Modelle im Wandel

Vom Tellerwäscher zum Teamleiter? In der Gastronomie lässt sich durchaus Karriere machen. Allerdings spielen bei der Entscheidung, wer befördert wird, die klassischen Faktoren eine immer kleinere Rolle.
Text: Sarah Kohler – Fotos: Stephan Lemke, Hediyanti Gall, Archiv Salz & Pfeffer, z. V. g.
Veröffentlicht: 13.06.2023 | Aus: Salz & Pfeffer 3/2023
«Wir befördern so viele Mitarbeitende wie möglich intern», erzählt Daniel Reimann, CEO der Ospena Group.

Tatsächlich unterscheidet die Fachliteratur zwischen zwei möglichen Laufbahnen.

Gemeinhin ist klar, was eine Be­förderung bedeutet: den Aufstieg eines Mitarbeiters oder einer Mitarbeite­rin in einen höheren Dienstgrad. Damit verbunden sind in der Regel mehr Geld, ein prestigeträchtigerer Titel, ein höherer Status – und im Gegenzug eine grössere Verantwortung und die Erwartung, dass fortan mehr geleistet wird. Wer befördert wird, entscheiden meist die Vorgesetzten, wobei sie diverse Faktoren einfliessen las­sen und die Kriterien unterschiedlich gewichten können. So weit, so klar?

Zwei verschiedene Laufbahnen
Festhalten lässt sich generell: In der Gas­tronomie lässt sich Karriere machen. «Mit zwei Prozent Arbeitslosen und vielen of­fenen Stellen gibt der Markt grosse Herausforderungen vor», sagt zum Beispiel Lukas Meier, der die beiden 25hours Hotels in Zürich führt. «Wer sich jetzt reinkniet, hat gute Chancen, aufzustei­gen.» Daniel Reimann, CEO der Ospena Group, zu der die Molino-­Restaurants gehören, sieht im Gastgewerbe ebenfalls berufliches Potenzial: «Die Tellerwäscher­karriere existiert noch immer», sagt er. Darüber spricht auch Daniel Müller, Vor­sitzender der Geschäftsleitung Gastrono­mie bei den Bindella Unternehmungen. «Wir bilden im Rahmen von internen Ausbildungsmodulen zum Beispiel Buf­fetmitarbeitende zu Pizzaiolos aus, die von diesem Posten in den Service wech­seln und sich bis zum Chef de Service hocharbeiten können.»

Tatsächlich unterscheidet die Fachliteratur zwischen zwei möglichen Laufbahnen: der fachlichen sowie der Führungskarriere. «Für ein Unternehmen ist es ein Vorteil, wenn es beide Wege anbieten kann», sagt Kristina Tanasic, HR-­Chefin des The Li­ving Circle. «Aktuell arbeiten wir daran, das bei uns noch besser zu etablieren.» Kon­kret: Innerhalb der Hotel-­ und Landwirt­schaftsgruppe sollen Fachexpertinnen und Führungsleute künftig gleichermassen an­erkannt sein – auch in Bezug auf Löhne und Benefits, etwa bei der Pensionskasse.

Leaderfiguren sind selten
Die Stärkung der Optionen mit erweiter­ter Fachkompetenz, aber ohne Leitungs­verantwortung, entspricht dem Zeitgeist. Das klassische Modell, in dem der beruf­liche Aufstieg über kurz oder lang bedeu­tet, ein Team zu führen, weicht zuneh­mend der Erkenntnis, dass viele Menschen genau dafür nicht geeignet sind.

«Fachwissen kann man schulen», sagt dazu Bindella­-Chef Müller. «Aber wenn es um Führungsverantwortung geht, ist zuneh­mend der Charakter entscheidend.» Das sieht auch Jonas Gass, Direktor des Basler Nomad Hotel, ähnlich. Er unterscheidet: «Das Fachliche kann man lernen und Füh­rungsqualitäten erwirbt man in erster Li­nie durch viel Erfahrung, deshalb ist das eigentliche Killerkriterium die Sozial­kompetenz: Die müssen Mitarbeitende mitbringen.» Er entscheide sich, so der Mitinhaber der Krafft Gruppe, im Zweifelsfall immer fürs Menschliche – und sei damit selten schlecht gefahren. «Wenn es nicht funktionierte, dann in der Regel deshalb, weil Beförderte mit ihrer neuen Leitungsfunktion überfordert waren.»

«Wer sich jetzt reinkniet, hat gute Chancen, aufzusteigen», sagt Lukas Meier von den 25hours Hotels in Zürich.
«Man vergisst oft, dass es eine sorgfältige Übergabe braucht», gibt Kristina Tanasic, HR-Verantwortliche beim The Living Circle, zu bedenken.
Für Jonas Gass vom Basler Nomad Hotel ist klar: «Das Killerkriterium ist die Sozialkompetenz.»
«Auf Führungsebene sollte man die Besten um sich scharen», rät Daniel Müller, der bei den Bindella Unternehmungen zur Geschäftsleitung gehört.

