Wege aus der Plastikflut

Einwegplastik ist die globale Müllsünde Nummer eins. Wie steht es in Schweizer Profiküchen darum? Wir haben Gastronomen nach Lösungsansätzen gefragt.
Text: Virginia Nolan – Fotos: Njazi Nivokazi
Veröffentlicht: 11.02.2020 | Aus: Salz & Pfeffer 1/2020

«Am stärksten fällt der Wareneinkauf ins Gewicht.»  

Mindestens 68 Millionen Tonnen Plastik treiben laut offizieller Schätzung in den Weltmeeren, und jedes Jahr kommen zwischen fünf und zwölf Millionen Tonnen dazu. Während die Europäische Kommission ein Verbot für Einwegplastik plant, bleibt die Schweiz vorerst tatenlos. Das ändert nichts am Handlungsbedarf – auch in der Gastronomie. Am meisten Einwegplastikmüll produziert diese im Take-away-Bereich, doch auch die Profiküche selbst kommt nicht ohne Plastik aus. Was fällt dabei ins Gewicht, und wo gibt es Verbesserungspotenzial?

Die Nachfrage bei verschiedenen Betrieben zeigt, dass Frischhaltefolie zu den beliebtesten Küchenhelfern aus Einwegplastik gehört. Sie schützt Frischwaren vor dem Austrocknen und hält Bakterien von ihnen fern. «Um die Folie kommt man nicht herum», sagt Sara Hochuli, Gastgeberin im Café Miyuko in Zürich, «was nicht bedeutet, dass man ihren Einsatz nicht stets hinterfragen soll: Ist es wirklich nötig?» Plastikfolie braucht die Patissière etwa in der Produktion. Sie wickelt Torten ein, bevor sie in den Schockfroster kommen, damit sie formstabil bleiben. Auch ausgeliefert werden sie in Frischhaltefolie. «So bleibt das Kondenswasser nicht am Fondant hängen», sagt Hochuli. «Manchmal ist Frischhaltefolie ein notwendiges Übel. Trotzdem ist es uns gelungen, den Verbrauch massiv zu reduzieren. Bei der Mise en place etwa arbeiten wir jetzt mit luftdichten Kunststoffbehältern, statt alles mit Folie abzudecken.»

Eine Alternative zur Plastikfolie haben die Vegi-Restaurants Tibits im Einsatz: wiederverwendbare Silikonfolie. «Wir testen nun, wie praxistauglich diese im Hinblick auf die Hygiene ist», sagt Tibits-Mitgründer Reto Frei. Einen weiteren Testlauf plant Tibits mit plastikfreier Frischhaltefolie aus Zellulose. «Das ist zwar kein Mehrwegprodukt, aber aus natürlichem, schnell abbaubarem Material», so Frei. Ein weiterer Topseller aus Einmalplastik sind Vakuumbeutel. Zum Einsatz kommen sie etwa beim Sous-vide-Verfahren. Sebastian Funck, Küchenchef der Wirtschaft im Franz in Zürich, ist begeistert von der Garmethode – und stellt sich trotzdem die Frage nach ihrer Berechtigung. «Sie verschlingt Unmengen von Plastik», sagt er, «wir fragen uns, wie weit wir damit noch gehen wollen.» Nicht alle Profiküchen arbeiten mit Sous-vide-Verfahren, aber ein Vakuumiergerät hat jede. Luftdicht verschlossen im Plastikbeutel sind Lebensmittel um ein Vielfaches länger haltbar und lassen sich platzsparend lagern. Hier böte der Markt eine umweltfreundlichere Alternative: die sogenannte Green-Vac-Methode, ein Mehrweg-Vakuumiersystem, das ohne Beutel auskommt. Lebensmittel werden dabei direkt im GN-Behälter aus Chromstahl vakuumiert und gelagert.

Was halten Köche davon? «Die Idee ist gut, scheitert in meiner Küche aber am Platz», sagt Frank Widmer, Executive Chef im Zürcher Fünf-Sterne-Hotel Park Hyatt. «Plastikbeutel kann ich stapeln, Chromstahlbehälter sind sperrig.» Ähnlich argumentiert Marius Frehner, Küchenchef und Inhaber vom Restaurant Gamper in Zürich: «Wir arbeiten auf kleinem Raum, die Platzfrage stellt sich immer.» Mit Vakuumbeuteln versucht Frehner sparsam umzugehen, «sie nur dann einzusetzen, wenn es wirklich nötig ist». Hier sieht auch Funck grosses Sparpotenzial: «Man muss nicht jeden Krümel vakuumieren. Für vieles tuts auch ein Mehrwegbehälter aus Kunststoff.» Patissière Hochuli empfiehlt derweil Einmachgläser: «Die scheinen mir auch im Hinblick auf Geschmacksneutralität die beste Lösung zu sein.»

