Was der Boden hergibt
Am diesjährigen Symposium besinnt sich Soil to Soul auf seine Wurzeln – und holt einen Star der portugiesischen Küche nach Zürich, dessen Konzept perfekt zur Veranstaltung passt.
Storytelling ohne den Ober-Storyteller? Nur die halbe Miete.
Man kann sich gewöhnen an Bangkok. An den Verkehr und das feucht-warme Klima der Regenzeit etwas langsamer, an die vielen Sorten Mangos und unzähligen Streetfood-Stände ziemlich schnell. Zurück nach Deutschland? Thomas und Mathias Sühring schauen sich an und verziehen die Mienen. Ein Wechsel ins Heimatland wird nicht in Erwägung gezogen. Auch Gaggan Anand, der verrückte Inder, scheint sich in Thailands Hauptstadt wohlzufühlen. Mit seinem ersten Restaurant stieg er, von der Netflix-Serie «Chef ’s Table» gefeatured, zum bekanntesten indischstämmigen Koch aller Zeiten auf. Neulich sei er für ein Gastspiel in Oslo gewesen. Alle hätten ihn dort gekannt, freut sich Gaggan, alle!
Wer einen der 14 Plätze in seinem neuen Thekenlokal im lebendigen Sukhumvit-Viertel bucht, kennt Gaggan auch. Aber ob alle wissen, was auf sie zukommt? Um viertel nach neun ist das Team noch mit Vorbereitungen beschäftigt. Das zweite Seating des Abends, die Musik dröhnt. Thekenrestaurants, die gibt es ja auch anderswo. In Fürstenau (Oz), in Hamburg (The Table). Direkter Kontakt, die Küche als Bühne. Dass es hier anders werden könnte, als man es in Europa oder auch in Japan gewohnt ist, wird den drei Amerikanern, dem asiatischen Pärchen und den staunenden Journalisten spätestens dann klar, als Gaggan das Band ausschaltet und zu einem mehrminütigen Monolog anhebt. Lange habe er darüber nachgedacht, sagt er, eine Oper aufzuführen. Er als einstiger Rockmusiker. Eine Food Opera. Ein Stück in zwei Akten, um genau zu sein, mit Desserts in der Mitte. Warum soll man Pastry immer am Ende servieren, wenn eh alle schon satt sind? Fragt Gaggan und traut sich, was andere nie wagen würden. Schon wird das Licht gedämpft, Musik hebt an. Los gehts. Mit der Joghurt-Sphäre, dem Gaggan-Klassiker schlechthin. Niemals dürfte ein Menü in seinem Namen serviert werden ohne diese im Mund zerplatzende Anspielung auf die Herkunft des Küchenchefs.
Bei den Gebrüdern Sühring ist auch alles durchgetaktet. Ein Pavillon samt Garten, etwas ausserhalb des zentralen Ausgeh- und Geschäftszentrums. Die Eleganz eines noblen Zwei-Sterne-Restaurants. Bedienstete, die die Toiletten nach jedem Gebrauch herrichten. Deutsch kochen die beiden Berliner hier, und weil deutsche Kultur in Thailand einen guten Ruf geniesst, kommen die einheimischen Gourmets in Scharen. Aus dem Brainstorming-Prozess quetschen sich seit 2016 feine Häppchen, die auch in Europa Anklang fänden. Nur dass dort fast niemand daran denkt, Maultaschen oder Rinderroulade als High-End-Gang anzubieten, Labskaus und Currywurst zu veredeln. Klar, dass auch hier erzählt wird. Ideen, Traditionen, Gedanken – selbst die Oma spielt eine Rolle. Klar auch, dass die üblichen Finessen der Spitzengastronomie zum Spiel gehören. Ein Bissen Kaviar auf dem Labskaus muss halt sein, wenn die Gäste für Wein und Essen 250 oder mehr Euro zahlen. Den Gesetzmässigkeiten des Fine Dining können sich auch die Sührings nicht entziehen.
Apropos Kaviar. Gaggan serviert diesen auch, vielleicht als allerletztes Zugeständnis an die Essgewohnheiten seiner Gäste, macht sich aber gleichzeitig lustig über all die Influencerinnen und Influencer, die angesichts schwarzer Körner sofort die Handykamera zücken. Fotografieren sei nur dann erlaubt, wenn der Kaviar nicht offen zu sehen sei, scherzt Gaggan. Oder meint er es ernst? Versteckt hat er ihn deshalb unter einem Deckel, und um die Irritation auf die Spitze zu treiben, liegt der Kaviar auf einem Stück Melone. Eine Luxusmelone mit hohem natürlichem Süssegrad, den die Fischeier angenehm kontrastieren. Zusammen geht das ebenso als Desserthappen durch wie die folgende Foie-gras-Zubereitung. Ende erster Akt, kleine Pause.
