Wein, Weib und kein Gesang

An Winzerinnen hat man sich gewöhnt, die verantwortliche Sommelière ist bei Tisch keine bestaunte Rarität mehr. Doch ganz so selbstverständlich, wie sie scheint, ist die feminine Rolle in der Weinwelt noch lange nicht.
Text: Wolfgang Fassbender – Illustrationen/Fotos: Michael Raaflaub/z. V. g.
Veröffentlicht: 21.09.2017 | Aus: Salz & Pfeffer 6/2017

«Winzerin ist schliesslich ein Beruf, den man handwerklich bewerkstelligen kann, anders als im Strassenbau.»

Allein der Name. Rebentrost. Da muss man ja Winzerin werden, von Geburt aus oder spätestens, nachdem man die ersten paar Male gehänselt worden ist. Doch Ines Rebentrost wehrt ab. Ganz so sei es nicht gewesen, sagt die Kellermeisterin des Thurgauer Schlossguts Bachtobel. Allerdings habe sie schon die eine oder andere lustige Begebenheit erfahren. «Als ich 1996 in Wädenswil anrief, um mich zu erkundigen, was es bräuchte, um dort Önologie studieren zu dürfen, legte die Dame einfach auf, weil sie sich veräppelt fühlte, als ich meinen Namen nannte.»

Ob ein Herr Rebentrost ähnlich behandelt worden wäre? Vielleicht hätte die Telefonistin einen Moment länger gebraucht, um den Hörer auf die Gabel zu knallen. Winzer dominieren schliesslich noch die Weinbauverbände, und es existieren sogar Kellermeister, die nach dem dritten Schoppen ganz vertraulich andeuten, dass den weiblichen Kollegen zu viel Aufmerksamkeit gewidmet werde. Den Quereingestiegenen zum Beispiel, denen vom Schlage Rebentrost. In Bayern aufgewachsen, fernab der Reben, kam sie zum ersten Mal in der Türkei mit dem Weinbau in Berührung, half der Familie eines türkischen Freundes bei der Traubenernte. Der erste eigene Versuch, in 20-Liter-Tonkrügen, die Wände mit Honig ausgeschmiert, war trinkbar, aber nach Önologenmassstäben gruselig. Später kam ein Buch für Hobbywinzer hinzu, der Samen war gelegt, brauchte aber noch ein paar Jahre, um aufzuspringen. Erst mit 26 oder 27 fiel die Entscheidung. Das wars! «Weinbau und Weinbereitung klang gut. Körperlich arbeiten und den Kopf gebrauchen. Natur und Naturwissenschaft.»

Fand so ähnlich wohl auch Laura Paccot aus der Waadt. Sie studierte allerdings erst an der Ecole hôtelière de Lausanne, begann dann die Ausbildung zur Önologin, trat Praktika an und wird im kommenden Sommer abschliessen. «Ich habe das Glück, mich mit meinen Eltern Violaine und Raymond sehr gut zu verstehen», sagt die Nachwuchswinzerin. «Der Übergang vollzieht sich sanft, sie übertragen mir ihre Erfahrung, und ich bringe den Leichtsinn mit, neue Projekte anzugehen.» Die Tochter, die das Weingut der Eltern übernimmt, allmählich und konsequent: ohne Frage ein Zukunftsmodell, das umso besser gelingt, je aufgeschlossener, neugieriger, innovativer schon die vorherige Generation war. Die Paccots, bekannt für einige der besten Weine der Schweiz, gehören seit Jahren zur Spitze der nationalen Weinszene, ohne sich mit Ellbogen ins Rampenlicht zu drängen.

Simone Monstein dagegen muss nicht den Ruf von früher retten, sondern darf neu aufbauen. Das Weingut der Tante kannten ja doch nur wenige. Als Monstein gefragt wurde, ob sie Interesse habe, einzusteigen, zu übernehmen, lastete kein zentnerschwerer Ruf auf dem Weinkellerdach. Winzer zu sein, habe einiges gemeinsam mit der Kunst, sagt die freiberufliche Malerin. Das Handwerk, die Möglichkeiten, etwas Kreatives zu unternehmen. Auch wenn man im Winzerberuf nicht ganz so frei sei, gewissen Zwängen unterliege. Beides zu machen, scheint für die Chefin von Hamacht Weine in Teufen kein Problem zu sein, auch wenn es viel zu organisieren gibt. Ausstellungen, die Dozentur für Malerei an der Kunstschule Wetzikon, die Konzeption neuer Werke. Und dann die Abfüllung des letzten Jahrgangs. «Da sitzt man immer wie auf Nadeln», sagt Monstein, welche die Rolle der Frau in ihrem Job als immer problemloser und selbstverständlicher ansieht. «Winzerin ist schliesslich ein Beruf, den man handwerklich bewerkstelligen kann, anders als im Strassenbau.»

Ines Rebentrost, Kellermeisterin im Schlossgut Bachtobel: «Weinbau und Weinbereitung klang gut. Körperlich arbeiten und den Kopf gebrauchen.»
Şeyma Baş, Inhaberin einer Weinberatungs- und Wissensvermittlungsfirma: «Ironischerweise begann die wahre Herausforderung nach meinem Umzug in die Schweiz.»
Amanda Wassmer Bulgin, Sommelière und Restaurantleiterin im Restaurant Silver, Vals: «Fine Dining war immer eine Männerwelt.»

