» Kaffeerahm gleicht Bitterkeit und SĂ€ure aus und trĂ€gt zu einem vollen, viskosen GetrĂ€nk bei. Diese Eigenschaft erkannte man schon frĂŒh – als die vollautomatische Kaffeemaschine den Markt zu erobern begann.

«Wir trinken viel zu oft viel zu schlecht gebrühten Café crème»: Benjamin Hohlmann lanciert die Qualitätsdebatte.
Was einen guten Café crème von einem schlechten unterscheidet, sieht man auf den ersten Blick.

Das erste Patent wurde 1954 in Italien angemeldet, wobei die Idee dort keinen Erfolg feierte und es schliesslich Schweizer waren, die dafĂŒr sorgten, dass die Erfindung reĂŒssierte. Die ersten Maschinen fĂŒr die Gastronomie wurden in den Siebzigerjahren entwickelt, richtig Aufwind bekam der Vollautomat aber 1985, als an der Muba das erste GerĂ€t fĂŒr den Heimgebrauch prĂ€sentiert wurde. Damals trank der Schweizer vornehmlich Filterkaffee. Aus den Ferien in Italien kannte er den Espresso, der ihm in dieser AusprĂ€gung aber zu stark war. Da kam das, was auf Knopfdruck aus den neuartigen Maschinen rann, gerade recht: Der Kaffee unterschied sich in MundgefĂŒhl und Körper vom Filterkaffee, war intensiver, aber doch nicht so stark und zĂ€hflĂŒssig wie das italienische Pendant – und wies eine hĂŒbsche Crema auf: Der CafĂ© crĂšme war geboren. Wobei festzuhalten bleibt, dass bei aller GenialitĂ€t und revolutionĂ€ren Kraft die ersten Vollautomaten in der Regel eher bittere Kaffees brĂŒhten, die teilweise unangenehm sauer schmeckten.

Heute ist die Situation anders. Hohlmann schwĂ€rmt vom Können moderner Vollautomaten, und wenn es nach ihm ginge, wĂ€re der CafĂ© crĂšme seinen «Huckepacknamen» bald los – und hiesse CafĂ© nature. «Der ist so ein spannendes Produkt», sagt er, «auf das die Schweizer mit ihren Vollautomaten stolz sein können.» Grund dafĂŒr gibts mehr als genug. Thermoplan beliefert aus Weggis die Starbucks-Filialen rund um den Globus, Schaerer montiert in Zuchwil GerĂ€te fĂŒr Dunkin’ Donuts. Und auch dank Franke Coffee Systems in Aarburg, Egro Coffee Systems in Niederrohrdorf, Jura in Niederbuchsiten, Saeco in Oensingen, Cafina in Hunzenschwil, HGZ in ZĂŒrich, Eugster / Frismag in Amriswill, Nespresso in Paudex, Solis in Glattbrugg und Eversys in Ardon lĂ€uft international Kaffee aus Schweizer Maschinen. «Da wĂ€rs nur richtig, dass auch die qualitative Debatte hier gefĂŒhrt wird», findet Hohlmann, der darin eine Chance ortet, sich «wie die Italiener mit dem Espresso» zu positionieren. «Wir sollten anfangen, uns ĂŒber den CafĂ© crĂšme zu unterhalten, Daten erheben und diskutieren», sagt er.

Nur: Bislang gibts noch nicht einmal eine klare Richtlinie, wie ein CafĂ© crĂšme gebrĂŒht wird. «FĂŒr Espresso und Filterkaffee existieren klare RezeptplĂ€ne, fĂŒr die Herstellung eines CafĂ© crĂšme aber nur diffuse Angaben», sagt Hohlmann. «Das beschrĂ€nkt sich auf eine Auslaufzeit, die Gastronomen tendenziell natĂŒrlich lieber kĂŒrzer haben möchten, auf eine eher tiefe Temperatur und eine Auslaufmenge von rund 150 Millilitern – oder eben einfach, bis die Tasse voll ist.» Seine Kritik richtet sich nicht nur an die MassstĂ€be, nach denen Vollautomatenhersteller ihre GerĂ€te konfigurieren, sondern auch an geschulte Baristas, die den CafĂ© crĂšme stiefmĂŒtterlich behandeln. Frei nach dem Motto: Wer einen solchen bestellt, hat keine Ahnung von Kaffee und ist folglich selber schuld, wenn er einen schlechten trinken muss.

So einfach mag es sich Hohlmann nicht machen. Auch dann nicht, wenns um die Entscheidung geht, ob fĂŒr einen Gastronomen eine vollautomatische oder eine halbautomatische Maschine sinnvoll ist. Das hĂ€nge vom Betrieb ab, sagt er. «Ich wĂŒrde keinem Wirt empfehlen, eine SiebtrĂ€germaschine anzuschaffen, wenn er nicht auch bereit ist, in geschulte Mitarbeiter zu investieren.» Wichtig sei weiter, sowohl einen separaten SiebtrĂ€ger als auch eine eigene MĂŒhle fĂŒr den CafĂ© crĂšme zu reservieren. Wer sich fĂŒr eine vollautomatische Lösung entscheidet, dem legt Hohlmann ans Herz, einen klaren Anspruch an den Hersteller zu formulieren: «Die Maschine muss sauber und regelmĂ€ssig eingestellt und das Personal gut gebrieft werden.»