Frischhaltefolie, Vakuumbeutel und Co. produzieren zwar viel Plastikmüll, am stärksten fällt jedoch der Wareneinkauf ins Gewicht, weiss Bettina Kahlert. Sie ist Teamleiterin Effizienzberatung bei der Stiftung Myclimate und berät Gastronomen in Nachhaltigkeitsfragen. «Wie viel Plastik beim Einkauf anfällt, hängt vom Conveniencegrad der Küche und der Wahl der Lieferanten ab», sagt Kahlert. «Fertigprodukte sorgen für mehr Plastikabfall als Frischwaren, und wer bei regionalen Produzenten statt Importeuren einkauft, hat auch weniger Kunststoffverpackungen im Warenkorb.» Entscheidend sei aber auch, dass Betriebe das Gespräch mit Lieferanten suchten und sich erkundigten, ob grössere Gebinde, dünnere Folien oder plastikfreie Alternativen verfügbar seien. «Das kostet Gastronomen Zeit», räumt Kahlert ein, «aber es ist der grösste Hebel, den sie im Hinblick auf die Plastikproblematik haben.»

Von dieser Möglichkeit macht man bei Tibits Gebrauch. Beispielsweise fordere man Lieferanten dazu auf, grosse Gebinde einzusetzen, sagt Frei. So würden Süssmost, Eistee, Essig oder Olivenöl in Zehnliterbeuteln geliefert. «Davon, hier auf Glas umzustellen, sehen wir auch aus Umweltgründen ab», sagt Frei. «Die schwerere Fracht würde wohl zu einem erhöhten Benzinverbrauch führen.» Das kommt auf den Standort des Lieferanten an, weiss Expertin Kahlert: «Liegt er in der Region, hat Mehrwegglas etwa die bessere Ökobilanz als Pet. Bei langen Transportwegen hat Pet die Nase vorn.» Für Milchprodukte hat Tibits beim Lieferanten eine Speziallösung erwirkt: Sie kommen im Fünflitereimer. Ähnliche Lösungen habe man für eingelegte Oliven oder Peperoncini. «Der Wermutstropfen bleibt», sagt Frei, «dass die Gebinde aus Einwegplastik sind. Wir sind auf der Suche nach einem Hersteller, der uns eine Mehrweg-Alternative anbieten kann.»

Für Marius Frehner, der im Gamper eine kompromisslos regionale Küche pflegt, ist der enge Austausch mit Produzenten Teil seiner Philosophie. Er arbeitet mit einer Handvoll Bauern zusammen, auf die Karte kommt, was diese im Angebot haben. Vom Feld auf den Tisch, das ist im Gamper Alltag. «Plastikverpackungen sind im Einkauf daher eigentlich kaum ein Thema», sagt Frehner, «höchstens bei gewissen Milchprodukten.»

Und Hotel-Küchenchef Widmer hat schon vor Jahren damit angefangen, Lieferanten nach umweltfreundlicheren Verpackungen zu fragen. Falls der Metzger Fleisch vakuumieren soll, bittet Widmer ihn, grosse Beutel statt Kleinformate zu verwenden. Gemüse und Früchte kommen lose in der Mehrwegkiste, Kräuter in Papier gewickelt statt in der Plastikfolie. «Ich muss da kaum mehr Druck ausüben», sagt Widmer, «weil die vom Engrosmarkt mithelfen. Die Zeiten, als ich wegen Salatköpfen in Plastikfolie reklamieren musste, sind vorbei.»

Bei Importware ist die Sache komplizierter, wie die Erfahrung der SV Group zeigt. «Gerade beim Gemüse versuchen wir immer wieder, Einfluss zu nehmen, damit weniger Plastik zum Einsatz kommt, bleiben dabei aber meist erfolglos», sagt Manuela Stockmeyer, Medienverantwortliche beim Gemeinschaftsverpfleger. «Wir sind auf dem internationalen Markt zu klein, um eine Veränderung zu bewirken.» Tiziano Marinello, Frischwarenhändler, Mieter und Verwaltungsrat im Zürcher Engrosmarkt, kennt das Problem. «Bei Importware gibt es im Hinblick auf umweltfreundlichere Verpackungen viel Luft nach oben», sagt er. «Ich weiss nicht, was an folierten Gurken und Salaten hygienischer sein soll. Je nach Angebotslage findet sich aber nichts anderes.» Die Plastikfolie sei in diesem Fall nicht nur umweltbelastend, sondern auch unpraktisch: «Dann bestellt ein Gastronom 20 Kilogramm Gurken – und muss jede einzelne aus der Folie wickeln. Es ist schon vorgekommen, dass wir stundenlang Gurken auspackten, um Kunden nicht zu verärgern.»

