Dass der runde Porzellanteller – mit oder ohne Fahne, wie der Rand genannt wird – der Kassenschlager bleibt, habe vor allem praktische Gründe, sagt Markus Hans, Geschäftsleiter des Gastronomiefachhändlers Berndorf: «Porzellan ist die erste Wahl, weil es Wärme speichert wie kein anderes Material, rund die beliebteste Form, weil Kanten Bruchgefahr begünstigen.» Auch Kratzer machten sich beim Klassiker weniger schnell bemerkbar. «Runde Teller sind drehbar, beim Stapeln liegen sie daher nie an der exakt gleichen Stelle aufeinander», sagt Hans. «Bei eckigen Formen sind die Berührungspunkte immer dieselben, was den Verschleiss beschleunigt.» Das bestätigt Manuela Stockmeyer vom Gemeinschaftsverpfleger SV Group: «Eckige Teller gehen häufiger zu Bruch und sind weniger praktisch, speziell für Restaurants mit hoher Gästefrequenz», sagt sie. «Nichtsdestotrotz bringen sie optische Abwechslung. Wir nutzen sie gerne als Hingucker für spezielle Anlässe.»
Wenn es indes nach Food-Bloggern oder Trendsettern wie der englischen Starköchin Nigella Lawson geht, waren Teller ohnehin gestern: Jetzt kommt die Schüssel. Unter dem Hashtag #bowl verzeichnet Instagram fast drei Millionen Einträge. Schüsselgerichte aus Asien haben die westliche Küche inspiriert, und Food-Sharing-Konzepte, zum Teilen in Schalen ausgelegt, tun ihr Übriges. Im Netz präsentieren hippe Restaurants von Singapur bis New York ihr Essen in der Bowl. Werden sie dem Teller den Rang ablaufen? «Mitnichten», sagt Berardelli. «Die Nachfrage nach Schüsseln klingt bereits wieder ab. Man hat eingesehen, dass sie für Suppen und Salate funktionieren, sich aber sonst nicht unbedingt aufdrängen.» Sharing-Konzepte hingegen blieben ein Thema und entsprechend auch die dafür verwendeten Schälchen aus Glas oder Porzellan. Einer, der dafür viel übrig hat, ist Silvio Germann, Küchenchef im Igniv by Andreas Caminada in Bad Ragaz. Germann zelebriert Food-Sharing auf Fine-Dining-Level. «Ich mag Schalen aber auch deshalb, weil ich Löffelgerichte liebe: Speisen mit Sud oder Sauce, für die man weder Messer noch Gabel braucht», sagt er.
Ob sich Sharing-Konzepte etablieren werden, fragt sich indes Geschirrfachhändler Hans: «In der Schweiz ist die Sache noch nicht richtig angekommen», sagt er. Und auch Mario Hunkeler vom Konkurrenzanbieter Gastroimpuls verortet den Trend erst am fernen Horizont: «Ich bin mir aber sicher, dass er Potenzial hat.» In einem Punkt sind sich die befragten Profis vom Gastronomiebedarf einig: Auffallend gemustertes oder mit Blümchen verziertes Geschirr ist derzeit nicht gefragt. Demgegenüber seien Farben in Natur-und Erdtönen ein Thema: mintgrün, blau oder beige, zum Beispiel.
Nicht nur die Ingredienzen, auch das Geschirr beeinflusst unsere Wahrnehmung beim Essen. Keiner weiss das besser als Charles Spence von der Universität Oxford. Er ist Professor für Experimentalpsychologie und ergründet mithilfe der Neurowissenschaften, wie Farben, Formen, Texturen oder Klänge die Nahrungsaufnahme beeinflussen. Gastrophysik nennt er seine Disziplin. Über den Teller, das grösste unserer Speisewerkzeuge, weiss er einiges zu berichten. So servierte Spence zig Probanden identische Gerichte auf verschiedenen Tellern – mit unterschiedlichem Ausgang, was das Geschmackserlebnis der Testesser betrifft. Seine Forschung legt nahe, dass Gastronomen sich über Geschirr Gedanken machen sollten.
«Unsere Experimente zeigen unter anderem, dass wir saure und bittere Noten besser herausschmecken, wenn ein Gericht auf eckigen statt runden Tellern gereicht wird», sagt Spence. «Runde Teller hingegen scheinen süsse Geschmäcker zu verstärken.» Auf die Frage, warum das so ist, hat Spence unterschiedliche Erklärungsansätze. So wissen wir etwa, dass die menschliche Vorliebe für Süsses unseren Vorfahren geschuldet ist, die ihren Geschmackssinn als Gefahrendetektor nutzten: Giftige Pflanzen schmecken meist bitter und Saures ist oft unreif, während die Natur in aller Regel nichts hervorbringt, das süss schmeckt und giftig ist. «Vielleicht lässt sich diese Süss-Assoziation auf Formen übertragen», vermutet Spence, «an Ecken und Kanten kann man sich stossen, sie sind spitzig, während von runden Formen keine Gefahr ausgeht.» Wahrscheinlich sei ebenso, dass die Assoziation von Geschmäckern mit Formen erinnerungsbedingt sei: Desserts essen wir seit Kindertagen meist aus Bechern oder von ebenfalls runden Tellern, während etwa Käse meist auf einer rechteckigen Platte daherkommt. «Das haben wir im Gehirn abgespeichert», so Spence, «und entsprechend im Hinterkopf.»
Der Professor macht keinen Hehl daraus, dass er auf viele Fragen keine abschliessende Antwort hat. Die unterschiedlichen Eindrücke seiner Probanden sprechen für sich, und so auch die steigende Zahl junger Köche, die sich die Arbeit des Professors zunutze machen. Zu ihnen gehören Schüler von Heston Blumenthal, Ferran Adrià oder der Berufsnachwuchs am Institut Paul Bocuse in Lyon. «Ich arbeite viel mit Spitzenköchen», sagt Spence, «aber man muss keiner sein, um unsere Forschungsergebnisse umzusetzen. Das klappt auch in der Kantine.»