Die Küche der Alpen hat eine spektakuläre Renaissance hinter sich. Eine wichtige Rolle spielten dabei zweifelsfrei die Pioniere der Neuen Nordischen Küche mit ihrem radikalen Fokus auf lokal produzierte Lebensmittel und ihrer Besinnung auf alte Herstellungsmethoden. Das intellektuelle Fundament lieferten derweil zahlreiche Autoren, dazu gehören in der Schweiz etwa Paul Imhof («Das kulinarische Erbe der Schweiz») sowie Dominik Flammer («Das kulinarische Erbe der Alpen»). Und schliesslich waren es Sterne-Köche wie der kongeniale Südtiroler Norbert Niederkofler oder – einige Jahre später – Sven Wassmer, die das ehemalige Arme-Leute-Essen in der Haute Cuisine etablierten.
Zum Glück, nicht zuletzt für die hiesigen Sommeliers, gedeihen auch in höheren Lagen Weine von erlesener Qualität, die im Geschmacksprofil wie auch in der Philosophie zur Alpenküche passen. Insbesondere das Südtirol erweist sich in dieser Hinsicht als wahre Schatzkammer. «Dank über 20 angebauten Sorten, die auf zwischen 200 und 1000 Metern über Meer auf unterschiedlichen Bodentypen und in zahlreichen Mikroklimas aus- reifen, ist die Vielfalt riesig», sagt Weinexperte Thomas Vaterlaus. Im Gegensatz zu Schweizer Erzeugnissen profitieren die Südtiroler Reben von der südlichen Alpenseite, etwa der warmen Luft, die vom Gardasee hinaufsteigt und die Weine generell ein bisschen weicher, üppiger sowie voller werden lässt.
«Allerdings entstehen in den höheren Lagen auch durchaus frische Weine mit einem ausgeprägten Säureprofil», so Vaterlaus. Die Klimaerwärmung sei bei den Südtiroler Winzern ein grosses Thema. «Alles ist in Bewegung, immer wieder werden neue Lagen erschlossen, die wiederum spannende Weine hervorbringen.» Wie sich diese konkret mit der Alpenküche vermählen lassen, darüber hat sich Spitzenkoch Guy Estoppey Gedanken gemacht. Dafür analysierte das Mitglied der Schweizer Kochnationalmannschaft die sechs wichtigsten Weinsorten des Südtirols und kreierte passende Gerichte dazu.
«Unter der Alpenküche verstehe ich die Kochtraditionen des Alpengürtels, zu dem die Schweiz, Österreich und das Südtirol gehören», so Estoppey. Neben alpinen Zutaten wie Bergkartoffeln, Flechten oder Wirsing zählt der 33-Jährige insbesondere alte Konservierungsmethoden wie die Fermentation oder das Trocknen zu deren Merkmalen. «Früher ging es hauptsächlich darum, irgendwie durch den Winter zu kommen und auch im Frühling noch etwas in der Vorratskammer zu haben.» Auch solcherlei Überlegungen flossen in die nachfolgenden Pairing-Vorschläge des Spitzenkochs ein.
Weissburgunder zu Wacholder und Kalb
Zum Südtiroler Weissburgunder, der oft, aber nicht nur in Höhenlagen bis zu 800 Meter über Meer angebaut wird, kombiniert Estoppey ein Tatar vom Alpenkalb mit Meerrettich, Wacholder und Schwarzbrot. «Zu dem sehr spritzigen Wein kam mir spontan Wacholder in den Sinn.» Mit einem malzigen Schwarzbrot stellt er dem Wacholder eine zweite dominante Komponente entgegen. Das milde Kalbstatar fungiert quasi als Verbindung dazwischen. Auch Thomas Vaterlaus schätzt den Weissburgunder aus der Nachbarregion für seine Frische, seine Gradlinigkeit – und für dessen Lagerfähigkeit. «Fünf bis zehn Jahre sind kein Problem, ja sogar wünschenswert.» Besonders angetan haben es ihm unter anderen die filigranen Weine, die auf den Vulkanböden um die Ortschaft Terlan entstehen.
