Seit 2000 Jahren im Trend

In Sachen Protein gilt Fleisch in unseren Breitengraden quasi als Standard, nach dem sich nicht zuletzt die gesamte Lebensmittelindustrie ausrichtet. Dabei geht es auch anders – und zwar schon sehr, sehr lange.
Gastbeitrag: Lauren Wildbolz, Kreativ-Direktorin Soil to Soul – Fotos: z. V. g.
Veröffentlicht: 14.03.2023

Tofu ist kein Produkt der modernen Lebensmittelindustrie, auch wenn das heute so aussieht. 

Als Scout für pflanzliche Lebensmittel bin ich immer auf der Suche nach neuen und spannenden Lebensmitteln, die dem menschlichen Körper auf gleich effiziente Weise Protein liefern können wie Fleisch. Dieses hat sich in unserer Kulinarik gewissermassen als Standard etabliert, wenn es um Protein geht – dabei war Fleisch in der Ernährung der «guten alten Zeiten» die absolute Ausnahme und selbst am Wochenende eigentlich den Reichen vorbehalten. Aber genau wegen dieses Standards sollen alle Fleischersatz-Produkte, die in den letzten Jahren lanciert wurden, den möglichst gleichen Geschmack und das möglichst gleiche Mundgefühl haben wie Fleisch. Werden diese Produkte und ihre mit vielen Milliarden Wagniskapital ausgestatteten Hersteller wirklich Fleisch ablösen? Und vor allem – ist es überhaupt nötig, diese teuren und sehr stark prozessierten Produkte zu kaufen?

Kurze Tofu-Geschichte
Eiweiss aus verarbeiteten Pflanzen wird nämlich schon seit vielen Jahrhunderten als Proteinlieferant verwendet. Dabei wurde weniger an den «Ersatz» von Fleisch gedacht, sondern einfach an eine rundum ausgeglichene Ernährung, wie sie jeder Mensch anstreben sollte. Tofu zum Beispiel ist kein Produkt der modernen Lebensmittelindustrie, auch wenn das heute so aussieht. Erstmals belegt ist seine Herstellung in China zur Zeit der Han-Dynastie (206 vor Christus bis 220 nach Christus). In einem Grab von Adligen dieser Dynastie wurden Zeichnungen entdeckt, die die Herstellung von Tofu zeigen. Seine Verwendung als Fleischalternative ist in einem Dokument von Tao Gu (vereinfachtes Chinesisch: 陶谷; traditionelles Chinesisch: 陶穀; Pinyin: Táo Gǔ, 903-970) festgehalten. Tao beschreibt, dass Tofu im Volksmund als «kleines Hammelfleisch» (chinesisch: 小宰羊; pinyin: xiǎo zǎiyáng) bekannt war, was zeigt, dass die Chinesen Tofu als Fleischimitat schätzten. Während der Tang-Dynastie (618-907) war Tofu weit verbreitet und verbreitete sich wahrscheinlich während der späteren Tang- oder frühen Song-Dynastie nach Japan. Und im dritten Jahrhundert nach Christus beschreibt der griechische Autor Athenaios Naukrátios in seinem Werk Deipnosophistae eine Zubereitung eines Rübengerichts, das wie Sardellen schmecken sollte:

Er nahm eine weibliche RĂĽbe, zerkleinerte sie fein
In die Gestalt des zarten Fisches;
Dann goss er Ă–l und pikantes Salz darĂĽber
Mit sorgfältiger Hand in angemessenem Verhältnis.
Darauf streute er zwölf Körner Mohn,
die Skythen lieben; dann kochte er alles.
Und als die Rübe die königlichen Lippen berührte,
So sprach der König zu den bewundernden Gästen:
«Ein Koch ist so nützlich wie ein Dichter,
Und ebenso weise, und diese Sardellen zeigen es.»

Dank der lebendigen Kulinarik des chinesischen Riesenreiches und seiner Nachbarländer wurde Tofu zu einem wichtigen Bestandteil der Ernährung Asiens und etablierte sich weniger als Fleischersatz, sondern eher als ein eigenes Produkt. Auch aus gekochtem Getreide wurden in China proteinreiche Lebensmittel hergestellt, also nach der Art, die heute als Seitan bekannt ist. Erstmals nachweisbar ist das Kochen von Getreide zur Gewinnung von Protein vor über 1500 Jahren.

Eine Notwendigkeit der Industrialisierung
In Europa wurden pflanzenbasierte Eiweissträger erst Mitte des 19. Jahrhunderts populär, als immer mehr Männer in Fabriken arbeiteten und grosse städtische Siedlungen mit prekären gesundheitlichen Bedingungen und Mangelernährung entstanden. Die sogenannte Erbswurst, 1867 entwickelt vom Berliner Konservenfabrikaten Johann Heinrich Grüneberg, gilt als eines der ersten industriell hergestellten Lebensmittel überhaupt. 1889 wurde die Produktion von Knorr übernommen; ein Name, den man bis heute kennt. Man stelle sich vor, dass Erbsen auch heute noch in Fleischersatzprodukten wie Planted oder Impossible Burgers den wichtigsten Proteinträger abgeben!

Wie erfolgreich sind eigentlich die heutigen Fleischersatzprodukte? Nun, in der internationalen Wirtschaftspresse wird bereits das vorzeitige Ende des Booms angekündigt. Die Herstellerfirmen seien zu schnell an die Börse gegangen und überbewertet worden, die Umsatzversprechen könnten nicht eingelöst werden. Wir wissen auch aus der Schweiz, dass die veganen Fleischalternativen vor allem in den Städten gerne gekauft werden. Auf dem Land bleiben Garden Gourmet und was der hochverarbeiteten Ersatzprodukte mehr sind gerne in den Kühlregalen liegen. Aus der Wissenschaft gibt es auch Kritik betreffend die Auswirkungen von Erbsen- und Sojaproduktion auf die Umwelt und die CO2-Bilanz, denn natürlich wäre es dafür günstiger, einfach Erbsen zu essen. Man bedenke ausserdem: Nach wie vor gehen 90 Prozent des weltweit angebauten Soja in die Tiermast, um zu Fleischkalorien «verarbeitet» zu werden. Deshalb ist tatsächlich jedes Ersatzprodukt von der Ökobilanz her besser als Fleisch selbst. 

Für ein Urteil betreffend die industriellen Fleischersatzprodukte der neusten Generation ist es derzeit noch viel zu früh, denn wir stehen am Anfang einer Entwicklung und nicht an deren Ende. Über kurz oder lang wird der Klimawandel uns alle mittels Preisentwicklung dazu zwingen, weniger Fleisch zu essen. Bis dahin kann man sich durchaus von den neuen Zutaten und Techniken begeistern lassen, mit denen Geschmack, Textur und Nährwert neuer Proteinträger verbessert werden.

Im Rahmen der Medienpartnerschaft von Salz & Pfeffer und Soil to Soul erscheinen an dieser Stelle in loser Folge Textbeiträge von Kreativ-Direktorin Lauren Wildbolz rund um das Thema pflanzenbasierte Ernährung. Damit beschäftigt sich die bekannte Zürcher Vegan-Kulinarikerin bereits seit über einem Jahrzehnt. 2010 eröffnete sie das erste vegane Restaurant der Schweiz, seit 2012 führt sie ein gehobene Cateringunternehmen. Wildbolz, die auch als Künstlerin tätig ist, stellt ihr Expertinnenwissen regelmässig als Sprecherin und Podiumsteilnehmerin zur Verfügung, gibt Gastroschulungen für Restaurants und Hotels, produziert Videos und verfasst aktuell ihr drittes Buch.



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