Einer für alles
Im Burgdorfer Restaurant Zur Gedult hat sich Lukas Kiener kontinuierlich in die Sterne-Liga gekocht. Jetzt nimmt der Einzelkämpfer das nächste Ziel ins Visier.
«Ich kann schlecht Sachen erzählen, die nicht stimmen.»
Sie arbeiten seit bald drei Jahrzehnten für die Schweizer Jugendherbergen. Was hält Sie – und notabene viele andere – so lange im Unternehmen?
Janine Bunte: Die Gründe sind unterschiedlich, aber was man sicher sagen kann: Wir pflegen aus unserer Non-Profit-Orientierung und Wertehaltung heraus einen freundschaftlichen, familiären Umgang, der gerade im Vergleich zu gewinnorientierten Firmen besonders ist. Wir schauen zueinander, gehen auf die Bedürfnisse voneinander ein und schaffen ein Umfeld, in dem sich die Mitarbeitenden gern bewegen. Das macht die Schweizer Jugendherbergen schon einzigartig.
Und das liegt daran, dass Sie keinen Gewinn erzielen mĂĽssen?
Es vereinfacht die Sache, nicht zuletzt für mich als CEO. Wobei auch wir wirtschaftlichem Druck ausgesetzt sind, kostendeckend arbeiten müssen und eine ökonomische Nachhaltigkeit brauchen – sonst hätten wir die 100 Jahre kaum erreicht. Aber wenn wir Aktionärinnen und Aktionäre im Rücken hätten, stünden wir anderen Erwartungen gegenüber, klar.
Sie kommen aus der Buchhaltung und sind bestimmt ein Zahlenmensch.
Total! Die Zahlen sprechen mit mir. Tatsächlich führe ich eine rege Konversation mit den Zahlen unserer Unternehmung.
Was erzählen die aktuell?
Sie sagen mir allgemein viel. Ich bin überzeugt, dass mir mein Zugang zu Zahlen gewisse Aufgaben als CEO erleichtert. Mit ihnen gelingt es mir, den Mitarbeitenden anschaulich zu machen, warum wir da einen Hebel ansetzen oder dort das Engagement erhöhen müssen. Ich sage nicht einfach an, wie viel Prozent Marge wir zum Beispiel in der Küche brauchen, sondern kann anhand der Zahlen glaubwürdig aufzeigen, warum das so ist. In meiner Kommunikation steckt viel Buchhaltung, dafür wenig Marketing. Ich kann schlecht Sachen erzählen, die nicht stimmen.
Na dann: Was sagen Ihnen die Zahlen denn nun zur momentanen Situation?
Dass es läuft, sehr gut sogar. Sie zeigen mir aber auch, wie fragil die Lage ist. Wir befinden uns in einer schwierigen geopolitischen Lage und wissen nicht, in welche Richtung es geht. Innerhalb von Hostelling International sind wir zurzeit einzigartig aufgestellt: Auch andere nationale Verbände verzeichnen eine hohe Nachfrage, sie kämpfen aber extrem mit der Teuerung und kommen mit den Kosten nicht klar – während bei uns gerade alles ist, wie es sein soll. Es bleibt eine Gratwanderung: Die Nachfrage ist hoch, aber kurzfristig.
Was heisst das?
30 bis 40 Prozent unserer Gäste sind Walk-ins. Je nach Saison erschwert das die Personalplanung stark. Unser gutes Jahresergebnis 2022 etwa kam auch zustande, weil wir auf der personellen Seite sehr sec geplant hatten. Wir waren ein Jahr lang permanent unterdotiert, konnten den Betrieb gerade so stemmen. Am Ende sahen die Zahlen zwar super aus – aber unsere Mitarbeitenden waren arg belastet. Das ist nicht, was wir anstreben. Es kann mal notwendig sein, so zu wirtschaften, aber wir planen das nicht für die nächsten 20 Jahre. 2023 dann stellte sich bei uns Stabilität ein; wir erreichten das Ergebnis, das wir brauchen, um ins Produkt reinvestieren zu können.
Weil die ausländischen Gäste zurück sind?
Nicht unbedingt. Tatsächlich sind wir da aber wieder bei der Quote, die wir anstreben: 30 Prozent Gäste aus dem Ausland, 70 Prozent aus der Schweiz.
Warum ist das der richtige Mix?
Weil wir in Krisenzeiten auf eine gute Stabilität angewiesen sind. 30 Prozent ausländische Gäste können wir, wenn diese wegfallen, mit Einheimischen kompensieren. Das ist der finanzielle Aspekt.
Es gibt noch einen anderen?
In der zivilgesellschaftlichen Zielsetzung der Schweizer Jugendherbergen wäre es wünschenswert, wir hätten einen höheren Anteil ausländischer Gäste: Schliesslich wollen wir diesen zeigen, was unser Land ausmacht, sie einladen, unsere Strukturen kennenzulernen. Unsere Demokratie zum Beispiel ist ein Muster, das wir noch mehr mit der Welt teilen sollten.
