Ganz nah dran

Hansjörg Ladurner ist sich selbst weit voraus: Die langfristige Planung ist ein Grundstein seiner Terroirküche. Auf der Lenzerheide verlangt er sich und seinen Produzenten einiges ab.
Interview: Sarah Kohler – Fotos: Jürg Waldmeier
Veröffentlicht: 22.11.2016 | Aus: Salz & Pfeffer 8/2106

«Ich möchte, dass mein Gast die Aromen separat kosten und selber kombinieren kann.»

Sie verantworten zu zweit die Küche für zwei Restaurants mit total 80 Plätzen. Wie, bitte schön, schaffen Sie das?
Hansjörg Ladurner: Das ist eine Frage der Organisation. Im Sommer, wenn das Carn & Caschiel geschlossen ist, sind mein Souschef René Bissig und ich tatsächlich nur zu zweit, im Winter haben wir einen Hilfskoch, einen ehemaligen Abwäscher, den wir so weit angelernt haben, dass er manches vorbereiten und anrichten kann. Zudem teilen wir uns einen Abwäscher mit den Restaurants im Haupthaus des Schweizerhofs. Von den Besitzern Claudia und Andreas Züllig werden wir sehr gefördert und unterstützt, aber am Ende müssen wir effizient arbeiten. Darum pfuschen wir uns nicht rein: Jeder ist für seine Gerichte verantwortlich, von der Mise en place bis zum Anrichten. Und wir bereiten viel vor, kochen allerlei ein, Chutneys und alles Mögliche, das wir im Winter verarbeiten können.

Chichi sucht man auf Ihren Tellern vergeblich, dafür malen Sie auf alle einen Strich. Warum?
Der Strich ist der rote Faden unserer Küche; er ist ein Dekoelement, passt aber immer auch geschmacklich zum Gericht. Wir entsaften beispielsweise die Abschnitte und Schalen der Rande oder die äusseren Blätter und den Strunk des Rotkohls – da gehts nicht nur um die Farbe, sondern eben auch ums Aroma. Die Säfte sind immer abgeschmeckt. Das Ganze ist natürlich auch eine Form der Abfallverwertung, ausserdem will ich den Teller effektiv teilen, weil ichs nicht mag, wenn die Aromen vermischt sind. Ich möchte, dass mein Gast sie separat kosten und selber kombinieren kann.

Dabei setzen Sie nicht auf ein klassisches Menü, sondern auf Degustationsteller, die der Gast nach Lust und Laune kombiniert. Was steckt dahinter?
Wir servieren jeweils rund ein Drittel einer normalen Portion und unterscheiden keine Vor- und Hauptspeisen. Der Gast wählt die Anzahl der Gänge und die Reihenfolge frei. Wir empfehlen drei bis vier Teller, aber gerade älteren Menschen reichen oft zwei, während andere derart Spass haben, dass sie sechs oder sieben bestellen. Und während insbesondere jüngere Frauen total auf eigentliche Vorspeisen stehen und davon drei Teller bestellen, ordert ein anderer zum gleichen Preis dreimal einen Fleischgang. Oder drei Desserts. Für uns gehts in dieser Mischrechnung auf. Und die Gäste lieben das Konzept. Kürzlich bestellte eine Dame tatsächlich vier Gänge Dessert.

Und?
Als fünften Gang nahm sie dann doch noch den Käse (lacht). Andere wiederum beginnen mit dem Käse. Warum nicht? Es gibt Kombinationen, von denen wir abraten, etwa wenn ein Gericht so intensiv ist, dass es sich als Start in den Abend nicht eignet. Beim Schreiben der Karte ist die Schwierigkeit, dass jedes Gericht mit jedem anderen harmonieren, aber auch in jeder Reihenfolge einen Kontrapunkt setzen soll.

Wie kreieren Sie Ihre Gerichte?
Oft entstehen sie spontan, aus den Produkten, die vorhanden sind, wenn ich draussen bin. Ich kann sehr gut Kräuter suchen, während ich Pilze konsequent übersehe. Wenn sie einen Meter gross wären und winken würden, sähe ich sie vielleicht ... aber sonst? Keine Chance. Dafür finde ich anderes. Einmal spazierte ich in Ftan und sah am Horizont schwarze Kühe, die mich interessierten. Ich fand heraus, dass es sich um Wasserbüffel handelt. Es dauerte eine Weile, bis ich wusste, wem sie gehören, und nochmals eine Weile, bis ich das Fleisch bekam. Mit dem Metzger Hatecke vereinbarte ich, dass ich von den drei Tieren, die geschlachtet wurden, jeweils die Brust nehme. Dafür bekam ich auch noch ein edleres Stück, eine Unterspälte, die ich bei meinem Fleischtrockner Jörg Brügger in die Verarbeitung gab.

