Profis in der Pflicht

In der Zürcher Hiltl Akademie lassen sich nicht nur Laien in der vegetarischen respektive veganen Küche schulen, sondern – Tendenz steigend – auch Berufsköche und -köchinnen. Leiterin Monika Janicka sagt, warum das so (wichtig) ist.
Interview: Sarah Kohler – Fotos: Tina Sturzenegger
Veröffentlicht: 13.06.2023 | Aus: Salz & Pfeffer 3/2023

«Niemand bewegt etwas, wenn nicht das ganze Team mitzieht.»

Lassen Sie uns zuerst über Ihre kulinarischen Wurzeln reden: Mit den Gerichten, die Sie im Rahmen dieses Beitrags zeigen, erzählen Sie einiges darüber.
Monika Janicka:
Tatsächlich machte ich mir nach der Anfrage für dieses Interview zum ersten Mal seit Langem Gedanken darüber, welche Rolle meine Herkunft eigentlich spielt. Und ich stellte fest: eine grössere, als ich gedacht hatte. Ich fühle mich zwar nicht mit dem Polen, wie es heute ist, verbunden, wuchs die ersten acht Jahre aber da auf – und bin kulinarisch davon geprägt. Das Essen ist tief in mir verwurzelt. So wie die Gurke, die meine Grosseltern mit Fenchel, Dill, Knoblauch, Senfsamen, Sellerieblättern und Rettich einmachen – und die einfach anders schmeckt. Die kleinen Sachen machen den Unterschied. Ein anderes Beispiel sind die Pfannekuchen, die mein Grossvater jeweils für uns Kinder zubereitete. Solche simplen Gerichte gefallen mir.

Was reizt Sie daran?
Dass das Produkt und das Handwerk im Zentrum stehen. Früher, als ich noch mehr Fleisch ass, mochte ich Schmorgerichte am liebsten. Man nimmt ein leckeres Fleisch, einen guten Rotwein, und dann dauert das Ganze einfach seine Zeit und ist ein toller handwerklicher Prozess. Die beiden Aspekte – Produkt und Handwerk – spielen auch in unseren Kursen in der Hiltl Akademie eine entscheidende Rolle.

Inwiefern?
Noch immer haben viele Menschen ein Problem damit, die Lebensmittel der vegetarischen und veganen Küche wertzuschätzen. Also müssen wir zeigen, dass ein Produkt, das jemand bislang vielleicht nicht so mochte, mit der richtigen Auswahl und der passenden Technik grossartig schmecken kann. Wir sehen in unseren Kursen, dass die breite Masse kochtechnisch noch viel lernen kann, dass am Herd grosse Unsicherheit herrscht. Gleichzeitig stellen wir fest, dass sich immer mehr Menschen trauen, zu uns zu kommen, dass sie einfach mal loslegen – und lernen.

Sie schulen aber explizit auch Gastronomieprofis. Was müssen die noch lernen?
Unsere wichtigste Botschaft an Berufskolleginnen und -kollegen lautet: Die vegane Küche ist nicht schwer. Aufgrund der Nachfrage aus der Branche fokussieren wir in unserem Basiskurs für Profis seit letztem Jahr nämlich nicht mehr auf die vegetarische, sondern gleich auf die vegane Küche. Wir vermitteln unsere Freude daran und teilen die Erfahrung, wie gut Essen ohne tierische Produkte schmeckt.

Für wen eignen sich die Kurse hauptsächlich?
Die meisten Teilnehmenden stammen aus der Gemeinschaftsgastronomie und aus einfachen Restaurants, was mir super gefällt. Wir stehen zum Beispiel Menschen gegenüber, die jeden Tag 1500 Essen schicken, also richtig viel beeinflussen können. Aber auch, wie vor Kurzem, Mitarbeiterinnen einer Metzgerei mit Cateringservice, die ihr Angebot erweitern möchten. Wir haben Teilnehmende, die für Kinder kochen und vor ganz eigenen Herausforderungen stehen, wir schulen Personal von Spitalküchen und aus der Eventgastronomie. Oder Bäckerinnen und Bäcker. Dabei ist uns als Team wichtig, dass wir uns in den Profikursen alle auf Augenhöhe begegnen und auch wir von den Fachkollegen und -kolleginnen lernen können. Das halte ich für eine unserer grössten Stärken.