Warum ist die Jugi dafĂĽr der richtige Ort?
Wegen der Werte, die wir vertreten. Wir stehen fürs Miteinander. In den Jugendherbergen treffen sich die unterschiedlichsten Leute: Businessgäste in Seminaren, Schüler und Studentinnen mit ihren Klassen, Familien im Urlaub, Touristinnen aus dem Ausland ... dazu stossen Nachbarn, die auf einen Kafi oder eine Runde Billard vorbeischauen. So entsteht eine bunte Mischung aus Kulturen und Reisemotiven; man lernt sich kennen, tauscht sich aus, entwickelt Verständnis füreinander. Hier kommt unsere ursprüngliche Ausrichtung zum Tragen: Die Friedensförderung gehört nämlich zur DNA der Schweizer Jugendherbergen. Während wir vor der Pandemie vom ewigen Frieden sprachen und uns allenfalls fragten, ob es unsere Organisation noch braucht, ist heute klar: Es werden auf der Welt nicht nur regionale Kriege ausgetragen. Die Relevanz eines Themas, das seit 1924 in unseren Werten verankert ist, ist erneut gestiegen.
Die Schweizer Jugendherbergen feiern ihren 100. Geburtstag. Welche Idee steckt dahinter?
Ursprünglich ging es darum, die Menschen, die in den Fabriken arbeiteten, in die Natur zu locken, sie zur Bewegung an der frischen Luft zu animieren und ihnen nahezubringen, wie schützenswert der Planet ist. Dazu kam das Bedürfnis junger Menschen, die Welt über die eigenen Landesgrenzen hinaus zu entdecken.
Werte, die seither Bestand haben. Was hat sich im Gegensatz dazu verändert?
Bevor ich mich im Hinblick aufs Jubiläum ins Archiv vergraben habe, hätte ich wohl gesagt: Alles ist anders. Wir geniessen heute einen höheren Lebensstandard, hegen andere Ansprüche an uns, das Design oder die Nachhaltigkeit. Dann aber begann ich, die Geschichte der Schweizer Jugendherbergen aufzuarbeiten, und stellte fest: Damals machte man sich Sorgen um die jungen Menschen, weil man der Meinung war, sie hätten keine sinnvolle Freizeitbeschäftigung und müssten dringend mehr raus in die Natur. Das ist heute doch ganz genauso! Früher ging es um die eintönige Arbeit in den Fabriken, heute steht die Zeit vor dem Bildschirm in der Kritik – geblieben sind die Überlegungen und Ziele. Die Schweizer Jugendherbergen sind aus der Gesellschaft heraus entstanden, und weil wir uns permanent an deren Bedürfnissen orientieren, verändern wir uns mit ihr mit.
Aber die Jugi von frĂĽher ist mit der Jugi von heute doch kaum mehr zu vergleichen.
Klar, den Zwanzigerschlag haben wir fast nirgends mehr im Angebot. Aber: Nach wie vor führen wir zu 75 Prozent Mehrbettzimmer, das Prinzip, ein Bett in einem geteilten Raum zu buchen, ist geblieben. Man darf nicht unterschätzen, wie viele Menschen allein unterwegs sind und bei uns die günstigste Übernachtungsmöglichkeit finden. Viele könnten anders nicht reisen, denn ein Einzelzimmer findet man in der Schweiz für 35 oder 45 Franken sonst nicht, schon gar nicht inklusive Frühstück. Wir stellen Zimmer bereit, die bieten, was man braucht, aber nicht mehr.
Und die Bettwäsche müssen die Gäste bei der Abreise nach wie vor selber retournieren?
Selbstverständlich. Ausser in den Privatzimmern mit Nasszelle; da passten wir unsere Preise dem Angebot an – und das Servicelevel dem Preis. Wir wollen nicht einfach günstige Zimmerpreise anbieten, damit Hinz und Kunz bei uns übernachten können, sondern legen den Fokus klar auf unsere Zielgruppe: Menschen mit kleinem Budget. Wer ein Privatzimmer mit mehr Komfort bucht, soll dafür auch mehr bezahlen. Was immer bleibt, ist alles ausserhalb des Zimmers: Das ist und bleibt eine Jugi. Ich wehre mich deshalb gegen den Vergleich mit dem Hotel.
Womit sollte man stattdessen vergleichen?
Mit nichts. Wir sind eine eigene Beherbergungskategorie, mit einer klaren Ausrichtung und einem konkreten zivilgesellschaftlichen Auftrag. Natürlich haben wir uns anlässlich unseres Jubiläums auch gefragt, ob wir noch zeitgemäss sind...
Und?