Davon berichtet auch Meier von den 25hours Hotels: Pandemiebedingt, sagt er, seien in der Branche zu viele Leute zu schnell befördert worden. «Es brauchte Chefs, während auf dem Markt gleichzei­tig die Leute fehlten.» Auch er habe not­gedrungen Mitarbeitende aus den Teams befördert – und damit nicht nur gute Er­fahrungen gemacht. Die Führungsverant­wortung werde dabei oft unterschätzt, sagt Meier: «Titel, Lohn und Visitenkarte machen noch keinen Manager: Da kom­men viele Aufgaben auf einen zu, und man muss bereit sein, die Verantwortung zu übernehmen.»

Schwieriger Rollenwechsel
In der Frage, ob sich eine frei werdende Führungsposition besser intern oder ex­tern besetzen lässt, scheiden sich die Geis­ter. Es gibt Argumente für beide Wege. Ospena-­CEO Reimann etwa differenziert: «Wir befördern so viele Mitarbei­tende wie möglich intern. Im Kader­bereich achten wir allerdings darauf, dass sie eine hierarchisch höhere Stelle in einem anderen Betrieb antreten, um Interessenskonflikte im Team zu vermeiden, die zu Spannungen führen können.» Dabei pro­fitiert die Gastronomiekette von ihren verschiedenen Filialen. Gleiches gilt bei den Bindella Unternehmungen, wobei sich Müller strikter positioniert: «Wir be­fördern konsequent niemanden innerhalb eines Teams», sagt er. «Denn da wird aus einem kollegialen plötzlich ein Vorgesetz­tenverhältnis, was für alle Beteiligten schwierig ist.»

Die HR­-Verantwortliche Tanasic vom The Living Circle tendiert in dieser Frage in die andere Richtung: «Bei uns wird eine Stelle nach Möglichkeit intern besetzt.» Das habe den Vorteil, dass die Person die Betriebskultur, die Prozesse und Men­schen schon kenne. «Ausserdem möchten wir unseren Mitarbeitenden Karriere­möglichkeiten bieten.» Bei internen Be­förderungen, sagt Tanasic, gelte es aller­dings Folgendes zu beachten: «Man geht davon aus, dass die Person die Abläufe kennt, und vergisst, dass die Aufgabe trotzdem neu ist und es eine sorgfältige Übergabe braucht.»

Begleitung ist Pflicht
Für Gass, der im Nomad Hotel zwischen 80 und 90 Prozent der Führungspositio­nen, die frei werden, intern besetzt, ist genau das ein zentrales Element für eine erfolgreiche Beförderung. «Meistens gibt es zum Glück eine Übergangszeit, die wir nutzen können, um eine Nachfolge in die neue Position einzuführen», sagt er. «Oder jemand von der nächsthöheren Stufe ist für die Unterstützung zuständig.» Auch in den 25hours Hotels wird zwingend begleitet, wer intern aufsteigt. «Dafür braucht es einen klaren Plan, in dem fest­gelegt ist, wo man steht und wo man hin­ will», so Meier.

Apropos: Für Müller, der die Gastrono­mie seit Jahrzehnten als Führungsperson beobachtet, wissen fähige Köpfe ganz ge­nau, wohin sie wollen. «Auf Führungs­ebene sollte man die Besten um sich scha­ren, dabei aber bedenken, dass diese auch nur für die Besten arbeiten.» Weil es in der Gastronomie mitunter möglich sei, sehr schnell in hohe Positionen zu gelangen, sässen in diesen zum Teil auch Leute, die Angst davor hätten, übertrumpft zu wer­den – und deshalb lieber nicht mehr die Besten einstellen. «Das ist schade», sagt Müller. «Denn gerade die jungen Kader­leute, die jetzt auf den Markt kommen, sind extrem gut ausgebildet – und haben richtig Lust, etwas zu reissen.»

«Am besten skizziert man einen ‹Avatar›»

Arbeitspsychologin Rita Buchli kennt die Stolpersteine bei Beförderungen.


Was sollte man als Chef oder als Chefin bei einer Beförderung lieber vermeiden?
Rita Buchli: Die fachlich beste Person aus ihrer Position weg­zubefördern. Damit verliert man auf jeden Fall eine Fach­kraft – und hat in der neuen Funktion nicht zwingend je­manden, der gut führen kann. Oft wird auch diejenige Person befördert, die am längsten im Betrieb ist. Das mag der Weg des geringsten Widerstands sein, man kennt sich, ist mitein­ander verbandelt: Aber die richtige Besetzung ist es deswegen nicht unbedingt.