Das klingt nach einer ziemlichen Dealerei.
Das ist es. Ich kaufe, wenn möglich, ganze Tiere, lebend, und übergebe sie einem Bauern zur Aufzucht. Bruno Hassler hielt für mich unter anderem Diago, das schottische Hochlandrind, das wir am 11. November schlachten liessen und das bei der Metzgete am 17. Dezember im Mittelpunkt steht. Wenn ich einem Bauern kein ganzes Tier abnehme, kann ich auch nicht nur die edlen Teile davon haben. Die Mischung machts, das ist Verhandlungssache. Einen ganz anderen Deal habe ich mit Jörg Brügger: Ich lasse bei ihm mein Ochsenentrecôte trocknen, eine wunderbare Geschichte, aber teuer. Pro Kilo zahle ich beim Metzger 58 Franken, der Gewichtsverlust beim Trocknen ist mit 60 Prozent überdurchschnittlich, das ergibt einen Einstandspreis von 120 Franken – wobei Jörg Brügger daran noch keinen Rappen verdient hat. Zum Glück kann ich seine Arbeit mit meiner Sauerrahmglace abgelten, die er so mag. Die Rechnung ist simpel. Es muss auf der ganzen Linie wirtschaftlich sein, beide Seiten müssen gewinnen.

Hirschcarpaccio – gesalzener und geräucherter Hirsch, Steinpilze, Würzrüebli, GranAlpin-Pfeffer-Brioche
Arvenschaumsuppe mit Apfelravioli
Machen gemeinsame Sache, ohne sich gegenseitig ins Werk zu pfuschen: Hansjörg Ladurner und sein Souschef René Bissig
Bruno Hassler ist Biobauer in Zorten. Neben Kleintieren, Schafen, Pfauen- und Zwergziegen sowie Pferden hält er schottische Hochlandrinder, von denen Hansjörg Ladurner eins kaufte und unlängst schlachten liess, sowie Turopolje-Schweine, die er im Auftrag des Küchenchefs aufzieht. Sie sind für die Metzgete Ende 2017 vorgesehen.
«Bündner Oliven»
Ochse hoch zwei – Ochsenentrecôte, Knusperkrokette mit Schmorbrustfüllung – Randen – Gewürzzwetschge
Apfelstrudel mal anders – Arveneis
Jörg Brügger ist Fleischtrockner in vierter Generation und verarbeitet in Parpan rund 40 000 Kilo Trockenfleisch pro Jahr – ohne Klimaräume, dafür mit frischer Bergluft und viel Fingerspitzengefühl. Im Auftrag von Hansjörg Ladurner trocknet er unter anderem Bündnerfleisch, Wollschweinschinken und herrlich marmorierte Ochsenentrecôtes.

Mit dieser Einstellung dürften Sie unter den Produzenten einen guten Ruf geniessen.
Tatsächlich melden sich manche Hersteller mittlerweile selber bei mir, um mir ihre Produkte zu zeigen, ja. Diesen Herbst kontaktierte mich sogar ein Jäger und bot mir seinen Steinbock an. Das muss man erst mal schaffen, so was braucht viel Zeit. Ich habe mir hier oben in den letzten zehn Jahren ein grosses, enges Netzwerk aufgebaut. Und ich suche nicht nur Leute, die mir ihre fixfertige Ware abgeben, sondern bin auch offen für gemeinsame Entwicklungen. Ich habe hohe Erwartungen an meine Produzenten, aber ich bringe ihnen auch vollen Respekt entgegen.

Der Koch müsse umdenken, sagen Sie in diesem Zusammenhang. Was meinen Sie damit?
Als Koch sollte ich mir bewusst sein, dass gute Produzenten für gute Produkte Zeit brauchen. Ich kann nicht heute entscheiden, was ich morgen servieren will, wenn ich eine klare Vorstellung davon habe, wie das Produkt zu sein hat. Das bedarf einer frühzeitigen Planung, und ich muss mich mit den Herstellungsprozessen beschäftigen, muss wissen, dass ein Tier eine Weile braucht, um schlachtreif zu werden. Ich war zum Beispiel nicht ganz glücklich mit der Qualität von Schweizer Schweinefleisch. Also beschloss ich, selber etwas zu machen. Das geht aber nicht von heute auf morgen. Es war nämlich gar nicht so einfach, einen Bauern zu finden, der die Aufzucht für mich übernimmt, weil die Region längst auf Milchproduktion umgestellt hat und es keine Stallungen mehr gibt. Es kamen nur Tiere infrage, die draussen leben. Im ersten Turnus setzten wir auf Wollschweine, aktuell hält Bruno Hassler für mich Turopolje-Schweine, mit denen ich mich nun schon länger befasse – obwohl ihr Fleisch erst für die Metzgete 2017 vorgesehen ist.