Wie meinen Sie das?
Wir verstehen uns nicht als etwas Besseres, sondern wollen gemeinsam mit den Köchinnen und Köchen in unseren Schulungen etwas bewegen. Ich würde mir wünschen, dass jeder Betrieb mit dem ganzen Team zu uns kommen könnte, denn nur wenn alle an Bord sind, können wir Strukturen nachhaltig verändern und neue Ideen langfristig umsetzen. Aber ich weiss natürlich, dass das finanziell schwierig ist. Meiner Meinung nach wären hier Städte, Kantone und der Bund gefragt: Die Gastronomie ist ein wichtiger Part, wenn es um Nachhaltigkeit geht, und entsprechend sollte man sie fördern und unterstützen – sprich: Geld in die Hand nehmen.

Stichwort Nachhaltigkeit: Dass das Thema an Bedeutung gewinnt, komme Ihnen zugute, sagen Sie.
Tatsächlich verzeichnen wir bei unserem Angebot für Profis eine deutlich steigende Nachfrage. Vor der Covid-19-Pandemie führten wir pro Jahr etwa zwei öffentliche Basiskurse für Berufsleute sowie drei bis vier Schulungen für Mitarbeitende der SV Group durch. Im letzten Jahr nun fanden 14 Kurse statt, in denen insgesamt über 150 Küchenverantwortliche einen Einblick in die vegane Küche erhielten. Dabei stammten die meisten Teilnehmenden aus grossen Unternehmen, die sich eben Nachhaltigkeit auf die Fahne schreiben – und wissen, dass sie entsprechend aktiv werden müssen. Der Verzicht auf tierische Produkte ist das Rädchen, an dem man am einfachsten drehen kann, um eine klimarelevante Wirkung zu erzielen – insofern spielt uns dieser Trend in die Hände.

Und welchen Einfluss hat ein Kurs an der Hiltl Akademie effektiv auf den Berufsalltag der Teilnehmenden?
Das möchten wir künftig noch genauer eruieren. Aus den Feedbacks, die wir bislang erhielten, wissen wir, dass die Menschen, die den Kurs besuchen, in der Folge oft ein ganzes Team inspirieren, vom Lernenden bis zur Servicefachfrau. Wir sagen das in unseren Kursen jeweils klar: Ob Geschäftsführer oder Küchenchefin – niemand bewegt etwas, wenn nicht das ganze Team mitzieht.

Strammer Max mit Kölsch und fermentierten Gurken von Babcia Krysia und Dziadek Milek aus Jastrowie in Polen
Pierogi Ruskie mit New Roots Cotta, Kartoffeln, Zwiebeln und knusprigem Räuchertofu
Som Tam aus Rüebli, Kohlrabi statt Papaya und Birnell statt Palmzucker

Als das Hiltl vor 125 Jahren gegründet wurde, besetzte es in der vegetarischen Küche eine Pionierrolle. Die logische Konsequenz der Unternehmensgeschichte wäre inzwischen doch, komplett auf vegane Kost umzusatteln.
Vielleicht. Aber da bezieht unsere Rezeptentwicklungsstrategie klar Stellung: Wir ändern ein Gericht nur ab, wenn es in der veganen Variante gleich gut oder besser schmeckt. Der Geschmack muss gewinnen! Wir wollen Gäste mit vegetarischem und veganem Genuss begeistern und nicht durch konsequentes Veganisieren der Rezepte missionieren. In gewissen Bereichen, zum Beispiel beim Rahm, Käse oder Eiweissersatz, braucht es einfach noch etwas Zeit, bis die Produkte so weit sind, dass sie diesen Ansprüchen genügen. Zum Glück tut sich in diesem Bereich im Moment sehr viel, auch in der Schweiz. Das Tempo der Entwicklungen ist enorm, und wir testen in unserem hauseigenen Lab regelmässig neue pflanzliche Produkte in unseren altbewährten vegetarischen Rezepturen.

