Ausgefressen

Essen als Akt der Sorge

Mit jedem Bissen verbinden wir uns mit der Welt. Was wir an Essbarem in den Mund stecken, ist ausnahmslos ein gewachsenes Stückchen unseres Heimatplaneten Erde. Schon der kleinste Happen Butterbrot vernetzt uns mit der Biosphäre. Sonnenlicht, das Wetter und sein Niederschlag, die Regenwürmer und das Wurzelwerk, die Bienen und die Vögel arbeiten wochenlang perfekt zusammen, um diesen kleinen, lebenswichtigen Genuss für uns Menschen zu produzieren. Mächtige Rinder sorgen bei fachgerechter Almwirtschaft für Biodiversität, kohlendioxidspeichernde, tiefe Böden, Düngung und etwas fürs touristische Auge. Am Ende kommt sogar noch ein unendlich geschmacksintensives Stück Käse als Topping für das Butterbrot raus. 

Jeden Tag zermalmen unsere Zähne die Arbeit unzähliger Lebewesen. Bei jeder Mahlzeit schlucken wir eine Symbiose hunderter biologischer Prozesse. Unser Magen-Darm-Trakt verdaut stetig das Schaffen und die Expertise Dutzender Menschen. Das Essen verbindet uns mit allem anderen dieser Welt. Wenns gut läuft, fühlt sich das sogar verdammt schön an! 

Die fantastische Corine Pelluchon, momentan meine Lieblingsphilosophin, hat darüber ein Buch mit dem Titel «Wovon wir leben, eine Philosophie der Ernährung und der Umwelt» geschrieben. Das Lesen wird zum Genuss. Sie verweist auf die ständige Abhängigkeit voneinander. Als Menschen können wir gar nicht anders, als abhängig zu sein. Wir hängen von unserer grossartigen Biosphäre ebenso ab wie von unseren Mitmenschen. Sie versorgen uns mit Essen. Damit halten sie uns ebenso am Leben, wie sie Momente des Glücks entfachen. 

Bäuerinnen, Köche und Mitarbeitende lebensmittelverarbeitender Betriebe, Grossmütter, Mütter, Väter und Kinder sorgen jeden Tag für Essen. Sie säen, pflegen und ernten. Sie verarbeiten und bereiten zu. Sie handeln, servieren und füttern. Sie tragen Sorge für uns und die Biosphäre, die uns Menschen leben lässt. Wir kümmern uns umeinander und manchmal essen wir auch miteinander. Das kann schön sein. 

Das Essen ist ein Akt der Sorge und der Pflege. Dass wir genau diesen Vorgang, dieses Hinunterschlucken des Lebens selbst als höchstes Glück empfinden können, macht vielleicht das ganze Menschsein aus. Jedenfalls müssen wir uns mit höchster Sorgfalt dem Essen widmen. 

Martin Hablesreiter

Fooddesigner
Ausgabe: Salz & Pfeffer 2/2024 / Datum: 04.04.2024


Was bisher geschah:
Blättern Sie durchs Salz & Pfeffer
der Vergangenheit.
zum Archiv





Seite teilen

Bleiben Sie auf dem Laufenden – mit dem kostenlosen Newsletter aus der Salz & Pfeffer-Redaktion.

Salz & Pfeffer cigar gourmesse