Anderswo gibt es auch selten das, was hier im Degustationsmenü oder im ausführlichen Angebot à la carte steht. Topinky von der Stopfleber als Kleinigkeit vorweg, die pochierte Auster mit Kaviar, Zwiebellauch sowie Champagneressig danach, vielleicht auch die Seeigelzungen zur gebeizten Bernsteinmakrele. Salzigwürzige Spielereien, voller Spannung und Texturen. Viel ist von französischer Klassik inspiriert, die Foie gras, die gern verwendeten Trüffel, die Nages, Jus und Saucen. Oder der Hase, an den sich ausserhalb einiger Pariser Küchen niemand mehr herantraut. Wer will sich schon die Mühe machen, den Hasen erst zu häuten und anschliessend zu entbeinen? Oder das Milchzicklein als Ballotine zu präparieren? Hört sich einfach an, ist aber eine Herausforderung, soll das Gericht nicht rustikal werden. Am Hasen hat Michel getüftelt, damit die Texturen stimmen, die Leber in der Mitte nicht schludrig wird, der Biss nie verlorengeht. Ein Kunstwerk mit Blutsauce. Seine Gäste, sagt Michel, seien offen für solche Dinge.
Folglich sucht er nach Produkten, die es nur hier gibt. «Wir haben gerade 100 wilde Wachteln gekauft», erzählt er. Ein Wahnsinn, denn nach dem Ausnehmen bleiben vielleicht 50 Gramm pro Tier übrig. «Wildgeflügel ist so was von arbeitsintensiv.» Die Schnepfen sind es erst recht; Schwarzwaldstube-Fans löffeln gleich noch das Hirn aus dem Schädel und bestellen anschliessend grillierten Lammbauch mit einem Ragout aus Lammfüssen sowie -zunge. Und so mancher schwärmt noch beim Käse von der Rotbarbe mit Bouillabaisse, weil hier nämlich die Fischleber verarbeitet wurde. Sollte übrigens einer fragen, ob man Schnepfe und ähnliche Dinge überhaupt noch essen dürfe in diesen Zeiten, hat Michel die passende Antwort. Aus Österreich bezieht er sie gern, sofern es grünes Licht gibt. «Wenn die Jagdverwaltung Burgenland sagt, dass gejagt werden darf.» Heimisches Reh steht natürlich auch auf der Karte, während Modisches wie Kobe Beef fehlt. «Steht etwa Wagyu für die Schwarzwaldstube?», fragt Torsten Michel. Sicher nicht. Eher der Wolfsbarsch, im Ganzen gegart, am Tisch in seine Einzelteile zerlegt. Es sind die grossen Stücke, von der Poularde in zwei Gängen bis zur Foie gras im Teigmantel, die den Gast auf eine Zeit reise schicken. Ein bisschen wie hier muss sich das luxuriöse Essen vor 100 Jahren angefühlt haben!
Doch an die Qualität von heute dürften die wenigsten Köche des 19. Jahrhunderts herangekommen sein, zumal es in der Schwarzwaldstube nicht bloss um Nostalgie geht. Ideen von Escoffier und anderen Kollegen der Klassik dienen nur als Basis, auf der das Team aufbaut. Shoyu-Vinaigrette zum Wildlachs verleiht ungeahnte Würze, Artischockenchips, Kapern und Rosinen schaffen zur glasierten Entenleber salzigsüsse Aromaspots, und Ananas zu Reh wird jeder, der es einmal verkostet, immer wieder kombinieren wollen. Beim vegetarischen Menü widersteht der Chef der Versuchung, die üblichen Dickmacher auf Getreidebasis aneinanderzureihen, sondern nutzt die aromatische Intensität jener Zutaten aus, die eh schon da sind. Gemüsejus ist das Stichwort. Ob sich das alles rechnet, ob der Material und Personalaufwand mit den Einnahmen aus dem Restaurantbetrieb refinanziert werden kann? Man darf daran zweifeln. Ist aber gar nicht so wichtig, denn das Aushängeschild des Hotels lockt Gäste an – die von früher und die von morgen. «Man muss natürlich jene mitnehmen, die schon seit 30 oder 40 Jahren kommen», sagt Michel. Doch es reisen auch immer mehr Neugierige aus dem Ausland an. An zwei bis drei Tischen am Tag werde Englisch gesprochen, so der Chef. «Und das Publikum verjüngt sich.» Etwa 240 Couverts pro Woche kommen so zusammen. Gut möglich, dass Deutschland auf diese Weise und dank der Schwarzwaldstube doch langsam jenen kulinarischen Ruf erreicht, den sich Skandinavien im D-Zug-Tempo erwarb. Vielleicht, was den süssen Bereich angeht, mit einem Passionsfruchtsoufflé «Île de la Réunion» samt Bananen-Maracuja-Sorbet auf Victoria-Ananasragout. Ganz gewiss aber mit der Terrine von gebratener und marinierter Entenleber in weissem Portweingelee. Aber selbst wenn ein deutscher Koch aus Baiersbronn dereinst als Nummer eins der Weltrangliste, nach welcher Version auch immer, genannt werden würde: Torsten Michel wird bescheiden bleiben. «Ich bin froh, dass es hier im Schwarzwald so einen Arbeitsplatz gibt.»