Sauvignon blanc zu Forelle und Kamille
Klare Unterschiede zu seinen Cousins aus der österreichischen Steiermark ortet Vaterlaus beim Südtiroler Sauvignon blanc. «Er ist fruchtbetonter und voller, anstelle der Säure kommt er weich und cremig daher.» Dazu wählte Estoppey ein Gericht, das er vor einigen Jahren anlässlich des Kochwettbewerbs Marmite Youngster Challenge in einer ähnlichen Form kreiert hatte. «Ich empfand den Sauvignon blanc als sehr floral.» Diese Blumigkeit spiegle sich im Gericht in der Kamille, so Estoppey. Sie bereitet die Bühne für eine Bergforelle, die buchstäblich mit Haut und Schuppen verarbeitet wird. «Ich wollte möglichst viel aus dem Fisch holen, auch die Haut wird verwertet, und aus den Gräten zog ich eine Sauce.» Der Kürbis und das Kernöl stiften dem Gericht eine erdige Note, die sich mit dem leicht moosigen Aroma der Forelle wunderbar vereint.
Gewürztraminer zu Marille und Schokolade
Die Gewürztraminer aus dem Südtirol haben in Bezug auf das Foodpairing ganz besondere Qualitäten. Sie zeichnen sich durch intensive, oft fast schon parfümiert wirkende Aromen und eine ausladende Fülle im Gaumen aus. Die mehrheitlich trocken ausgebauten Crus sind ideale Begleiter zu ebenfalls reichhaltigen Gerichten, beispielsweise zu ausgereiften Hartkäsen oder Pasteten aus Fleisch, Geflügel oder Leber. Guy Estoppey kombiniert einen restsüssen Gewürztraminer zum Marillenknödel. «Bei der Komposition ging es mir vor allem darum, die intensive Süsse des Weins etwas zu brechen und seine weichen Komponenten zum Vorschein zu bringen.» Das sei ihm dank der Röstaromen der gebrannten Schoko- lade, der Säure der eingelegten Aprikose sowie dem teigigen Knödel recht gut gelungen, meint Estoppey zufrieden. Sicher ist: Der Südtiroler Gewürztraminer ist fruchtbetont, intensiv und relativ alkoholreich. «Dank diesen Eigenschaften», sagt Vaterlaus, «kommt er bei Schweizer Weinliebhabern ausgesprochen gut an.»
Vernatsch zu Flechten und Stör
Der leichte Vernatsch gilt als Beaujolais des Südtirols. In den Achtziger- und Neunzigerjahren wurde er in grossen Massen produziert und machte rund 70 Prozent der gesamten Anbaufläche aus. Diese ist seither stetig gesunken, auf aktu- ell 12,6 Prozent. Und obwohl Journalisten immer wieder die Rückkehr des Leichtweins herbeischreiben, ist diese bisher ausgeblieben. Als Essensbegleiter habe der Vernatsch aber seine Vorzüge, so Estoppey und serviert dazu einen Topinamburcake, veredelt mit geräuchertem Stör (aus Frutigen) sowie Flechten und Sauerrahm. «Die Flechten und der Stör bringen Waldaromen ins Gericht, Topinambur die nussigen Noten, und der Sauerrahm verbindet alles zu einem cremigen Ganzen.» Der Vernatsch mit seiner dezenten Fruchtigkeit passt da wunderbar hinein.
Lagrein zu Rande und Spinat
Vor 40 Jahren wurden über 80 Prozent der Lagreintrauben zu Rosé verarbeitet. Heute werden aus den Trauben von stolzen 478 Hektaren ausdrucksstarke Rotweine produziert. Der mit einer dunklen Beerenaromatik ausgerüstete Wein ist insbesondere bei Schweizer Konsumenten beliebt. «Der Lagrein ist weich, samtig und voll», so Vaterlaus. Im Holz ausgebaut, gewinne der fruchtige Lagrein an Würze und Format. Für seine vegetarische Komposition Randensteak mit Senfsaat und Spinat wählte Estoppey aber einen Lagrein ohne Holzausbau, mit reichlich Säure und einer trotzdem satten Struktur.