 

Umso erfreulicher gestalte sich der Austausch mit heimischen Gemüse- und Früchteproduzenten. «Unsere Standardgemüse wie Brokkoli, Salat oder Karotten wachsen höchstens 25 Kilometer vom Engrosmarkt entfernt», sagt Marinello. «Wir pflegen einen engen Kontakt mit unseren Produzenten und konnten deshalb schon viele Verbesserungen erzielen.» So lieferten mittlerweile viele Bauern ihre Ware lose in Mehrwegkisten an. Zwiebeln kämen nicht mehr in plastifizierten Zehnersäcken, sondern in Paletten daher, wobei eine Palette rund 60 Säcke ersetze. «Bei manchen Lebensmitteln wie Salat bleibt es schwierig», sagt Marinello. «Einige Produzenten arbeiten auch für Grossverteiler, bei denen das Produkt länger halten muss. Eigens für uns eine Charge ohne Folie zu produzieren, wäre zu aufwendig.» Handlungsbedarf ortet der Frischwarenhändler bei den Einwegplastiksäcken. Pro Jahr braucht er für seine Kunden gut 250 000 davon. Demnächst wird Marinello auf eine Alternative aus Bioplastik umstellen. «Dafür zahlen wir einen Aufpreis von über 20 000 Franken pro Jahr», sagt er. «Aber es ist die schlauste Lösung, die uns einfällt.»

Bioplastik: Ein zweischneidiges Schwert
Sogenannter Bioplastik wird oft als umweltfreundliche Alternative zu herkömmlichem Plastik beworben. «Von Bioplastik ist die Rede, wenn Kunststoff aus nachwachsenden Rohstoffen wie Mais, Zuckerrohr, Palmblättern oder Hanf gewonnen wird», sagt Bettina Kahlert von der Stiftung Myclimate. Ist biobasierter Kunststoff ökologischer als klassischer Plastik aus Erdölprodukten? «Das kommt sehr darauf an, wo und unter welchen Bedingungen der Rohstoff angebaut wurde», so die Nachhaltigkeitsexpertin, «ob der Anbau extra für die Produktion von Bioplastik stattfindet oder ob der Rohstoff ein landwirtschaftliches Abfallprodukt darstellt.» Berücksichtige man die ganze Lieferkette, schnitten biologische Kunststoffe oft nicht besser ab als erdölbasierte. Ausserdem hinke die Kompostierbarkeit als Verkaufsargument: «Tatsache ist, die meisten Bioplastikarten kompostieren zu langsam, es dauert je nachdem viele Jahre, bis sie abgebaut sind. Moderne Anlagen sind dafür nicht eingerichtet. Die Entwicklung geht in die richtige Richtung, ist aber noch unausgereift.»

Plastikrecycling: Ja oder nein?
Seit einiger Zeit bieten Entsorgungsunternehmen spezielle Sammelsäcke für Plastikabfälle an. Von der Möglichkeit, Plastik separat zu sammeln und dem Recycling zuzuführen, wollte auch die SV Group Gebrauch machen. «Wir haben Tests mit Kleinverpackungen und Plastikfolien durchgeführt», so Mediensprecherin Manuela Stockmeyer. «Allerdings ist noch kein effizientes Entsorgungskonzept verfügbar. Probleme bereiten die unterschiedlichen Kunststoffarten und Verschmutzungsgrade.» Stockmeyer spricht damit an, was Plastik zum Recycling-Problemfall macht: Mischkunststoffe lassen sich oft nicht sortenrein auftrennen. Lösungen wie der Sammelsack für gemischte Kunststoffe sieht deshalb auch das Bundesamt für Umwelt kritisch. Wegen der fehlenden Sortenreinheit und der Verschmutzung des Plastikmülls stehe ein grosser Aufwand einem geringen Nutzen gegenüber. Bettina Kahlert findet den Ansatz indes begrüssenswert: «Wenn das Volumen des Sammelguts steigt, sinken die Kosten und steigt die Ökoeffizienz. Die Sammelsäcke haben noch einen Vorteil: Man sieht, wie viel Plastikmüll man tagtäglich produziert.»



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