Einfach, oder?
Im Rubino, in der Basler Innenstadt, wird gegessen, was Manuela Buser kocht, und getrunken, was Beat Rubitschung kredenzt. Wem das nicht passt, der bleibt vor der Türe. Tut aber keiner.
Die Pointen sitzen, die Gerichte auch.
Das Schwarzbubenland gehört zum Kanton Solothurn und liegt vor den Toren Basels. Es ist in die Bezirke Dorneck und Thierstein aufgeteilt und besteht aus 23 Gemeinden. Bekannt ist es für seine Burgen, Ruinen, Klöster und seine Naturlandschaft, weniger für gastronomische Höhenflüge. Doch auch hier gibts Ausnahmen. Von einer sei die Rede.
Die Luft riecht würzig, der Miststock dampft, der Hahn ist verstummt. Die Gedanken an die Stadt, an die endlose Parkplatzsuche, den verspäteten Bus, die gesperrten Strassen, an die schreibwütigen Polizisten oder an das genervte Verkaufspersonal werden durch eine kreischende Motorsäge unterbrochen. Bauer Fringeli schneidet die Hochstammbäume, Sohn Albert hebt die Äste vom Boden auf und stapelt sie auf dem Holzanhänger, der am alten, roten Traktor, der leise vor sich hin tuckert, angehängt ist. Wild wechselt die Waldgrenze, und aus der Küche des Landgasthofs Roderis duftet es nach Knoblauch, angerösteten Zwiebeln, Markbein und eingekochtem Rotwein. Köchin und Inhaberin Anita Stämpfli ist an der Arbeit.
In gut zwei Stunden werden im Landgasthof Roderis für die zahlreichen Stammgäste die ersten Forellen auf den Tellern landen, und Gastgeber Franco Pittaro wird dazu einige Flaschen Pinot noir saignée kredenzen, bevor sich die Tafelrunden mit Brasato und Polenta auseinandersetzen. Gut, Wiederholungstäter legen einen Zwischengang ein, kommen sie doch nicht über die Runden, ohne an einem halben, auf dem Biersud gegarten Mistkratzer geknabbert zu haben. Dazu werden von Hand geschnittene Frites gereicht, die im Rinderfett ihre dunkelbraune Farbe bekommen. Die Kunst des zweifachen Frittierens beherrschen nicht nur die Belgier, sondern hat auch Stämpfli im Griff, indem sie die Frites zuerst in 140 Grad heissem Rinderfett vorfrittiert und die Stäbchen erst nach einer kurzen Abkühlung ein zweites Mal bei 160 Grad ausbackt, auch wenn die Deutsche Gesellschaft für Fettwissenschaft 175 Grad empfiehlt. «Aussen knusprig und innen weich, lautet meine Devise für die optimalen Pommes frites», sagt Stämpfli.
Vorerst lindert ein Griebenschmalzbrot mit einem Glas Gutedel den gemeinen Hunger. Zeit, sich vor dem Mittagstisch die Beine zu vertreten. Zeit, die Natur zu besuchen, gleich auf der Sonnenbank vor der Beiz eine Pause einzulegen oder im Kaltbrunnental auf einem kissenweichen Moospolster über die Leichtigkeit des Seins zu sinnieren. Über ein Stück ofenwarmen Früchtekuchen nachzudenken, geht aber auch. Apropos Kaltbrunnental. Ein Besuch dieses mystischen, wildromantischen Fleckens mit plätscherndem Bach und rauschendem Wasserfall, mit alten Bäumen, sattgrünem Moos und mächtigen Felsen lohnt sich. Überall spriessen die Wildkräuter. Nicht nur Bärlauch, der in rauen Mengen wächst, sondern je nach Saison Gundelrebe, Labkraut, Brennnessel, Geissfuss, Wiesenschaumkraut und falsche Schlüsselblümchen, die geerntet werden dürfen. «Die echten sind geschützt und werden stehengelassen. Das gehört sich so», sagt Stämpfli. In der Ferne schlägt die Kirchenturmuhr zwölf Uhr, höchste Zeit, bei den beiden endlich einzukehren. Der Gast darf sich auf eine reelle, saisonale Küche freuen, die immer wieder zu überraschen weiss. Wer das Gourmettheater liebt, lässt es bleiben.