Pinot noir zu Bergkartoffeln, Speck und Bohnen
Regelrecht ins Schwärmen kommt Estoppey über seinen letzten Gang, zugeschnitten auf das Profil des Südtiroler Pinot noir. «Die Bergkartoffeln aus dem Albulatal ergeben zusammen mit den Bohnen und dem Speck einen extrem dichten, komplexen Gang. Die feine Säure des Weins versteht sich damit ausgezeichnet.» Dazu weiss Vaterlaus: «Die Pinots aus dem Südtirol sind in der Regel schwerer, konzentrierter und etwas weicher als jene aus der Schweiz.» Allerdings seien die Unterschiede je nach Winzer und Lage beträchtlich. Klar ist: Für einen Koch oder Sommelier und für alle, die sich für die Küche der Alpen interessieren, lohnt es sich, die Weine des Südtirols und die Menschen dahinter näher kennenzulernen.
Alpen-Kalbstatar mit Meerrettich, Wacholder und Schwarzbrot
Zutaten für 4 Personen
Kalbstatar: 200 g Kalbshuft, 1 EL Sonnenblumenöl, 10 g Majoran frisch, Salz & Pfeffer – Wachholderöl: 50 g Wacholder, 2oo g Sonnenblumenöl, Salz – Kren & Schwarzbrot: 50 g Meerrettich frisch, 1 EL Olivenöl, 1 ⁄ 2 Zitronenabrieb, Salz & Pfeffer, 4 Scheiben Schwarzbrot (zirka 2.5 × 10 Zentimenter), Stangensellerieblätter – Kren: 1 Eigelb, Salz
Zubereitung
1. Die Kalbshuft mit dem Messer fein schneiden oder hacken. Den Majoran fein hacken und dazugeben, mit Sonnenblumenöl, Salz & Pfeffer abschmecken.
2. Das Öl in einer Pfanne mit dem Wacholder erhitzen, bis dieser anfängt leicht knusprig zu werden. Mit etwas Salz mixen und abpassieren. Kühl lagern.
3. Den Meerrettich reiben und mit dem Olivenöl, dem Zitronenabrieb, Salz & Pfeffer vermengen. Die Schwarzbrotscheiben in wenig Olivenöl auf einer Seite knusprig braten. Auskühlen lassen und anschliessend das Tatar darauf verteilen. Die Stangensellerieblätter mit Olivenöl marinieren und auf dem Tatar verteilen.
4. Das Eigelb in eine kleine Form geben und mit Salz bedecken, für 14 Tage im Kühlschrank «marinieren» lassen. Anschliessend das Salz abspülen, abtupfen und über das Tatar raspeln.
Bergsee-Forelle mit Kürbis, Kernöl und Kamille
Zutaten für 4 Personen
Forelle: 1 Forelle – Kürbis Pickles und Püree: 1 Butternuss Kürbis, 100 g Weinessig, 80 g Zucker, 30 g Senfsamen, 15 g Salz, Schalotten, 50 g Butter, 150 ml Noilly Prat – Forellen Beurre Blanc: 2 Schalotten, Forellenabschnitte geröstet, 150 g Weisswein, 50 g Weinessig, 300 g Gemüsebouillon, 1 Teebeutel Kamillentee, ca. 150 g Butter, Salz, Zitronensaft, 2 EL Kürbiskernöl, 1 Glässchen Forellenkaviar, Kürbiskerne geröstet
Zubereitung
1. Die Forelle ausnehmen, filetieren und von Geräten befreien. Die Abschnitte für die Beurre Blanc (Rezept folgt) aufbewahren. Die Filets mit 2 Zentiliter Kamillenöl in einem Sous-vide-Beutel und bei 58 °C im Wasserbad für 8 Minuten garen. Die Haut vorsichtig bis auf einen Zentimeter abziehen und aufdrehen, sodass sie der Gast ein- fach entfernen kann.
2. Exakte Würfel aus dem Butternusskürbis schneiden. Essig, Zucker, Senfsamen und das Salz aufkochen und über die Kürbiswürfel geben. Mindestens 24 Stunden ziehen lassen. Die Abschnitte vom Kürbis von Kernen befreien und grob zusammenschneiden. Die Schalotte im Butter andünsten und mit Noilly Prat ablöschen. Zirka 20 Minuten auf kleiner Hitze weich garen und anschliessend pürieren. Mit Salz und Pfeffer abschmecken und in einer Spritzflasche warm stellen.
