Ein Stück Wien am Bodensee

Das Wiener Café Franzl gehört offiziell zu den besten Kaffeehäusern der österreichischen Hauptstadt, liegt aber im Thurgau. Was es damit auf sich hat.
Text: Virginia Nolan – Fotos: z. V. g.
Veröffentlicht: 25.06.2019
Zwei Wiener, die in Romanshorn TG ihr Glück fanden: Norbert und Tatjana Mahr eröffneten 2016 ihr Wiener Café Franzl. Heute ist es Treffpunkt für Heimwehwiener und Fans der österreichischen Küche, die aus der ganzen Schweiz anreisen.

«Wir haben alles, was der Wiener zum Überleben braucht.»

Rund 800 Kilometer sind es von der Deutschschweiz bis nach Wien. So weit muss aber gar nicht erst reisen, wer die österreichische Hauptstadt zumindest kulinarisch erleben will. Am Bodensee gibts nämlich eine Wiener Enklave, die sich ganz den lukullischen Genüssen aus der Heimat verschrieben hat: «Wir haben alles, was der Wiener zum Überleben braucht», sagt Tatjana Mahr vom Wiener Café Franzl in Romanshorn. Die Wienerin meint damit aber mehr als Mehlspeisen, Kaffeeklassiker und Schnitzel: «Ein Kaffeehaus ist ein zweites Wohnzimmer, es ist Treffpunkt und Zufluchtsort zugleich. Ins Kaffeehaus geht, wer abschalten oder arbeiten, wer diskutieren, lesen oder auch einfach allein sein will, das aber lieber in Gesellschaft.»

Dem kleinen Stück Wien, das Tatjana und Norbert Mahr im Thurgau aufgebaut haben, ist letztes Jahr grosse Ehre zuteil geworden: Das Café Franzl wurde im renommierten «Klub der Wiener Kaffeehausbesitzer» aufgenommen und darf sich damit neben grossen Namen wie Sacher, Ritter oder Landtmann in den illustren Reigen der rund 150 «Kaffeesieder» einreihen, die Wien zu seinen besten zählt. Der Katalog an Kriterien, die Neumitglieder erfüllen müssen, ist lang, und er reicht vom typischen, vom Historismus geprägten Interieur der Häuser über das Leseangebot bis hin zur Speisekarte.

Heute ist das zentrale Anliegen des 1955 gegründeten Klubs vor allem die Erhaltung und Förderung der Wiener Kaffeehauskultur, die die Unesco seit 2011 offiziell als immaterielles Weltkulturerbe anerkennt. Somit verkörpert auch das Café Franzl einen Teil dieses Erbes – und das bis heute als einziger Betrieb ausserhalb Wiens. «Das macht uns richtig stolz», sagen die Mahrs, die ihr Café seit 2016 betreiben und die Gastronomie als Quereinsteiger eroberten. Tatjana Mahr war früher Coiffeuse und ihr Mann Norbert in der Modebranche tätig, bevor er sich wieder dem Konditorhandwerk zuwandte, das er im Wiener Familienbetrieb seines Vaters erlernt hatte.

2018 wurde das Wiener Café Franzl im renommierten «Klub der Wiener Kaffeehausbesitzer» aufgenommen und darf sich damit neben grossen Namen wie Sacher, Ritter oder Landmann einreihen.
«Ein Kaffeehaus ist ein zweites Wohnzimmer, es ist Treffpunkt und Zufluchtsort zugleich», sagen die Gastgeber im Café Franzl über die Wiener Kaffeehaustradition.

So ist es wenig überraschend, dass den Gast gerade beim Süssen die Qual der Wahl ereilt. Von Kaiserschmarrn und Apfelstrudel über Patisserie-Teilchen und Eiskreationen bis hin zu Marillen-, Topfen- oder Germknödel, die der Gast im Trio bestellt, wenn er sich nicht entscheiden kann: Es fehlt an nichts, was des Wieners Herz begehrt. Als unkundig entlarvt sich derweil, wer süsse Mehlspeisen wie Knödel und Co. auf der Dessertkarte sucht. «Mei», ruft die Gastgeberin, «des sind doch Hauptmahlzeiten!» Die Wiener Gastgeberin nimmts den Helvetiern aber nicht krumm, wenn sie Knödel und Co. wider besseren Wissens zum kulinarischen Nachspiel degradieren, ebenso wenig, dass sie den Kaffeeplausch mitunter rascher abhandeln, als es unsere östlichen Nachbarn tun. «So flott, dass einer im Kaffeehaus gleich die Jacke anbehält», sagt Mahr vergnügt, «also, sowas gibts daheim nicht. Daran musste ich mich erst gewöhnen.» Umso sympathischer ist, dass hier getrost drei Stunden verweilen kann, auch wer nur einen Kaffee bestellt.

Als Hommage an Wien präsentieren sich auch Frühstücks- und Speisekarte. Zum Wachwerden gibts rund zehn verschiedenen Kaffees, vom normalen «Braunen» über die Wiener Melange bis zum «Einspänner» mit viel Schlagrahm. Dazu kommen weitere Kaffeegetränke mit Alkohol, die Namen wie «Kaisermelange», «Café Sissi» oder «Maria Theresia» tragen. «Hier schwelgt der Wiener gerne in Nostalgie», weiss Mahr, und dabei dürfe auch gerne einmal in die Klischeekiste gegriffen werden. Den Spagat zwischen lokalen Gepflogenheiten und österreichischer Küche macht die Speisekarte des Hauses: So gibt es zwar lauter Wiener Klassiker, jene aber, die das Vokabular der Eidgenossen zu sehr herausfordern, werden zumindest der Form halber eingeschweizert. So heissen etwa Fleischlaberl, Debreziner oder Erdäpfelschmarrn der Einfachheit halber Hacktätschli, Brühwurst und Rösti. «Wir wollen den Gast ja nicht verschrecken», lacht Mahr. Spätestens im Gaumen entlarvt sich das Hacktätschli aber als waschechter Wiener: mit feinen Semmelbröseln in der Masse und goldgelb darin ausgebacken.

Mehr Informationen über das Wiener Kaffee Franzl gibt es hier.



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