Im richtigen Theater eilte man nun an die Bar, um Sekt zu bestellen; hier ist Zeit für den Toilettengang und eine schnelle Zigarette am warm-feuchten Abend Bangkoks. Den Abstecher in den ersten Stock, in dem das Zweitlokal Ms. Maria & Mr. Singh lockere Atmosphäre vermittelt, sollte man für den nächsten Abend ins Auge fassen. In der abenteuerlichen Mischung aus indischen und mexikanischen Traditionen (Taco Pork Vindaloo), kombiniert mit Natural Wines aus Slowenien oder Italien, schaut Gaggan im Laufe des Abends immer mal wieder vorbei. Unten beginnt nun der zweite Akt. Das Bühnenbild ist identisch, doch die Akteure wirken wie ausgewechselt. Grösser sind die Gänge nun, es geht weniger stakkatoartig zu, Licht- und Soundeffekte wirken eine Spur gemässigter. Das Schwadronieren überlässt Gaggan gern mal seinen Köchen; dass sich der Meister in den Vordergrund spielen würde, kann man nicht behaupten. Andererseits: Ohne Gaggan als Mittelpunkt fehlte der Ess-Oper der Dirigent. Weil der Mann ja auch andere Projekte verfolgt, etwa in Japan, stösst das Konzept des Geschichtenerzählens an seine Grenzen. Storytelling ohne den Ober-Storyteller? Nur die halbe Miete.
Auch ein Sühring-Essen ohne zumindest einen der beiden Brüder wäre kaum vorstellbar. Es kommt Kaisergranat mit Dill und Kombu – was daran deutsch ist, was französisch, kann man diskutieren. Die Ente im Heu liegt im schweren Topf und sieht grossartig aus. Auch hier kann man fragen, ob der zehn Tage lang gereifte Vogel mit Randen, Kaffee und Kirschen wirklich unters Stichwort deutsche Küche fällt oder eher ominösen Erwartungen der Gäste Rechnung trägt. Spätzle mit weissen Trüffeln aus Alba und Allgäuer Bergkäse würden einem echten Schwaben, ihrer Form und der Kombination halber, wohl Sorgenfalten ins Gesicht treiben, aber sie schmecken ausgezeichnet. Deutscher Riesling kommt auf den Tisch, und wenn zum Käsefondue ein Pfälzer Likörwein im Portweinstil gereicht wird und Luxusessig vom deutschen Doktorenhof den Gaumen erfrischt, freuen sich alle ob der vielen guten Ideen. Zur Roten Grütze und zu Omas Eierlikör lassen sich erst recht Geschichten erzählen, auch die Küche darf besucht werden. Deutsch oder nicht – egal: Das macht Spass, ist nicht nur eine Menge Storytelling, sondern auch eine wunderbare Fülle an Essen fürs Geld.
Die Sührings verabschieden herzlich, auch Anand ist fast fertig. Seine Gäste haben längst den Faden verloren. Ein Taco mit Schweinefleisch ist richtig gut, die gefüllte Teigtasche klasse. Und das vermeintliche Stück Ratte, das etwa eine Stunde nach dem stilisierten Rattenhirn serviert wird, hat natürlich nichts mit dem angeblich stets bei Regen gefangenen Nagetier zu tun. Alles ein Witz. Bei der in flüssigem Stickstoff gegarten Garnele kommen alle ins Grübeln. Was soll das? Mit Sterneküche hat das nur vereinzelt zu tun – aber Sterne à la Michelin hat das Restaurant (noch) nicht, und Anand scheint die Liste der 50 Best Restaurants eh wichtiger zu nehmen. Ein Reisgericht macht zum Schluss angenehm satt, der Sommelier bringt den neunten Wein der (exzellenten) Begleitung. Zeit für Selfies mit Anand und dem Team ist reichlich. «Fuck you», dröhnt es aus dem Lautsprecher; das Pärchen wird mit Rosenblättern zugeschmissen, und die drei Amerikaner springen vor Begeisterung fast über den Tresen. Zu Hause werden sie was zu erzählen haben. Ob sie die Ironie hinter dem Titel des Abschlusslieds wahrgenommen haben?
Restaurant Sühring
10 Yen Akat Soi 3, Chongnonsi, Yannawa, 10120 Bangkok
restaurantsuhring.com
Restaurant Gaggan Anand
68 Sukhumvit 31, Khlong Tan Nuea, Watthana, 10110 Bangkok
gaggananand.com
Mixen als Kunstform
Es darf in Bangkok sehr wohl Wein sein, sei es europäischer oder thailändischer. Die Kombination aus High-End-Küche mit asiatischen Zutaten und europäischen Anspielungen ist allerdings sehr gut auch mit Cocktails zu kombinieren. Und wenn es schon kein Mixdrink zu den Gerichten sein soll, dann passt vielleicht einer vor und einer nach dem Essen. Ins Restaurant Potong (restaurantpotong.com) etwa wurde die Opium Bar integriert, als Dependance zum Le Du (ledubkk.com) firmiert die Nuss Bar. Und auch bei Mathias und Thomas Sühring oder im Ms. Maria & Mr. Singh von Gaggan Anand sind kreative Cocktails sowohl mit als auch ohne Alkohol zu bekommen.