Was der Boden hergibt
Am diesjährigen Symposium besinnt sich Soil to Soul auf seine Wurzeln – und holt einen Star der portugiesischen Küche nach Zürich, dessen Konzept perfekt zur Veranstaltung passt.
«Hier geht meine Küchensprache direkt an den Gast»
Ofenwarme Nusstorten, glänzende Meringues in einer hohen Glasschale und pastellfarbene Blumen stehen auf dem Holztresen. Daneben präsentieren sich Confits von süss-saurem Kürbis, Cherrytomaten und Chutneys in hübschen Gläschen. Wer die schlicht gehaltene Gaststube der Ustria Steila betritt, bekommt bereits eine Ahnung vom Geist dieses Hauses in der 180-Seelen-Gemeinde Siat in der Surselva. In der zum Gastraum hin offenen Küche steht die Wirtin an ihrem Arbeitsplatz und schneidet Gemüse für die Gerstensuppe. Gabriella Cecchellero ist Gastgeberin, Küchenchefin, Köchin und Commis de cuisine in einer Person. Sie kocht allein, auch wenn im Restaurant alle 40 Sitze belegt sind. Und das ist nicht selten der Fall. Wer ist diese zierliche Frau, die mit ihrer Kulinarik selbst Sternekoch Andreas Caminada ins Schwärmen bringt?
«Ich war schon als Kind handwerklich begabt», sagt Cecchellero, und Kochen sei nichts anderes als ein Handwerk. Eines, bei dem sie kreativ sein und immer wieder Neues austüfteln könne. Doch sie ist keine, die ihre Kreationen ins Rezeptheft schreibt. «Meine Gäste haben mehr Fotos von meinen Gerichten als ich», sagt sie. Sie arbeitet aus dem Bauch heraus, probiert, überdenkt, verändert und streicht auch mal eine Idee, wenn es nicht 100-prozentig passt. Nur in einem Punkt ist sie zu keinerlei Abstrichen bereit: Die Rohprodukte müssen erstklassig sein. Das Bio- Fleisch, die Ziegenmilch für den hausgemachten Käse, der Honig, das Brot und die Eier kommen von Bauernhöfen aus dem Dorf oder der nahen Umgebung. Die Kräuter zieht sie selber im Garten. «Regional und saisonal», das ist bei ihr kein blosses Motto – das lebt die 52-Jährige. Ohne Kompromisse. Gabriella Cecchellero machte früh Karriere. Mit knapp 20 Jahren stand sie im Quellenhof in Ragaz am Herd. «Es war wie eine zweite Ausbildung», sagt sie rückblickend. Nach der Lehre in einem Kleinbetrieb sei es schon etwas verrückt gewesen, plötzlich mit 26 Köchen in einer Riesenküche zu arbeiten und für 200 Gäste zu kochen. Der Küchenchef hatte rasch erkannt, dass die einzige Frau in seinem Team gern kreativ arbeitet, und förderte sie entsprechend. Doch Cecchellero wollte möglichst viele Erfahrungen machen und zog weiter. Unvergessen bleibt ein Stage in einem Ausflugsrestaurant: «Das war der Horror», erzählt sie lachend, «aber ich lernte zu organisieren.»
Nach ein paar Jahren kehrte Cecchellero nach Bad Ragaz zurück und übernahm als Küchenchefin das Zepter am Herd des damaligen A-la-carte-Restaurants Äbtestube im Grand Hotel Hof Ragaz. Dort war es nichts Aussergewöhnliches, für Baroninnen, Schauspieler und Politiker das Essen zuzubereiten. «Das Kochen war zum Teil sehr kompliziert», erinnert sie sich. Dabei seien Hummer, Gänseleber und ähnliche Delikatessen noch das Einfachste gewesen. Einer der Promis habe jeden Tag auf einem Entrecote mit Bohnen bestanden – «gekocht nur von Gabi». Oder die Gäste wollten ihren Apéro in der Küche trinken und ihr bei der Arbeit über die Schulter gucken. Einige buchten sie für private Anlässe bei sich zu Hause. So wie der Industrielle Thomas Schmidheiny, dessen Rottweiler sich vor der Tür postierte und die junge Frau knurrend und mit gefletschten Zähnen in der Küche zurückhalten wollte.
Mit 25 hatte sich Cecchellero bereits einen Namen gemacht. Die Direktion hatte ihr das Ziel vorgegeben: Sie sollte möglichst viele Gault-Millau-Punkte erkochen. Und das tat sie innerhalb der acht Jahre, die sie in der Äbtestube verbrachte. Bald hatte sie 16 der begehrten Punkte. «Ich habe damals auch für mein Ego gekocht», sagt sie. Sie sei Trends gefolgt und habe den enormen Druck total okay gefunden. Doch 2003 erfüllte sie diese Art Kochen nicht mehr: «Ich wollte weg von allem und mein eigenes Ding machen.» Sie sammelte Erfahrungen in diversen Lokalen – bis sie im Schloss Sins ihre berufliche Bestimmung fand: die Bio-Küche.