Stimmt. Doch dass alles so klar und eindeutig wäre, dass die Gleichberechtigung final zugeschlagen hätte, kann man kaum sagen. Vor allem nicht dort, wo früher Frack getragen wurde, später Smoking und heute zumindest die imaginäre Krawatte. «Fine Dining war immer eine Männerwelt», sagt Amanda Wassmer Bulgin, die Sommelière und Restaurantleiterin im Silver im bündnerischen Vals. Am Tisch servieren hier beide Geschlechter, was in manch anderen Teilen der Welt immer noch unvorstellbar ist. «In Italien zum Beispiel habe ich noch nie Frauen als Maître gesehen», sagt Wassmer Bulgin. Und auch in den grossen Hotelpalästen von St. Moritz oder Gstaad, Genf oder Lausanne ist die Führungsrolle im Service oder der Job der Weinkellnerin oft noch automatisch in den Händen der Herren. Man müsse sich beweisen als Frau, sagt nicht nur Wassmer Bulgin.

Tatsächlich ist es ja nur ein paar Jahrzehnte her, seit das angeblich schwache Geschlecht in der Weinszene ausschliesslich als dekoratives Element wahrgenommen wurde. Herzige, geherzte Weinköniginnen, nicht nur in Deutschland. Bei genauerem Betrachten sind es nicht Jahrzehnte, sondern Jahre. Und bei ganz genauem geht es nach wie vor sehr dekorativ zu auf den Weinfesten und auch sonst. Herzige Bücher über Weinfrauen werden ebenfalls gern gedruckt, Artikel über Winzerinnen freudig geschrieben. Kritisches fehlt meist, passt nicht zu Wein, Weib und Gesang. Dass eine wie Wassmer Bulgin gewiss mehr arbeiten musste als andere, um ihren Job zu bekommen, stört die Idylle. Mit der normalen Fortbildung, mit namhaften Stationen bei Andreas Caminada oder im Park Hotel Vitznau war es nicht getan. WSET-Ausbildung, der Court of Master Sommeliers, schliesslich die Weiterbildung zum Master of Wine, die noch nicht beendet, aber auf gutem Weg ist. Den Ehrgeiz merkt man ihr dennoch nicht an, die Weinempfehlungen wirken neugierig, nie anstrengend. Mal Sherry, mal Cider, den Wassmer Bulgin in ihrer Zeit in England lieben lernte, mal reife Bündner Rotweine, die sie den Erzeugern in kleinen Mengen abluchst. «Ich weiss nicht, ob es am Geschlecht liegt, aber ein guter Sommelier ist jemand, der das persönliche Ego wegsteckt.» Dass dies nicht alle schaffen, dass manche arg selbstbewusste Herren der Branche zusammenzucken, wenn ein Kunde Amarone zum Fisch bestellt, und ihr Missfallen nicht verstecken: altbekannte Erfahrung der Restauranttester.

Ob die Zurückhaltung frauenspezifisch ist, kann man lang diskutieren. Vielleicht ist derartig sensibles Verhalten auch nur typisch für die Allerbesten. Wer genau hinschaut, entdeckt ja auch in der Weinbranche ein paar eitle Damen, die sich nie damit begnügten, bei Verkostungen in der zweiten Reihe zu sitzen, hinter den eitlen Männern. An der alljährlichen Degustation des deutschen Verbandes der Prädikatsweingüter, bei der manche Frauen platzen vor Stolz, weil sie Herren in ihrem Rücken wissen, ist das zu beobachten.

Şeyma Baş hingegen sässe in Degustationen sicher in der ruhigen Ecke, zwänge man sie nicht zum Gegenteil. «Ich wurde in Istanbul in eine moderne Familie geboren», sagt die in Zürich lebende Inhaberin einer Weinberatungs- und Wissensvermittlungsfirma. Leider habe sie keine Geschichte zu erzählen nach dem Motto, dass der Papa an Neujahr unglaublich alte Jahrgänge geöffnet habe. Dass Şeyma Baş dennoch zum Wein fand, auf dem Umweg über ein Studium im Chemieingenieurswesen, dann in Bordeaux den MBA mit Schwerpunkt Luxury Brands, Food und Wine erwarb, mutet verblüffend konsequent an. «Ironischerweise begann die wahre Herausforderung nach meinem Umzug in die Schweiz», sagt sie. «Eine junge Türkin zu sein, brachte viele Fragen mit sich wie ‹Sind Sie Muslima?› in einem Bewerbungsgespräch oder ‹Trinken Sie Alkohol?› mitten in einer Weinverkostung.» Am Anfang sei sie schon überrascht gewesen, erinnert sich Baş, sie habe sich aber inzwischen daran gewöhnt.

Wird auch den grauen Herren der Szene so gehen, irgendwann. Weinkönigin will ja doch kaum noch jemand werden, und preisende Bücher über die Frauen der Weinbranche verlieren – das darf man optimistisch prognostizieren – Stück für Stück an Bedeutung. Spätestens dann, wenn mittelmässige Sommelièren die Kunden zum Wahnsinn treiben und man Weine von Winzerinnen durch den Kakao ziehen kann, ohne als frauenfeindlich zu gelten, ist das Thema durch. In ein paar Jahrzehnten wird es so weit sein.

Die Adressen

Ines Rebentrost,
Schlossgut Bachtobel, Weinfelden, www.bachtobel.ch

Şeyma Baş, Wine Art Projects GmbH, Zürich, www.wine-art.co

Amanda Wassmer Bulgin, Silver im Hotel 7132, Vals, www.7132.com

Laura Paccot, Domaine La Colombe, Féchy, www.lacolombe.ch

Simone Monstein, Hamacht Weine, Teufen, www.hamacht.ch



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