Wer da seit geraumer Zeit nicht wirklich mithalten zu können scheint, ist die Ausbildung.
Ein schwieriges Thema. Mitten in der Pandemie las ich eine Studie der ZHAW, für die Kochlernende im grossen Stil befragt worden waren: Sie offenbarte, wie viele Vorurteile, die von alten Lehrmeisterinnen und Lehrmeistern transportiert werden, noch im Berufsnachwuchs stecken. Durchaus erschreckend. Doch dann machte Zizi Hattab in Zürich ihr Kle auf, Daniel Humm stellte in New York sein Drei-Sterne-Restaurant auf vegane Küche um ... und so weiter. Es ist essenziell, dass sich die vegetarische und die vegane Küche auf diesem Niveau etablieren.

Warum?
Weil die jungen Leute genau da hinschauen. Und ich finde es grossartig, wie viel Konkurrenz in den letzten Jahren hinzugekommen ist. Wir alle zusammen vermitteln die Freude an pflanzenbasiertem Essen.

Trotzdem ist dieses in der Berufslehre kaum präsent.
Das stimmt. Immerhin dürfen wir ab diesem Sommer im Hiltl nun erstmals eine Kochlernende ausbilden – gemeinsam mit Partnerbetrieben, die Fleisch und Fisch verarbeiten. Bislang war uns das nicht erlaubt. Ich bin allerdings überzeugt, dass sich das ändern muss und wird. Schon heute arbeiten junge Menschen nach ihrer Ausbildung explizit deshalb bei uns, weil sie ohne tierische Produkte kochen möchten. Und je mehr Lokale eröffnen, die sich so ausrichten, desto stärker wird in der Branche das Bedürfnis, junge Menschen in diesem Bereich nachzuziehen und auszubilden. Leider hat sich die Kochausbildung in der Schweiz in den letzten Jahren nicht gross weiterentwickelt, aber ich glaube, dass man da schon dran ist.

Was schlagen Sie denn vor?
Generell lässt sich sagen, dass es für die vegetarische und vegane Küche ebenso viel Handwerk braucht wie für die Fleischküche – wenn nicht mehr. Vieles lässt sich übernehmen, an Gartechniken, aber auch an Rezepturen, und doch gilt es, sich mit so vielen neuen, anderen Produkten zu beschäftigen, dass sogar genug Stoff vorhanden wäre, um eine eigene Berufsausbildung aufzubauen, die Sinn ergäbe. Ich fände es schon einen super Start, wenn angehende Köche und Köchinnen die Möglichkeit hätten, modulare Schwerpunkte zu wählen – und einer davon auf der pflanzenbasierten Küche liegen würde. Für eine Umsetzung stünden wir noch so gerne zur Verfügung.

Zur Person
Die klare Ansage ihrer Mutter («Erst mal Abitur!») entpuppte sich für Monika Janicka als Glücksfall: Statt, wie ursprünglich gewünscht, die Schreinerlehre zu machen, entschied sich die gebürtige Polin, die hauptsächlich in Köln aufwuchs, nach dem Gymnasium für ein Studium in Politikwissenschaften, Soziologie und Geschichte. Nebenher jobbte sie in der Gastronomie – und fand Gefallen an der Küche. Und so nahm sie mit 24 im damals neu eröffneten Hilton am Kölner Hauptbahnhof als «vermutlich älteste Koch-Azubine Deutschlands» ihre zweite Ausbildung in Angriff. Gleich im Anschluss wechselte Janicka nach Zürich und absolvierte mehr oder weniger im Zwei-Jahres-Takt verschiedene Stationen: Sie heuerte unter anderem in Hotelküchen an (Hyatt, Marriott), sammelte im À-la-carte-Bereich Erfahrung (Brasserie Lipp, Markthalle) und liess sich auf einem Abstecher nach Los Angeles drei Monate lang in der Kunst der Sushi-Produktion unterweisen. Zurück in Zürich, führte sie in einer Yoojis-Filiale ein kleines Team, während sie das Gastro-Unternehmerseminar absolvierte, über das sie den Weg in die Betriebsführung fand (Riffraff Bistro & Bar, Limmathof). Seit 2019 amtet die 45-Jährige nun als Leiterin der Hiltl Akademie und kann in dieser Funktion all das verbinden, was sie bisher gelernt hat: Kochen und Gastgeben, Eventplanung und Führung, Administration und Ausbildung.

Hiltl Akademie, Sihlstrasse 24, 8001 Zürich, 044 227 70 13, hiltl.ch



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