Einer für alles
Im Burgdorfer Restaurant Zur Gedult hat sich Lukas Kiener kontinuierlich in die Sterne-Liga gekocht. Jetzt nimmt der Einzelkämpfer das nächste Ziel ins Visier.
«Wir müssen dort stärker spürbar werden, wo Köche täglich engagiert sind – im Betrieb.»
Den Schweizer Kochverband gibt es seit 100 Jahren. Wie haben sich seine Arbeit und Ziele über die Zeit verändert?
Reto Walther: Vor 100 Jahren hatten sich Köche zusammengetan, um für sich und ihre Interessen einzustehen und ihren Beruf weiterzuentwickeln. Diese Ziele verfolgen wir noch heute. Wir nehmen auf politischer Ebene Einfluss, um die Grundund Weiterbildung zu verbessern, bieten Mitgliedern ein bestens organisiertes berufliches Netzwerk und Unterstützung in Rechtsfragen. Wir stehen dafür ein, dass Berufsleute das beste Rüstzeug erhalten, um ihre täglichen Herausforderungen zu meistern. Insofern ist unsere Daseinsberechtigung dieselbe wie vor 100 Jahren.
Bei Ihrem Amtsantritt 2018 sagten Sie, der Kochverband müsse unbedingt bekannter werden. Ist das gelungen?
Das kann ich nur bedingt beantworten, da müsste man in den Betrieben nachfragen. Je öfter wir da, am Arbeitsplatz unserer Leute, Gesprächsthema sind, desto besser. Aber ich bin mir sicher, dass es Luft nach oben gibt. Ich bin mir von meinen Jahren bei der Armee gewohnt, dass die Mühlen langsam mahlen. Aber ich habe festgestellt: Das Verbandswesen ist teilweise noch träger als die Bundesverwaltung.
Ist das als interne Kritik aufzufassen?
Nein, überhaupt nicht. Es liegt in der Natur der Sache, weil wir als Berufsverband Ziele nicht im Alleingang erreichen können, sondern sie mit ganz unterschiedlichen Dialogpartnern aushandeln müssen – mit den anderen Sozialpartnern, dem Bildungswesen und den Fachgremien, zum Beispiel. Da sind so viele Bedürfnisse, die es aufeinander abzustimmen gilt. Denn nur Lösungen, die von vielen mitgetragen werden, können auch etwas bewegen.
Das wirft die Frage auf, wie attraktiv in diesem Kontext die Mitgliedschaft im Verband ist. Der Kochverband hat in den vergangenen Jahren Mitglieder verloren. Warum sollen Berufsleute dennoch beitreten?
Das Engagement in Verbänden ist nicht mehr so populär wie früher, diese Entwicklung trifft nicht nur uns. Aber davon abgesehen, kann nur der Koch allein etwas für seinen Beruf bewirken. Wenn wir Köche das Heft nicht in die Hand nehmen, tut es niemand für uns. Und wer Kräfte bündelt und gemeinsam auftritt, hat eine starke Stimme. Wir sind gut aufgestellt mit unseren 11000 Mitgliedern, von denen etliche schon lange mit dabei sind. Auch solche, die mittlerweile als Arbeitgeber agieren – sie nehmen uns als Berufsverband und Partner wahr, nicht als Gewerkschaft, die die «Gegenseite» vertritt.
Apropos Gewerkschaft: Es heisst, Ihnen wanderten Mitglieder zur Unia ab.
Das mag vorkommen, von einem Trend kann aber nicht die Rede sein. Für einen Koch ergibt es aus meiner Sicht keinen Sinn, sich der Unia anzuschliessen, weil er dort keine Unterstützung von Fachleuten aus seiner Branche erhält. Das Know-how fehlt. Ruft er bei uns an, ist da ein Berufskollege, der die gleiche Sprache spricht.
Sie sagen, die Arbeit des Kochverbands sei die gleiche wie vor 100 Jahren. War eine Neuausrichtung zum Jubiläum nie Thema?