Sie kennen die Tiere, die Sie später verarbeiten, oft persönlich. Wie gehen Sie damit um?
Es sind und bleiben Nutztiere für mich, die ich nicht vermenschliche, obschon ich sie besuche, mir ein Bild von ihrer Entwicklung mache und ihnen auch mal Futter bringe. Das Rind Diago hatte seinen Namen nicht von mir; es war schon jährig, als ich es kaufte. Ich nenne die Tiere in der Regel einfach bei den letzten zwei Ziffern ihrer Ohrmarken. Dass wir die Tiere später essen, vermittle ich auch meinen Kindern. Die sind jetzt neun und sechs, und mir ist wichtig, dass sie einen Bezug zum Essen bekommen. Gegenüber den Gästen im Restaurant ist mein persönlicher Bezug ausserdem ein klarer Vorteil. Ich verkaufe eine Geschichte, kann erzählen, wie das Tier aussah, wie es aufwuchs, wie es lebte.

Woher kommt Ihr ausgeprägtes Interesse an der Lebensmittelproduktion?
Ich wuchs im Südtirol auf; wir kauften beim Dorfmetzger ein, das Gemüse stammte aus dem eigenen Garten und im Winter assen wir, was wir eingekocht hatten. Das Kloster, in dem ich zur Schule ging, besass Bauernhöfe, deren Pächter ihren Zehnt in Korn abgaben. Dieser wurde vom Müller im Ort gemahlen, einmal im Monat wurde Brot gebacken. Wir assen oft altes Brot. Ich habe den Geschmack davon noch genau im Kopf, es ist der Geschmack, den ich heute suche. Ich möchte das Produkt schmecken – und nicht etwas, wovon man uns bloss vorgaukelt, dass es drinsteckt. Deshalb kommt bei mir viel Geschmortes auf den Teller. Da arbeite ich ganz klassisch, mit Zwiebeln angesetzt und viel, viel Zeit. Ich will diesen Geschmack von früher.

Und was ist dabei wichtiger: das Grundprodukt oder das Handwerk?
Beides ist wichtig. Aber ich bin in dieser Hinsicht ein fauler Koch: Je besser das Produkt ist, umso weniger muss ich damit machen.

Hansjörg Ladurner (45) wächst in einem kleinen Dorf im Südtirol auf. Seine Eltern führen eine Pizzeria, und der Bub ist früh fasziniert vom Essen und den Geschichten drumherum. Prägend ist auch die Grossmutter, die ihm erzählt, wie sie, um die zehn Kinder sattzukriegen, vom Grossvater erlegte Füchse oder Dachse verkochte, und die ihm zeigt, wie man ein Murmeltier richtig zubereitet. Ladurner geht an die Hotelfachschule, merkt aber rasch, dass ihm das Praktische besser liegt als die Theorie. Nach einem Jahr wechselt er in die Kochlehre. In einem renommierten Meraner Hotel erhält er eine solide, klassische Ausbildung. Nach dem Militärdienst zieht es ihn in die Schweiz; geplant sind ein, zwei Saisons, aber er bleibt hängen. Ladurner arbeitet in Pontresina und Silvaplana, kocht im Winterthurer Vegi zur Waage vegetarisch, besetzt im Bellevue Palace in Bern eineinhalb Jahre den Posten des Poissonniers, absolviert die Ausbildung zum Gastronomiekoch sowie zum eidgenössisch diplomierten Küchenchef und lernt als Souschef im Freienhof, was es heisst, die Schiffsrestauration auf dem Thunersee zu stemmen. Von 1999 bis 2001 kocht Ladurner im heute geschlossenen Adler in Reichenau, findet einen Zugang zum Schweizer Wein und kann erstmals sein Faible für die Terroirküche entfalten. Seit 2003 lebt und arbeitet Ladurner auf der Lenzerheide, seit 2007 fungiert er als Küchenchef für zwei der sieben Restaurants des Hotels Schweizerhof Lenzerheide. Das ganzjährige Gourmetkonzept Scalottas Terroir bietet Platz für 32 Gäste, das nur im Winter geöffnete Fleisch- und Käserestaurant Scalottas Carn & Caschiel für weitere 50. An Ladurners Seite stehen Souschef René Bissig und Restaurantleiter Thomas Bocksch. Zurzeit sind die Lokale ferienhalber geschlossen, sie machen am 13. Dezember wieder auf.

Restaurant Scalottas Terroir, 7078 Lenzerheide, 081 384 21 48, www.schweizerhof-lenzerheide.ch



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