In der Küche holt Stämpfli den Braten aus dem Ofen, den Lebenspartner Pittaro mit launigen Worten auftischt. Er ist aber weit mehr als ein Sprüche klopfender Gastgeber. Er kauft ein, sucht und findet gute regionale Produkte, putzt Gemüse, rüstet, kocht mit, nascht und schmeckt ab. Sein Gaumen ist so fein wie sein Humor. Die Pointen sitzen, die Gerichte auch. Er öffnet die Weinflaschen, degustiert, schenkt ein und lässt sie auf dem Tisch stehen. Zum selber Nachschenken, logisch. «Das isch Läbenskultur», genauso wie das Hühnerleber-Parfait von Stämpfli. «Das Beste», sagt Pittaro, der perfekte, liebevolle und eigenwillige Gastgeber.
Das zieht zahlreiche Gäste an, die schnell zu Stammgästen mutieren, zwei Forellen verdrücken und den Fisch mit einer Flasche Dézaley runterspülen. Danach wartet auf sie der erste Stock, wo sie sich an einer Zigarre und an einem Single Malt festhalten und nach einem zweiten Lebenswasser die Option annehmen, den hauseigenen Transferdienst zur Bahnstation nach Grellingen zu nutzen. Bauer, Banker und Promis geben sich hier ohne Allüren friedvoll Rauchzeichen und diskutieren über mehr Welt als Gott.
Und für alle Schleckmäuler drängt sich statt der Zigarren die Torte oder der Kuchen des Hauses auf. Das Ganze erinnert an eine grosse Familie. Im Mittelpunkt Papa Franco Pittaro, der seine Gäste mit launigen Bonmots und trockenem Humor unterhält. Damit dies möglich ist, hält ihm Sara Stämpfli den Rücken frei, die auftischt, abräumt, ein- und nachschenkt - und sich für die Wiese hinter dem Haus einige Ponys wünscht. «Dann könnten unsere jüngsten Gäste eine Runde im Sattel sitzen, während die Eltern gemütlich tafeln», was im Ernstfall den passionierten Beizengängern die Haare zu Berge stehen lassen würde. Ein Ponyhof? «Nein, nein», wehrt Pittaro ab. «Unser Kerngeschäft bleibt die Forelle.» Klingt beruhigend. Noch ein Satz zur Forelle: Anita Stämpfli brät sie am Bauch knusprig, während sie den Fisch von der Mitte des Körpers an bis hin zum Rücken blau gart und mit viel Anke anrichtet. Kalorienzähler wehren sich bei der Bestellung, was für Roderis-Forellen-Freaks allerdings ein Fauxpas wäre.
Hier als Gast anzukommen, heisst zurücklehnen und sitzen bleiben. Wer es ruhig mag und mit dem Patron einige Worte wechseln will, der sucht sich trübe Regentage aus und meidet sonnige Wochenenden. Anita Stämpfli und Franco Pittaro haben die Wirtschaft vor zwei Jahren aus einem sechsjährigen Dornröschenschlaf geweckt. Heute erstrahlt die Legende schöner denn je. Sie haben behutsam restauriert, geflickt und ergänzt. «Entstanden ist ein unvollendetes Bijou, dessen Scheune und Dachstock wir dieses Jahr zu einem kleinen, stilvollen Hotel ausbauen lassen werden», sagt Pittaro. «Das Fumoir wird noch einen offenen Kamin erhalten und somit noch stimmungsvoller werden, und die lieblos in den Achtzigern eingebauten Kunststofffenster werden durch stilechte Holzfenster ersetzt», ergänzt er. Bereits in Betrieb genommen sind der plätschernde «Dorf»-Brunnen vor der Eingangstreppe, das zur Fonduestube umgebaute ehemalige Bienenhaus (ein Fondue gibts nur auf Voranmeldung) und der lauschige Garten. Ein mit Fenstern und Dachziegeln aufgepeppter Holzstapel schützt vor der Durchgangsstrasse und vor dem Miststock des Nachbarn. Im November 2018 wird dann wohl alles so sein, wie sich das Stämpfli und Pittaro wünschen.
Und sonst? Die Weinauswahl hat Ausbaupotenzial, sie wartet aber mit einigen süffigen Klassikern aus der Westschweiz und einer wilden, zahlbaren Überraschung aus dem Burgund auf. Bierfreunde werden mit dem regionalen Chastelbach aus dem nahen Himmelried verwöhnt. Ganzjährig verfügbar ist ihr Amber «Guggispez», ein goldblondes, untergäriges, naturtrübes Spezialbier während für kalte Tage ab und zu ein würziges Red Amber «Änetbächler» eingeschenkt wird, das einem englischen Bitter ähnelt. Charakterbiere, die nicht nur geübte Bierfreunde begeistern.
Landgasthof Roderis
Eichelbergstrasse 6, 4208 Nunningen
061 791 03 21
www.roderis.ch