Ich würde sogar eher sagen, wir müssen zurück zu den Wurzeln. Als der Verband 1920 gegründet wurde, in den Nachwehen des Ersten Weltkriegs und der Spanischen Grippe, waren die Zeiten unsicher. Jetzt stehen wir an einem ähnlichen Punkt, und ich glaube, Gründungszweck und Engagement des Kochverbands sind damit aktueller denn je.
Wie unterstützt der Verband Berufsleute während der Krise?
Ein gutes Netzwerk ist für Arbeitnehmer jetzt sehr wichtig, denn wir müssen mit weiteren Lokalschliessungen rechnen. Wir sind im ständigen Austausch mit Betrieben und können oft helfen, wenn es darum geht, gute Berufsleute wieder unterzubringen. Auch das Angebot von unserem Rechtsdienst nutzen Mitglieder intensiv. Das ist es schliesslich, was wir anstreben: präsent zu sein bei den Leuten, wenn es um ganz konkrete Anliegen in ihrem Berufsalltag geht. Dieser Fokus aufs Wesentliche ist in der Vergangenheit zu kurz gekommen. Das wollen wir ändern.
Wie meinen Sie das?
In den vergangenen Jahren waren wir sehr engagiert, was Events betrifft, lancierten Wettbewerbe, Branchenanlässe, Veranstaltungen für Lernende und so weiter. Diese Angebote sind toll und kommen gut an. Aber: Wer sie nutzen möchte, muss in der Regel seine Freizeit aufwenden, und davon haben Köche nicht viel. Wir müssen also dort stärker spürbar werden, wo sie täglich engagiert sind – im Berufsalltag.
Wie wollen Sie das umsetzen?
Zum Beispiel möchte ich Angebote schaffen, die Lernende finanziell entlasten. Also für junge Mitglieder Mittel bereitstellen, wenn es um ihre Ausrüstung geht. Da müssen Jugendliche einen grossen Posten berappen, sei es für Lehrbücher oder für Arbeitsinstrumente wie ihre persönlichen Messer. Durch Partnerschaften mit Unternehmen könnten wir ihnen Vergünstigungen ermöglichen. Ein gutes Beispiel, wie der Verband da Einfluss nimmt, wo es unsere Leute direkt betrifft, ist auch das Engagement unserer Mitglieder in der Arbeitsgruppe Berufsrevision.
Die Berufsrevision 2022 ist aktuell die grösste Baustelle der Arbeitgeber- und Berufsverbände auf Bildungsebene. Worum geht es?
Die Revision betrifft die berufliche Grundbildung, also die dreijährige Lehre zum Koch sowie die zweijährige Lehre zum Küchenangestellten. Der Anstoss dafür war unter anderem die Kritik der Betriebe, dass die Kochlehre zu verschult sei. Grundsätzlich sähe die Revision vor allem vor, dem Handwerk mehr Gewicht zu geben. Das wäre eigentlich das Hauptanliegen gewesen.
Sie sprechen im Konjunktiv: Bei der Vernehmlassung durch die Verbände führte die Berufsrevision zu Unstimmigkeiten.
Weil das nun vorliegende Konzept das ursprüngliche Anliegen, die Praxis stärker zu gewichten, nicht umsetzt. Das finden nicht nur die Mitglieder des Kochverbands, deren Votum ich mit einer separaten Umfrage einholte, sondern auch viele der anderen involvierten Organisationen.
Wo drückt der Schuh?
Zwei Drittel der Rückmeldungen zeigen, dass insbesondere die geplanten Vertiefungskompetenzen abgelehnt werden. Diese sehen vor, dass Lernende sich nach dem ersten Lehrjahr für eine der Schwerpunktrichtungen Fleisch und Geflügel, Fisch, vegetarisch und vegan oder Süssspeisen entscheiden. Das widerspricht der Idee einer Grundbildung, die Lernende für möglichst vielfältige handwerkliche Herausforderungen qualifiziert. Ein weiterer Stein des Anstosses ist, dass die Revision zwar eine höhere Gewichtung des Handwerks an der Abschlussprüfung vorsieht, es im sogenannten Praxisteil aber nur zu 70 Prozent wirklich um praktische Aufgaben ginge. Ein Prüfungsgericht beispielsweise entfiele ganz, die Lernenden müssten es im Rahmen eines Fachgesprächs nur mündlich präsentieren.