Und sonst? Was die Röstung betrifft, rĂ€t Hohlmann fĂŒr den CafĂ© crĂšme zum Mittelweg, weil dunkle Röstungen zur Bitterkeit neigen und allzu helle Röstungen fruchtige Noten entfalten, die in ihrer KomplexitĂ€t nicht jedermanns Sache sind. Wobei: «Gerade weil der CafĂ© crĂšme weniger stark ist als ein Espresso, kann man sich auch an anspruchsvollere Geschmacksnoten wagen, ohne den Gaumen gleich zu ĂŒberfordern.» Das zeichne ihn in seiner originĂ€ren Charakteristik nĂ€mlich aus, sagt Hohlmann: «Der CafĂ© crĂšme ist zugĂ€nglich.»

Zur Person
Benjamin Hohlmann ist GrĂŒnder, Gesellschafter und GeschĂ€ftsfĂŒhrer der Kaffeemacher GmbH in MĂŒnchenstein. Das Unternehmen vereint einen Gastrobetrieb (das CafĂ© FrĂŒhling in Basel), eine Rösterei (Spring Roasters) sowie eine Akademie, an der 2016 rund 600 Personen in Kaffeethemen geschult wurden, unter einem Dach. Das Programm umfasst unter anderem sĂ€mtliche SCAE-Kurse auf allen Levels. Hohlmann ist in der Baristaszene bestens bekannt, gut vernetzt und im Wettbewerbswesen aktiv. In diversen Disziplinen belegte er PodestplĂ€tze, 2014 reiste er als Brewers- Cup-Schweizer-Meister an die WM nach Rimini, im Cup Tasting ist er amtierender deutscher Meister. An der Barista-Schweizer-Meisterschaft 2016 brĂŒhte Hohlmann als Signature Drink ĂŒbrigens einen CafĂ© crĂšme, was fĂŒr gehörig Überraschung sorgte – und den Startschuss fĂŒr seine Mission gab, die qualitative Diskussion zu lancieren. www.kaffeemacher.ch

Zur Lage der Nation
Als «einzigartiges Schweizer KaffeegetrĂ€nk» betitelt Cafetiersuisse den CafĂ© crĂšme, widmet ihm entsprechend Aufmerksamkeit und nimmt sich, auch in Kooperation mit der Kaffeemacher GmbH, zunehmend der qualitativen Debatte an. So fand letzten Oktober erstmals ein öffentlich zugĂ€nglicher Konsumententest statt: In der Blindverkostung galt es, verschiedene CafĂ©-crĂšme-Varianten zu bewerten. Parallel lĂ€uft noch bis im Sommer eine Online-Umfrage, zu der rund 10000 Gastrobetriebe schweizweit eingeladen wurden. Gesammelt werden Daten rund um den gĂ€ngigen Herstellungsprozess von CafĂ© crĂšme wie BrĂŒhtemperatur, Pulvermenge oder Durchlaufzeit. Die Ergebnisse auf Konsumenten- und Gastronomenseite werden miteinander abgeglichen, der Schlussbericht soll an der dritten Kaffeetagung, die am 1. September am GDI in RĂŒschlikon stattfindet, vorgestellt und das Thema weiter diskutiert werden. www.cafetier.ch

Zum VerstÀndnis
Der Jargon der Baristas und Kaffeenerds hats in sich – und machts dem Laien manchmal nicht ganz leicht. Wir beschrĂ€nken uns an dieser Stelle aber auf die KlĂ€rung von zwei fĂŒr diesen Text relevanten Begriffen. Unter Extraktion versteht der Profi den Prozentsatz Kaffee, den man aus der Bohne herauslöst. Idealerweise liegt der Wert zwischen 18 und 22 Prozent. Ist er höher, spricht man von einer Überextraktion – der Kaffee wird bitter. Ist der Wert tiefer, liegt eine Unterextraktion vor, die sich in einer unangenehmen SĂ€ure zeigt. Dahingegen bezeichnet die sogenannte StĂ€rke das VerhĂ€ltnis von gelösten Kaffeeteilchen im Wasser. Sie ist es, die das KaffeegetrĂ€nk definiert. Beim Filterkaffee liegt der Wert bei 1,2 bis 1,5 Prozent, beim Espresso zwischen 8 und 12 Prozent. FĂŒr den CafĂ© crĂšme gibt es bislang keine verbindlich festgeschriebenen Werte. Hohlmann hat viel herumexperimentiert – und setzt sie auf zwischen 2 und 3 Prozent fest. Der Rest ist Wasser.

Zum Nachmachen
Wie bekommen wir denn nun einen guten Café crÚme in die Tasse? Benjamin
Hohlmann liefert eine handfeste Anleitung, die sich sowohl fĂŒr die halbautomatische
Kaffeemaschine eignet als auch fĂŒr die Konfiguration des Vollautomaten.
Wichtig: Indem wir den Kaffee h.her als heute oft ĂŒblich dosieren, verhindern
wir eine Überextraktion – und damit, dass der Kaffee bitter wird.


Input: 14 bis 15 Gramm Kaffeepulver
Output: 110 bis 130 Milliliter
BrĂŒhzeit: rund 30 Sekunden
Temperatur: je nach Kaffee und Maschine zwischen 88 und 93 Grad Celsius



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