2012 führte das Schicksal Cecchellero in die Ustria Steila nach Siat. Zusammen mit ihrem Lebensgefährten Hugo Hess, der seit ihrem 22. Lebensjahr an ihrer Seite ist, übernahm sie die Ustria. Während er für die Administration und den Service zuständig ist, kocht sie. «Hier geht meine Küchensprache direkt an den Gast», sagt sie. Die Gäste spüren ihre Leidenschaft für die ehrliche, schnörkellose Küche – und ihre konsequente Umsetzung des «Regionalen und Saisonalen». Dass nur wenige Einheimische die Ustria frequentieren, bleibt ein Wermutstropfen. «Wir hätten gerne gehabt, dass an einem Tisch die Leute aus dem Dorf auf Romanisch diskutieren und am Nachbartisch die Unterländer ihr Abendessen geniessen.» Über die Gründe des Fernbleibens der Einheimischen will Cecchellero nicht spekulieren.
Dafür kommen die Gäste von überall sonst her. Weil sich trotz des abgelegenen Örtchens herumgesprochen hat, dass da eine aussergewöhnliche Frau am Herd waltet. In der Steila treffen Feinschmecker, Wanderer und Ausflügler aufeinander. Auch Sternekoch Andreas Caminada hat das Restaurant für sich entdeckt. Er kommt ab und an, um Capuns zu essen. Und auf die Frage eines Journalisten, ob er ein Lieblingslokal habe, nannte der Starkoch ein Restaurant in Amerika – und die Steila. Gabriella Cecchellero ist angekommen im Leben. «Ich koche, was mir Spass macht.» Sie zaubert aus einem Stück Siedfleisch mit ihren Kräutern und Gemüsen eine unwiderstehliche Kreation, verwertet immer das ganze Tier und macht aus dem Filet ein Carpaccio, damit möglichst viele etwas davon haben. Dabei sei Filet für sie total unwichtig geworden – so unwichtig wie Gault-Millau-Punkte. Ihr sei viel wichtiger, die Gäste für das Einfache zu begeistern, indem sie es spannend kombiniert. Die Gerichte auf ihrer Karte wechseln ständig: «Ich muss immer kreativ und überraschend bleiben, sonst wird mir schnell langweilig.»
Ihre Zukunft sehen die Betreiber der Ustria Steila dort, wo sie jetzt bereits sind: fast wunschlos glücklich. Ein bisschen mehr Freizeit wäre schön, sind sie sich einig. Für die Zukunft der Branche sehen sie keine revolutionären Veränderungen. Es würden auch weiterhin viele Lokale auf- und bald danach wieder zumachen. «So mancher hat das Gefühl, er könne einen Betrieb führen», sagt die Wirtin, «dabei unterschätzen die meisten, was da auf sie zukommt.» Auch neue Trends werde es immer geben. Die kämen und gingen, so wie die Nouvelle Cuisine, die Molekularküche oder seit neustem die Alpenküche. «Das ist auch gut so», sagt Cecchellero, das hält das Gewerbe in Schwung – und es muss ja nicht jeder mitmachen.»
Siedfleisch vom Siater Bio-Limousine-Natura-Beef (Schulterspitz) mit Gemüse-Gerstenvinaigrette und hausgemachtem Senf
Zutaten
1 Kilo Rindsschulterspitz (Vorzugsweise vom Weiderind)
1 Bouquet garni
1 Kartotte (rot)
1 Karotte (gelb)
1 Lauch
1 Sellerie
1 Tomate (enthäutet, entkernt, gewürfelt)
30 Gramm Rollgerste
1 Meerrettichwurzel
Den Rindsschulterspitz klassisch mit dem Gemüsebündel auf kleiner Stufe ziehen lassen, bis er gar ist. Gemüse zu Brunoise schneiden in Salzwasser blanchieren. Gerste in Wasser kochen, kalt abschrecken. Gerste, Gemüsebrunoise, die in feine Würfel geschnittenen Radiesli und die Tomaten in Würfel miteinander vermischen mit Balsamico, Olivenöl marinieren, mit Salz und Pfeffer, Kräutern abschmecken. Siedfleisch aufschneiden, die lauwarme Gemüsevinaigrette obenauf geben, frischen Meerrettich darüber reiben. Anrichten und garnieren. Dazu passen Bohnen oder Bratkartoffeln.
Weinempfehlung
Grand Cru von Giani Boner Malans