Welches Vorgehen empfehlen Sie?
Zuerst sollte man sich überlegen, was man auf einer Position braucht und will. Welche Ziele sind gesteckt, welche Werte gibt es? Am besten skizziert man einen «Avatar» der Person, die die offene Stelle besetzen soll; im Kopf oder auf Papier. Dann schaut man, ob es in den eigenen Reihen jemanden gibt, der diesem Profil entspricht – oder jemanden, der sich dahin entwickeln liesse. Auf jeden Fall sinnvoll sind im Vor­feld Gespräche darüber mit dem Team.

Sollte dieses denn mitentscheiden?
Bei einer externen Rekrutierung kann man das Team sicher gut einbinden. Den Ansatz, dass Führungspositionen im Rahmen eines rein demokratischen Prozesses besetzt werden, halte ich generell aber für schwierig. Das funktioniert nur, wenn es wirklich zur Unternehmenskultur passt.

Was halten Sie von Beförderungen aus dem Team heraus?
Ich finde das sehr sinnvoll. Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass es Mitarbeitende extrem motiviert, wenn man ihnen Perspektiven bieten kann. Chefs und Chefinnen sollten Wün­sche diesbezüglich ernst nehmen. Wer intern Menschen nachziehen kann, darf stolz sein.

Aber ganz unproblematisch ist es auch nicht.
Klar, es verändert viel, wenn man ein Teammitglied befördert, und der Rollenwechsel ist mit Hürden verbunden. Aber auch die externe Rekrutierung bietet Risiken: Schliesslich kennt man die Person ja nicht, weiss nicht, welche Stärken und Schwächen sie hat und ob sie ins Team passt. Gerade im Hin­blick auf den Fachkräftemangel dünkt mich die interne Be­förderung ein wichtiges Konzept. Firmen, die keine Entwick­lungsmöglichkeiten bieten, finden irgendwann keine Leute mehr oder können sie nicht behalten.

«Besser heute als morgen umdenken»

Daniela Christen ist als New-Work-Beraterin bei Gobeyond tätig.

New Work ist derzeit in aller Munde. Was versteht man darunter eigentlich genau?
Daniela Christen:
Im Zentrum von New Work steht stets die Frage, wie wir heute und in Zukunft zufrieden und ge­sund zusammenarbeiten – und zwar in einer Welt, die sich ständig verändert. Es geht dabei also nicht einfach darum, wer von uns im Homeoffice arbeiten kann und wer nicht, sondern es braucht branchenunabhängig überall neue Mo­delle und Denkweisen.

Diese Perspektive beeinflusse auch die Frage, wer befördert wird, sagen Sie.
Richtig. Vom Klassiker, einfach die dienstälteste Mitarbei­terin oder den fachlich Kompetentesten auf der Karriere­leiter hochzuschicken, werden wir wegkommen. Nicht zu­letzt auch deshalb, weil die Generation Z nicht mehr primär auf diese Aufwärtsbewegung abzielt. Ausserdem gibt es Studien, die belegen, dass der Motivationsschub, den eine Beförderung für Mitarbeitende mit sich bringt, nach drei Jahren vorbei ist.

Was brauchen wir stattdessen?
Eine pauschale Antwort darauf gibt es nicht, aber auf jeden Fall mehr individuelle Wege und Lösungen. Wer in einem Arbeitnehmendenmarkt seine Leute behalten will, muss bes­ser heute als morgen umdenken. Klar ist: Eine Beförderung wird nicht mehr zwingend bedeuten, Führungsverantwor­tung übernehmen zu müssen, sondern sich eher danach ausrichten, dass sich eine Person verstärkt auf das konzen­trieren kann, was sie gerne und darum in der Regel gut macht. Und es gibt bereits Unternehmen, die Modelle an­wenden, in denen es in der Karriere eben nicht primär auf­wärts geht.

Erzählen Sie!
Ich kenne zum Beispiel den Ansatz, Mitarbeitende rotieren zu lassen. Indem diese regelmässig die Position wechseln und zugleich neue Erfahrungen sammeln, bleibt die Motivation erhalten und ist die berufliche Entwicklung garantiert. Eine offene Frage dabei ist jene nach der Lohnerhöhung: An wel­chem Punkt gibt es mehr Geld, wenn wir in der Karriere nicht mehr klassisch die Leiter emporsteigen, sondern uns stattdessen seitwärts bewegen? Im New­-Work-­Bereich wird dazu viel experimentiert. Was sich davon durchsetzt, wird sich zeigen.



Seite teilen

Bleiben Sie auf dem Laufenden – mit dem kostenlosen Newsletter aus der Salz & Pfeffer-Redaktion.

Salz & Pfeffer cigar gourmesse