3. Schalotten in Butter andünsten, Forellenabschnitte beigeben und mit Weisswein und Essig ablöschen. Mit der Bouillon aufgiessen und zirka 20 Minuten unter dem Siedepunkt ziehen lassen. Abpassieren und um die Hälfte reduzieren. Den Kamillentee beigeben und 5 Minuten ziehen lassen. Abschmecken und mit der Butter aufmontieren. Mit dem Kürbiskernöl die Sauce auf dem Teller vermischen, um die Splitoptik zu erhalten. Mit Forellenkaviar sowie Kürbiskernen garnieren.
Bergkartoffeln mit Speck und Bohnen
Zutaten für 4 Personen
Bergkartoffeln: 4 grosse Corne de Gatte Bergkartoffeln, Kümmelwasser, 100 g Crème fraîche, 20 g italienische Petersilie, 10 g Dill & Spitzen für Garnitur, Salz – Speck und Bohnen: 100 g Kalbsspeck geschnitten, 50 g getrocknete grüne Bohnen, 50 g getrocknete gelbe Bohnen, Olivenöl, 1 kleine Zwiebel
Zubereitung
1. Die Kartoffeln im Kümmelwasser weichgaren, vorsichtig schälen und in 1⁄2 Zentimeter dicke Scheiben schneiden. Mit der Crème fraîche sowie gehackter Petersilie, gehacktem Dill und Salz würzen. Die Schale der Kartoffeln bei 140 °C im Öl goldbraun frittieren und als Garnitur verwenden.
2. Den Speck in feine Streifen schneiden und ohne Fettstoff in einer Pfanne auf kleiner Stufe knusprig braten. Die Bohnen für Zirka 4 Stunden in kaltem Wasser einweichen. Anschliessend in gesalzenem Wasser weichgaren. Die Zwiebel fein schneiden und im Olivenöl glasig dünsten. Die gegarten Bohnen klein schneiden, beigeben und mit Salz, Pfeffer, Muskat und gemahlenem Kümmel würzen. Die Bohnen auf die Kartoffeln geben und mit knusprigem Speck, Kartoffelschalen und Dillspitzen garnieren.
Randensteak mit Senfsaat und Spinat
Zutaten für 4 Personen
Randensteak: 1 kg Salz, 500 g Randen, Öl – Spinat: 500 g Spinat, 1–2 Schalotten, 1 Knoblauchzehe, Salz und Pfeffer – Marinade: 1 Schalotte, 4 El Weisser Balsamico, 2 Tl Senfsaat, 8 El kaltgepresstes Sonnenblumenöl, Salz, Pfeffer
Zubereitung
1. Salz auf ein mit Backpapier belegtes Backblech geben und die Randen etwas in das Salz hineindrücken. Bei 190 °C 60 – 90 Minuten backen, bis man mit dem Messer problemlos in die Mitte stechen kann. Abkühlen lassen, schälen und in 2 Zentimeter breite Scheiben schneiden. Die Grillpfanne erhitzen und die Randenscheiben mit wenig Öl bepinseln und kurz braten, damit sie das Grillmuster bekommen
2. Die feinsten Spinatblätter für die Deko aussortieren. Schalotten und Spinat in kleine Würfel schneiden und andünsten. Den Spinat beigeben, mitdünsten, abschmecken und als Sockel anrichten. 3. Die Schalotte würfeln und andünsten, Balsamico beigeben, und den Topf vom Herd nehmen. Senfsaat beigeben, quellen lassen und warten, bis der Sud abkühlt. Mit dem Öl aufmontieren und abschmecken. Das grillierte Randen-Steak leicht schräg auf dem Spinatsockel positionieren. Etwas Marinade darüber- und rundherum geben. Die feinen Spinatblätter mit sehr wenig dunklem Balsamico und Öl marinieren.
Die Weinregion Südtirol in Zahlen
Das Südtirol ist gesegnet mit jährlich 300 Sonnentagen, genug Regen (500 bis 800 Millimeter) und zahlreichen Mikroklimas. Schon die Räter und später die Römer bauten hier vor über 2000 Jahren Reben an. Heute bewirtschaften 5000 Weinbaubetriebe rund 5550 Hektaren Rebfläche. Angebaut werden über 20 Rebsorten. Insgesamt existieren im Südtirol über 200 Kellereien. Die jährliche Weinproduktion beträgt im Durchschnitt 330000Hektoliter, davon entfallen 62 Prozent auf Weisswein und 38 Prozent auf Rotwein.
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