Wie geht es nun weiter?
Das wird sich zeigen. Sicher ist, dass man nochmals über die Bücher muss, damit aus einer ursprünglich guten Idee kein Papiertiger wird. (Anmerkung der Redaktion: Das Resultat der Gespräche im Vorstand der Hotel & Gastro formation zum weiteren Vorgehen betreffend Berufsrevision war zum Redaktionsschluss noch offen.)
Die aktuellen Entwicklungen werden den Kochberuf vermutlich nachhaltig prägen. Müsste man auf Bildungsebene nicht auch darauf reagieren?
Die Branche wird sich durch die Krise verändern, aber nicht der Beruf an sich. Der Koch richtet sein Essen künftig vielleicht öfter in einer Take-away-Box an als heute, das Handwerk aber bleibt dasselbe.
Das beste Handwerk nützt aber nichts, wenn die Zahlen nicht stimmen. In Krisenzeiten wäre betriebswirtschaftliches Know-how wichtig – und das fehle Köchen, heisst es oft.
Ich persönlich halte nichts davon, die berufliche Grundbildung mit solchen Inhalten zu überfrachten. Das ginge auf Kosten des Handwerks. Nach drei Jahren Lehre erwarte ich von einem Koch, dass er ein Rezept umsetzen und ein Lebensmittel so zubereiten kann, dass es beim Gast die bestmögliche Wirkung erzielt. Sicher sollen Lernende ein Bewusstsein für Ressourcen und Kosten entwickeln. Aber grundsätzlich ist Betriebswirtschaft nicht Aufgabe des Kochs.
Die Realität sieht oft anders aus: In vielen Betrieben hat der Küchenchef zusätzlich eine Managementfunktion inne.
Das geht, wenn man die Leute dazu befähigt. Es ist aber nicht ratsam, Köchen diese Aufgaben abzuschieben, wenn man sie im Vorfeld nicht daran heranführt. Ich würde daher auch keinem 23-Jährigen raten, eine Beiz zu eröffnen. Köche, die eine Managementfunktion wahrnehmen wollen, sollten sich zuerst die entsprechenden Qualifikationen aneignen. Dafür gibt es Weiterbildungen wie die Berufsprüfung zum Chefkoch, die einen betriebswirtschaftlichen Überblick vermittelt, oder jene zum diplomierten Küchenchef, die Managementthemen vertieft.
Wie beurteilen Sie aktuell die Zusammenarbeit mit den Arbeitgeberverbänden?
Ich empfinde sie als sehr positiv. Alle haben zusammengespannt, als es darum ging, den Lernenden trotz Lockdown eine praktische Abschlussprüfung zu ermöglichen. Auch in Bezug auf das Schutzkonzept war der Austausch erfreulich. Gastrosuisse und Hotelleriesuisse hatten grossartige Vorarbeit geleistet, unsere Inputs abgeholt und sie entsprechend berücksichtigt. Ich hoffe, die Krise ist für alle ein Anstoss zu einem neuen Dialog. Es ist Zeit, alte Gräben zuzuschütten und am selben Strick zu ziehen.
Reto Walther ist seit August 2018 Geschäftsführer des Schweizer Kochverbands. Er ist eidgenössisch diplomierter Küchenchef und arbeitete während 19 Jahren bei der Schweizer Armee, zuletzt als Chef des Fachbereichs Verpflegung bei der Logistikbasis in Bern. Der 42-Jährige war ausserdem acht Jahre lang Mitglied des Swiss Armed Forces Culinary Teams und ist nebenberuflicher Ausbildner und Prüfungsexperte bei der Hotel & Gastro formation in Weggis.