Wieder mehr denn je! Denn wer im Wohlstand lebt, in der Illusion des ewigen Friedens, könnte vielleicht denken, es brauche keine Jugis mehr. Nun sehen wir aber, dass sich die Zeiten ändern, und gerade nach der Pandemie ist das Bedürfnis nach Gemeinschaft wieder gestiegen. Die Klassenlager etwa haben an Bedeutung zurückgewonnen, weil man inzwischen weiss, wie wichtig solche Erlebnisse für die psychische Gesundheit von jungen Menschen sind. Ich glaube, dass wir mit unserer Beherbergungsform, Ausrichtung und Zielsetzung durchaus weiterhin eine wichtige Rolle spielen.
Den Namen der Organisation könnte man heutzutage allerdings schon ändern, nicht?
Die Frage ist berechtigt, aber das wäre verheerend. Der Name behält uns strategisch nämlich auf Kurs. Wir wurden aus den Jugendorganisationen heraus für die Jugend gegründet, und obwohl heute nicht mehr alle unsere Gäste jugendlich sind, ist die Jugend nach wie vor unsere wichtigste Zielgruppe. Dass wir sie im Namen tragen, erinnert uns permanent daran.
Inwiefern prägt die Jugend die heutige Ausrichtung der Organisation noch?
Indem sie zu Gast ist und uns Feedback gibt. Wir gaben aber auch schon Studien zur Jugendherberge der Zukunft in Auftrag. Fazit: Sie sollte ziemlich genau so sein wie heute. Sehr wichtig: der Töggelikasten! Und die Community.
Was noch?
Der Wunsch nach einem Chat kristallisierte sich heraus. Das ist spannend! Fremde direkt anzusprechen, fällt jungen Menschen heute zum Teil schwer – weil der Erstkontakt inzwischen oft virtuell stattfindet. Wir diskutieren aufgrund dieser Feedbacks durchaus, welche Optionen es gäbe, um innerhalb der Jugendherberge einen virtuellen Raum für erste Kontakte zu schaffen. Das ist gar nicht so einfach, nur schon wegen Datenschutz und Sicherheit. Wenn wir so etwas zur Verfügung stellen würden, könnte es auf jeden Fall nicht anonym sein. Klar ist aber: Wir müssen die Bedürfnisse der neuen Generation aufnehmen und mit den gesellschaftlichen Veränderungen mitgehen.
Sie treiben die Digitalisierung fleissig voran.
Ich bin überzeugt: Wenn wir unsere Ausrichtung und Ziele in Zukunft aufrechterhalten wollen, müssen wir digital werden. Solange ich CEO bin, wird das Erlebnis in der Jugendherberge immer physisch stattfinden – aber wenn wir die Digitalisierung nutzen können, um einen Raum zu schaffen, in dem Menschen aufeinander zugehen können, werden wir das selbstverständlich tun. Nicht um den persönlichen Kontakt abzulösen, sondern um ihn zu fördern.
Von der Buchhalterin zur CEO
Janine Bunte ist seit 1996 bei den Schweizer Jugendherbergen tätig, seit 2019 in der Funktion der CEO. Ihren Einstieg hatte sie als Sachbearbeiterin in der Buchhaltung gemacht, bevor sie die Regionalleitung übernahm. Von 2010 bis 2019 verantwortete sie als CFO und Mitglied der Geschäftsleitung die Abteilungen Finanzen, IT sowie Personal. Heute setzt die 51-Jährige den Fokus insbesondere auf die digitale Weiterentwicklung und auf die sozialtouristische Verantwortung der Non-Profit-Organisation. Bunte amtet zudem als Präsidentin von Parahotellerie Schweiz, des Vereins Discover.Swiss und von Equality4-Tourism. Sie ist Vizepräsidentin der Genossenschaft Discover.Swiss und gehört überdies zum Vorstand der Schweizer Schneesportinitiative Go-Snow. Ausserdem engagiert sie sich in verschiedenen Kommissionen aktiv für die Entwicklung von Hostelling International, dem internationalen Verband von Jugendherbergen.
Runder Geburtstag
Die Schweizer Jugendherbergen feiern heuer ihr 100-Jahre-Jubiläum. Ursprünglich gegründet wurde die Non-Profit-Organisation, um junge Menschen aus den Städten in die Natur und an die frische Luft zu locken. Eins der erklärten Ziele, die damals formuliert wurden und die nach wie vor Gültigkeit haben, ist es, Menschen mit kleinem Budget den Zugang zu erschwinglichen Übernachtungs- und Verpflegungsmöglichkeiten zu bieten. Insbesondere für Junge, Schulklassen, Familien und Menschen mit Behinderungen sollen Begegnungen, gemeinsame Aktivitäten und Erlebnisse ausserhalb des gewohnten Umfelds und über die Landesgrenzen hinaus gefördert werden. Aktuell sind den Schweizer Jugendherbergen 49 Betriebe angeschlossen. Das nächste Haus eröffnet im Frühling 2025 in Martigny.
youthhostel.ch